„An einer deutschen Schule wird nicht gelacht und nicht geschwatzt“, tönt es aus dem Unterrichtsraum in der ehemaligen Realschule in der Seilerstraße. Vor dem Klassenzimmer stehen 25 Jungen und Mädchen in Zweierreihen nebeneinander. Die Mädchen tragen weiße Oberteile, einen weißen Rock und eine Schürze. Die Jungs haben weiße Oberteile, dunkle Hosen und eine Matrosenkragen an. Diese Szene spielt sich jedoch nicht vor 100 Jahren ab, sondern hat sich so am Mittwoch ereignet – als Teil einer Führung durch das Schulmuseum auf St. Pauli.
Als die Schüler das Klassenzimmer aus dem Jahre 1888 betreten wird es ernst. Für eine Stunde erleben die Viertklässler der Grundschule Mühlenredder aus Reinbek eine Unterrichtsstunde aus dem 19. Jahrhundert. Im Raum befindet sich neben den mehr als 100 Jahre alten Schulbänken, auch ein antikes Harmonium. Eine Karte an der Wand zeigt die Kolonien des Deutschen Reiches. Auf dem Stundenplan der Kinder stehen heute vaterländischer Unterricht, Gesundheitsunterricht und die deutsche Schrift. Das Auswendiglernen unzähliger Merksätze ist wesentlicher Bestandteil des Unterrichtes. Der Lehrer hält einen Zeigestock in der Hand, den er ständig gegen Bänke und Pulte schlägt. Die Schüler dürfen nur Reden, wenn sie vom Lehrer dazu aufgefordert werden und müssen aufrecht und mit gefalteten Händen in der Bank sitzen, ansonsten droht der Lehrer mit drakonischen Strafen. Wirklich bestraft wird im Schulmuseum jedoch niemand. Wo vor 120 Jahren die sogenannte „Stockstrafe“ zum Einsatz gekommen wäre, wird das Schauspiel abgebrochen, erklärt der Schauspieler Gerhard Schwaiger, der den Lehrer spielt, vor Beginn der Simulation.
Der 60-Jährige will den Unterricht aus dem Kaiserreich so authentisch wie möglich gestalten. Er gibt sich streng und tadelt jedes Fehlverhalten der Schüler sofort. Die Viertklässler nehmen das Ganze sehr ernst und bemühen sich sehr es dem „Herr Lehrer“ recht zu machen. Trotzdem merkt man, wie sich die Anspannung unter den 25 Kindern löst, als die historische Unterrichtsstunde endlich beendet ist und alle sich wieder normal verhalten dürfen. „Eine intensive Vor- und Nachbereitung der nachgestellten Unterrichtsstunde ist sehr wichtig“, sagt Gerhard Schwaiger. Daher werden die Kinder vor der Simulation langsam mit dem Schulalltag vor mehr als 100 Jahren vertraut gemacht. Bereits im Unterricht wird das Thema ausführlich besprochen. „Wir haben uns zum Beispiel alte Fibeln und Bilder angeschaut“, sagt Lehrerin Sabine Eggert-Kleiner.
Zum Abschied gibt Gerhard Schwaiger den Schülerinnen und Schülern eine Warnung mit auf den Weg: „Überprüft mal, wie schnell man bereit ist, diesen Unsinn mitzumachen“. Während der gesamten Stunde hat sich niemand dem Lehrer widersetzt oder den Sinn seiner Anweisungen in Frage gestellt. Mit den möglichen Folgen beschäftigen sich ältere Schülerinnen und Schüler im Schulmuseum im Rahmen der Ausstellung „Unterricht unterm Hakenkreuz“. In dieser Ausstellung beschäftigen sich die Besucherinnen und Besucher mit den Auswirkungen der NS-Politik auf das Alltagsleben von Juden und anderen verfolgen Bevölkerungsgruppen und untersuchen NS-Propaganda in Schulbüchern. Außerdem werden Themen wie Rassenkunde und Wehrerziehung besprochen. „Wir wollen den Bereich in dem sich Schülerinnen und Schüler tagtäglich befinden, die Schule, in den Mittelpunkt rücken“, sagt der Museumspädagoge Friedrich Bohlen. Zusammen mit vier weiteren ständigen Mitarbeitern und zahlreichen Freiwilligen, die am Empfang, in der Bibliothek, bei der Technik oder in der Werkstatt helfen, versucht er jungen Menschen ein lebendiges Bild vom Schulalltag der Großeltern und Urgroßeltern zu vermitteln. Doch nicht nur Schulklassen besuchen das Schulmuseum. Für angehende Erziehungswissenschaftler werden Seminare im Museum, das von Erziehungswissenschaftler Reiner Lehberger gegründet wurde, angeboten.
Das Museum hat sich die Demokratieerziehung auf die Fahne geschrieben. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wird im Sommer die Ausstellung „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen“ im Schulmuseum zu sehen sein. Bereits seit dem 11. März zeigt das Museum in Zusammenarbeit mit der Stiftung die Ausstellung „Opfer rechter Gewalt seit 1990″, die von der Künstlerin Rebecca Forner gestaltet wird. Wer die Ausstellung besuchen möchte, hat dazu bis zum 28. März Gelegenheit.
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