Phillip Toledano: „Ich suche nicht nach Ideen, sie finden mich“

Foto: Judith Benhk
Kultur
Judith Behnk

Kulturredakteurin / M.A. Kunstgeschichte und Religionswissenschaften / Kontakt: behnk@hh-mittendrin.de

Dieser Sommer steht ganz im Zeichen der 6. Triennale der Photographie. Im Zuge dessen, stellen die Deichtorhallen Werke des New Yorker Künstlers Phillip Toledano aus. Seine Arbeiten behandeln oft verdrängte Themen wie Alter, Tod und die Angst vor der eigenen Sterblichkeit. Im Interview mit Mittendrin erzählt der Künstler, was ihn dazu bewegt, den Finger tief in die Wunde zu legen.

Mittendrin: Herr Toledano was bedeutet es für Sie Teil der 6. Triennale der Photographie zu sein?

Phillip Toledano: Das ist das Beste, das mir jemals in meiner künstlerischen Laufbahn passiert ist. Ich habe niemals an einem derartigen Platz ausgestellt und auch noch nie so viele Arbeiten. Es ist wirklich etwas Außergewöhnliches für mich, Teil der Triennale zu sein. Vielleicht öffnet es meiner Arbeit auch den Weg in die großen Galerien und Museen. Das wäre ein Traum für mich.

Im Zeitalter der digitalen Revolution ist das Medium Fotografie nun einer breiten Masse zugänglich. Sehen Sie ihr Handwerk in Gefahr?

Phillip Toledano: Ich glaube, dass die Anzahl der Genies in der Welt immer konstant bleibt. Nur weil es Digitalkameras und Photoshop gibt, heißt das nicht, dass es mehr Menschen gibt, die wirklich gute Arbeit machen. Ich glaube, dass das wirklich geniale Zeug seine eigene Leuchtkraft hat und sich damit vom Rest abhebt.

In den sozialen Netzwerken wie Instagram und Facebook entwerfen viele Menschen ein perfektes Alter Ego von sich selbst. Spiegelt das aus Ihrer Perspektive einen Trend in der Gesellschaft wider? 

Phillip Toledano: Ich finde die Idee interessant, in sozialen Netzwerken eine redigierte Fassung von sich selbst darzustellen. Eigentlich ist ein soziales Netzwerk wie eine große Party. Da präsentiert man den anderen eine verbesserte Fassung von sich selbst. Man spricht nicht über seine Wehwehchen oder darüber dass man Hämorrhoiden hat. In dieser Hinsicht ist das in sozialen Netzwerken nichts ungewöhnliches, einzig das Ausmaß ist ein anderes.

Ihre Bilder werden oft als provozierend wahrgenommen. Sie widmen sich gern Themen wie Alter und Tod oder fragwürdigen gesellschaftlichen Entwicklungen. Was ist Ihr Antrieb sich mit diesen existentiellen Fragen zu befassen?

Phillip Toledano: Über mich hat mal jemand gesagt, dass ich ein pathologischer Nonkonformist sei, jemand der immer gegen alles angeht. Ich suche mir nicht speziell kontroverse Themen. Ich suche nicht nach Ideen, sie suchen mich aus.  Ich bin wie ein kleiner menschlicher Asteroid, der in den Anziehungsbereich von verschiedenen Ideen kommt und davon angezogen wird. Ich wollte schon immer Kunst machen, die etwas anstößt. Ich möchte, dass wir über uns selbst nachdenken, wie wir leben und warum wir so leben wie wir leben.

In Ihrem Projekt „A New Kind Of Beauty“ porträtieren Sie Menschen die ihr Aussehen durch Schönheitschirurgie massiv verändert haben, um sich einem Schönheitsideal anzugleichen. Was hat Sie an diesem Thema gereizt?

Phillip Toledano: Den Menschen, die ich abgelichtet habe, ging es nicht vorrangig darum, traditionell schön zu sein. Sie wollten etwas kreieren, das sie selbst interessant finden. Zum Beispiel gab es Menschen, die wie ein Animecharakter oder wie ein Tier aussehen wollten. Das war für mich interessant, weil es die Grenzen des gesellschaftlichen Schönheitsbegriffes sprengte. Wichtig ist, was Menschen fühlen, wenn sie in den Spiegel schauen. Es ist nur eine Frage, wie weit man gehen möchte.

Ausstellung
Die Ausstellung „The Day Will Come – When Man Falls“ kann noch bis zum 06.09.2015 im Haus der Photographie in den Deichtorhallen besucht werden. Weitere Informationen zur Triennale der Photographie finden Sie unter www.phototriennale.de.

In Ihrer Bilderserie „Days With My Father“ begleiten Sie die letzen Jahre Ihres an Demenz erkrankten Vaters fotografisch. Hat das Fotografieren in dieser Situation Sie von einem Teilnehmenden eher zu einem Beobachter gemacht?

Phillip Toledano: In den zwei Jahren hab ich ungefähr 200 Bilder gemacht, das ist nicht viel. Ich wollte nicht, dass das Fotografieren die Zeit, die ich mit meinem Vater verbringen konnte, überschattet. Ich wollte bei meinem Vater sein und mich nicht hinter der Kamera verstecken. Als ich die Bilder im Internet veröffentlichte, hätte ich nie damit gerechnet, dass sich jemand für unsere Geschichte interessieren würde. Aber das Thema berührte viele Menschen. Es ist eine Geschichte über Liebe, nicht über Tod und Krankheit, sondern darüber, wie sehr ich meinen Vater liebte und wie sehr er mich liebte. Ich glaube, die meiste Kunst ist sinnlos. Aber das war sinnvoll und darüber bin ich glücklich.

Der Tod der Eltern konfrontiert uns mit der eigenen Sterblichkeit.  In Ihrer Arbeit „Maybe“ entwerfen Sie mit Hilfe von DNA-Profilen und Wahrsagern verschiedene Szenarien Ihrer eigenen Zukunft. Einmal sehen wir Sie als fetten Geschäftsmann ein anderes mal als Obdachlosen in New York. Erscheint Ihnen Ihre eigene Zukunft nach dieser Arbeit weniger beängstigend?

Phillip Toledano: Mit Ängsten ist das so eine Sache. Am stärksten sind sie, wenn sie nicht greifbar sind, wenn man sie nicht sieht. Sich die Angst vorzustellen, ist meist viel beängstigender als die Angst selbst. Der Hauptpunkt dieser Arbeit war die Angst zu materialisieren, sie echt werden zu lassen. Als es wahr wurde, war es weniger beängstigend. Es war ein verwirrendes Gefühl am selben Tag erst 45 und dann 95 Jahre alt zu sein. Aber das Seltsamste war, dass ich anders wahrgenommen wurde, das die Menschen anders auf mich geschaut haben. Als Obdachloser bist du durchsichtig, unsichtbar für die Welt. Es ist nicht so, dass ich mir wirklich vorstellen kann wie es ist, 95 Jahre alt oder obdachlos zu sein. Ich kann mir jetzt aber vorstellen, wie unterschiedlich man von den Menschen wahrgenommen wird.

Durch Ihre Fotos erhält der Betrachter einen Einblick in tiefgreifende seelische Prozesse von Ihnen. Haben Sie manchmal Angst, dass Sie zuviel von sich selbst offenbaren könnten?

Phillip Toledano: Ich habe keine Angst, irgendeinen Teil von mir preis zu geben. „Days With My Father“ war ein echter Wendepunkt für mich, es hat mich gelehrt keine Angst zu haben und dass man sich nicht für seine Gefühle schämen muss. Ich war damit praktisch nackt. Die Lektion, die ich gelernt habe ist: je größer die Angst ist, desto wahrer ist die Kunst, die dabei entstehen kann. Es ist nicht so, dass allgemein in der Öffentlichkeit über Ängste gesprochen wird. Aber warum eigentlich nicht? Durch die Arbeit an dem „Maybe“-Projekt habe ich keine Angst mehr vor der Zukunft. Nun bin ich nur noch gespannt und neugierig auf das, was kommt. Besonders, da ich ja jetzt schon eine Vorstellung davon habe, wie ich mit 80 Jahren aussehen könnte.

Herr Toledano, wir bedanken uns für das Gespräch.

Mitarbeit: Marvin Merten
Fotos: Judith Behnk

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