Kameraüberwachung in Hamburg: Unsichtbare Gefahren

Foto: Frederic Zauels
Politik
Frederic Zauels
@fredericzauels

Redakteur für Politik und Kultur | B.A. Politikwissenschaften, M.A. Journalistik | Kontakt: zauels@hh-mittendrin.de

Für Olympia soll die Videoüberwachung in Hamburg nochmals steigen. Schon heute wirkt sich diese Form der Observation auf das Verhalten der Menschen aus. Dient aber kaum der Prävention von Straftaten.

Das Objektiv erwartet einen bereits. Entkommen kann niemand. Jeder, der in Hamburg den öffentlichen Verkehr nutzt, wird gefilmt. An allen Bahn-Stationen, deren Auf- und Abgängen, deren Fahrstühlen, innerhalb der Züge und Busse. Die Stadt fordert das. Die Begründung: Die Sicherheit der Menschen. Auf der Reeperbahn stehen sogar Kameras, die um 360 Grad schwenkbar sind. Mit den hochentwickelten Objektiven können die Beamten auch in Hauseingänge und Wohnungen hinein-zoomen. Was für Datenschützer undenkbar ist, war auf der Hamburger Flanier- und Rotlichtmeile für eine kurze Zeit Realität – bis Gerichte über deren Illegalität entschieden.

Andreas Gerhold von den Piraten in Hamburg führt mich durch sein Viertel. Direkt hinter der berühmten Davidwache, die genauso wie alle anderen Polizeistationen in Hamburg von Kameras beschützt wird, wohnte er bis vor kurzem. Aufgrund einer Hausrenovierung musste er umziehen. Der Politiker sagt: „Das Filmen ist unwirksam, tendenziell eher schädlich.“

Öffentliche Kameras sind nur die Spitze einer allumfassenden Überwachung. Sie stellen wohl die einzige noch sichtbare Form der alltäglichen Überwachung unseres Lebens dar. Allein in Hamburg stehen 16.000 von ihnen. Dazu kommen mehr als 150, die außer Betrieb sein sollen, wie eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion in Hamburg zeigt. Es sind zwar Attrappen, aber damit sicher nicht ohne Wirkung. Allein das Gefühl einer alltäglichen Überwachung ändert das Handeln der Menschen.

Videoüberwachung des öffentliches Raums ist weiterhin legal

Eine 36-jährige Bewohnerin der Reeperbahn hat deshalb gegen die Kameras auf der Flaniermeile und gleichzeitig vor ihrer Haustür geklagt. „Worum es mir geht, ist, dass ich nicht auf Schritt und Tritt überwacht werde, sobald ich aus dem Haus gehe“, sagt sie. Recht bekam sie allerdings nur in einem Fall: Die Observation des Hausflurs und der Wohnung wurde untersagt, der Platz vor dem Haus darf dagegen weiter gefilmt werden. Die Stadt Hamburg macht das derzeit nur noch bei besonderen Gelegenheiten – etwa wenn Ausschreitungen wegen eines Fußballspiels auf St. Pauli befürchtet werden. Ansonsten sind die Kameras direkt auf den Boden gerichtet.

Gerhold, der sich kritisch mit Überwachung auseinandersetzt, auch gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung demonstriert, stellt den Sinn von öffentlichen Kameras in Frage. „Es ist eine gefühlte Sicherheit, die in das Gegenteil umschlägt“, sagt der Politiker. Er versteht weder den Sinn von Attrappen, noch die Funktion der Kameras auf der Reeperbahn. In diesem speziellen Gebiet würden auch die Kameras Straftaten nicht verhindern, sagt er: Dafür würden dort zu viele Drogen, vor allem Alkohol konsumiert. Tatsächlich ist während der Kamerapräsenz auf der Reeperbahn die Anzahl der Delikte sogar um ein Drittel gestiegen. Was die Stadt nun letztlich auch zu einem Umdenken bewegt hat.

Versicherheitlichung mit Olympia

Im Zuge von Olympia tauchen in den Planungen der Stadt aber neue Ideen auf, die gegen diese These sprechen. Sie zeugen vielmehr davon, dass sich die Elbmetropole während und für die Sportwettkämpfe zu einer Sicherheitszone entwickelt, die es in diesem Ausmaß wohl noch nicht gegeben hat. Wie die „Welt“ berichtet, soll das von der Polizei erstellte Sicherheitskonzept für die olympischen Spiele 2024 in Hamburg allein ein Ausbau der Videotechnik für 120 Millionen Euro beinhalten. Die Beamten hoffen, durch Technik Kosten beim Personal zu sparen. Ein Motto des Papiers lautet: „Sicherheit ist gegeben. Man merkt sie nicht.“ Als Vorbild dient London. Die Engländer setzten auf eine „lückenlose Videoüberwachung“. Die britische Hauptstadt wurde während der Spiele zu einer Art „Festung“.

Schon bei den olympischen Spielen 2004 in Athen hat die Stadt für rund 300 Millionen Dollar eine Vielzahl von Kameras installiert, die auf Druck der US-Regierung noch heute aufnehmen. Tatsächlich wurde das System von der griechischen Polizei bei den massiven Ausschreitungen rund um die Kritik an der Austeritätspolitik für eine bessere Kontrolle der Demonstranten genutzt.

Und auch in der britischen Hauptstadt hat sich seit den Spielen nichts geändert. Im Gegenteil: London gilt heute als eine der sichersten Städte Europas, verantwortlich dafür sind auch die zahlreichen Kameras. Für Olympia wurden nochmals extra 1850 sogenannte CCTV-Kameras angebracht, im Mai 2011 ließen die Beamten dazu 290 Kameras aus Birmingham, die zum Terrorismusschutz in Vierteln mit hohem Anteil von Muslimen angebracht waren, nach London umstationieren. Nirgendwo sonst auf der Welt als in Großbritannien werden mehr öffentliche Kameras pro Quadratmeter gezählt. Es sind insgesamt 4,2 Millionen, eine Kamera für 37 Personen. Mit Großevents werden also auch Sicherheitsmaßnahmen legitimiert, die auch für die Zukunft gelten.

Schutz bei Massenpanik

Zum Abschluss unseres Stadtteilrundgangs kommen Gerhold und ich am Ausgang der S-Bahn-Haltestelle Reeperbahn auf Höhe der Silbersackstraße vorbei. Da fällt dem Piraten-Politiker doch noch eine gute Sache ein, die Kameras leisten. Eine mögliche Massenpanik wie sie bei der Duisburger Loveparade ausbrach und einundzwanzig Menschen das Leben kostete, könne so rechtzeitig entdeckt werden, sagt er. Um im nächsten Augenblick wieder zu relativieren: Dafür sei aber letztendlich ebenfalls Personal vor Ort notwendig, das in einem solchen Fall eingreifen könne: „Das kann durch Kameras nicht ersetzt werden. Kameras als Ersatz für Personal steigern immer die Gefahr statt Sicherheit zu bringen.“ Nur zehn Meter entfernt stehen zu diesem Zeitpunkt fünf Mitarbeiter der DB-Sicherheit vor der Treppe. Sie machen Pause.

Foto: Frederic Zauels, Kamera an der Davidwache
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