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Fall Yagmur: Familienrichterin räumt Fehler ein

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Frederic Zauels
@fredericzauels

Redakteur für Politik und Kultur | B.A. Politikwissenschaften, M.A. Journalistik | Kontakt: zauels@hh-mittendrin.de

Im Untersuchungsausschuss des getöteten Mädchens Yagmur aus Billstedt wurde gestern die zuständige Familienrichterin vom Amtsgericht in St. Georg angehört. Roswitha Körner zeigte sich einsichtig, gab Fehler in der Untersuchung zu – und versprach Besserung.

Körner hatte Yagmurs Eltern das Sorgerecht zugewiesen, obwohl dem Kind zuvor schwere körperliche Verletzungen zugefügt worden waren. Über das bereits eingeleitete Strafverfahren gegen Yagmurs Eltern Melek und Hüseyin Y. wurde sie aber nicht in Kenntnis gesetzt. Anschließend schilderte die Koordinatorin des Kinderschutzhauses in Altona Eindrücke aus dem Leben Yagmurs während ihres Aufenthaltes im Schutzhaus. Bei Besuchen der Eltern wurde die Tragik des Falls offensichtlich.

Für die Anhörung hat die 58-Jährige Familienrichterin Körner die Akte Yagmur nochmals mitgebracht. Es ist ein dicker schwarzer Aktenordner mit circa 600 Seiten Papier. Der vermeintlich wichtigste Aktenvermerk findet sich allerdings nicht darunter, dabei stellt eben dieser den Wendepunkt in der Beurteilung der Eltern Yagmurs für das Familiengericht dar. Als die Pflegemutter zunächst gesteht, dem dreijährigen Mädchen die durch die Rechtsmedizin festgestellten schweren Kopf- und Bauchverletzungen beim Wippen und Schütteln im Kindersitz Modell Maxi-Cosi zugefügt zu haben, sind die Eltern für das Familiengericht vom Tatvorwurf freigesprochen. Zwar sei Yagmur der Pflegemutter auch aus dem Bett gefallen, doch ob diese Vorfälle Yagmur die lebensbedrohlichen Verletzungen zufügte, erscheint für die Rechtsmedizin unrealistisch.

Der Familienrichterin wurde die Bezichtigung der Pflegemutter alleine durch einen Anruf des Jugendamts mitgeteilt. Sie vertraute dem Geständnis, stellte die Untersuchungen vorbehaltlos ein und gab den Eltern das Sorgerecht zurück. Es sollte nun weiter geprüft werden, ob die Eltern ihrem Sorgerecht nachkommen. Dafür stellte Körner drei schriftliche Anfragen an das Jugendamt, die nie beantwortet wurden.

Wie man aber heute weiß, konnte die Pflegemutter nicht für die Verletzungen des Mädchens verantwortlich sein. Das bewies ein neues rechtsmedizinisches Gutachten vom 18. Oktober 2013. Körner bedauert, dass ausgerechnet bei der Bezichtigung der Pflegemutter keine genaue Überprüfung stattfand. Sonst fordere sie immer eine schriftliche Stellungnahme, auch, um diese in den Akten zu vermerken. Jetzt, beteuert die Richterin, sei sie „unendlich traurig darüber, dass Yagmur tot ist“. Denn ihre Aufgabe ist und war es für das Kindeswohl zu sorgen. „Wenn am Ende des Verfahrens ein Kind tot ist, berührt mich das und es kommt immer wieder hoch“, sagt sie weiter. Warum ausgerechnet in diesem Fall das Schuldeingeständnis der Pflegemutter ungeprüft hingenommen wurde, konnte die Richterin allerdings nicht beantworten. Zukünftig werde sie anders handeln, versprach Körner.

Eine Zukunft gibt es hingegen für Yagmur nicht. Das Kind aus Billstedt wächst seit der Geburt bei vielen Bezugspersonen auf. Das Jugendamt entzieht den Eltern früh das Sorgerecht. Yagmur ist mal in der Obhut des Jugendamts, mal wächst sie bei ihrer Pflegemutter auf. Nachdem ihr die schweren Verletzungen zugestoßen sind, kommt sie in das Kinderschutzhaus Altona. Nur kurze Zeit später wollen die Eltern ihr Kind zurück, obwohl sie früh einer vom Familiengericht einstweiligen Inobhutnahme Yagmurs durch das Jugendamt zustimmen. Nervös und ungeduldig habe die Richterin die Eltern dann bei sich erlebt. In dem dafür anberaumten Verfahren um die Vergabe des Sorgerechts, herrschte aufgrund der schweren Verletzungen Yagmurs eine bedrückte Stimmung, berichtet Körner. Die Eltern hätten insgesamt einen niedergeschlagenen Eindruck hinterlassen.

Während Yagmurs Zeit im Kinderschutzhaus wird allerdings beobachtet, wie die Mutter ein anderes Kind bei einem Streit mit Sand bewirft. Als feststeht, dass Yagmur eine weitere Untersuchung im Krankenhaus in Altona bevorstehe, fürchtet die Mutter „böse Blicke“ der Doktoren, berichtet Inga Kirschstein, Koordinatorin des Kinderschutzhauses. Doch Melek Y. habe in einem Gespräch auch geweint und sich gefragt, wer diese Verletzungen ihrem Kind zugefügt habe.

Yagmur selbst sagt den Erziehern, dass sie nicht nach Hause gehen wolle. Wenn sie erfährt, dass ihre Mutter zu Besuch kommt, ruft sie „Papa“. Kirschstein empfiehlt nach der Überführung des Kindes zu den Eltern dringend eine sozialpädagogische Hilfe für die Familie.

Auch der dritte Untersuchungsausschuss verdeutlicht, dass gerade die Zusammenarbeit der Justiz untereinander sowie mit den Jugendamtsstellen Fehler aufweist. Der zweite entscheidende rechtsmedizinische Befund bekam Richterin Körner nie zu sehen. Einen Kontakt von Familiengericht und Staatsanwaltschaft hat es nie gegeben. Der Empfehlung von Koordinatorin Kirschstein wurde nie entsprochen, obwohl sie den engsten Kontakt zu Kind und Eltern pflegte. Dafür soll in Zukunft die Kooperation mit dem Jugendamt besser funktionieren, sagt Familienrichterin Körner. Gespräche zwischen ihr und Jugendamtsleiter Marquardt hat es schon gegeben.

Im Mai hat das Familiengericht entschieden, dass Yagmur zurück zu ihren Eltern darf. Schon im Dezember starb sie an schweren inneren Verletzungen. Die beiden Eltern sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Gegen die Mutter wurde von der Staatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes erhoben.

 

 

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