Der „Spiegel“ schreibt in seiner aktuellen Ausgabe unter dem Titel „Die Firma“ über die Kleiderkammer Messehallen. Bei den Ehrenamtlichen, die sich seit Monaten dort für die Flüchtlingshilfe engagieren, sorgt der Text für Ärger.
Ein Gastbeitrag von Anja Stagge, die sich in der Kleiderkammer Messehallen engagiert
Heute gab es einen Artikel im Spiegel, der viele von uns „Helfern“ ziemlich verwundert hat. Dort wird die Kleiderkammer als „Clubheim der Willkommenskultur“ bezeichnet. Ein Ort, an dem es „hip war anzupacken“, wo man Selfies vor Kleiderbergen schoss. Es ist von der Flüchtlingsuniform die Rede, nämlich von den 100.000 Jacken, die kürzlich gespendet wurden und gerade auf dem Weg nach Deutschland sind.
Das trifft es, ehrlich gesagt, nicht im Geringsten. Ich bin entsetzt, mit was für einer Wahrnehmung manche Journalisten Sachverhalte wiedergeben. Wies sie etwas in die Welt geben, das sie überhaupt nicht erfasst oder verstanden haben. In der Schule würde es jetzt heißen, „Setzen, Sechs!“ Sehr peinlich, was Sie uns hier vorgetragen haben. Sie sollten vielleicht einfach etwas besser recherchieren und an ihrem Wording arbeiten.
Hilfe auf ziemlich professionelle Art
Wir sind keine wohltätige Logistikfirma und sehen uns auch nicht als Teil eines professionellen Logistikunternehmens. Wir leisten Hilfe auf ziemlich professionelle Art und Weise. Wir haben uns ein paar Gedanken gemacht, wie man das, was wir tun, so einfach wie möglich hinbekommt. Und ja, wir haben in den letzten Monaten regelmäßig mehr als 150 Flüchtlingseinrichtungen in ganz Hamburg mit Sachspenden versorgt. Deshalb sind wir aber noch lange keine Firma. Wir agieren nur wie eine. Ehrenamtlich. Darüber sollte sich vielleicht eher mal ein paar Gedanken gemacht werden.
Ich weiß auch nicht, warum es heißt, dass sich die Helfer selbst wegrationalisiert haben. Das trifft nicht im Entferntesten den Kern. Mit dem Ende der Schul- und Semesterferien kamen völlig nachvollziehbar weniger Menschen zum Helfen. Es haben sich immer mehr lokale Initiativen gebildet, wodurch sich auch die aktive Hilfe in die anderen Stadtteile verschoben hat. Es kamen weniger Spenden, weil die Kleiderschränke langsam leer waren und außerdem Dinge benötigt wurden, die der eigene Kleiderschrank nicht mehr hergegeben hat. Männerkleidung in kleinen Größen zum Beispiel. So etwas kann eben nur über Firmenspenden kompensiert werden. Das heißt aber nicht, dass wir keine Helfer mehr benötigen.
In einer humanitären Notsituation entstanden
Ich weiß nicht, ob es von offizieller Seite die Erwartung gibt, das, was wir bisher leisten, weiter zu betreiben. Dazu kann ich nur sagen, dass wir fast alle berufstätig sind. Und dass sich jeder von uns die Frage stellt, ob wir das weiter in diesem Umfang leisten können. Ich würde einmal behaupten, dass dies kaum machbar ist. Was ich persönlich auch nicht verwerflich oder schlimm finde.
Die Kleiderkammer ist in einer humanitären Notsituation entstanden. 1.200 Menschen wurden kurzfristig in einer der Messehallen untergebracht. Und jeder, der dort hin gekommen ist, wollte helfen. Und ich finde, dass es jeden Einzelnen auszeichnet, dass dies über so einen langen Zeitraum hinweg geschehen ist. Und genau dieser Wunsch, diese Motivation hat uns Helfer angetrieben. Und wenn es Selfies gab – so what. Soll die ganze Welt sehen, dass es Menschen gibt, die sich engagieren. Am nächsten Tag haben diese Menschen nämlich drei andere mitgebracht. Und dank der Selfies vor den Kleiderhaufen haben immer mehr Menschen gesehen, dass es Menschen gibt, die etwas tun. Dadurch haben Menschen überhaupt erfahren, dass man etwas tun kann. Haben gesehen, wie man es tun kann. Wurden inspiriert, motiviert, auch etwas zu tun.
Eine eigene Realität
Ich habe lieber ein Selfie vor einem Kleiderberg, als ein Bild von einem toten Kind, welches kopfüber im Wasser liegt. Das arme Kind. Es tut mir leid. Aber über so ein Foto regt man sich anscheindend nur halb so viel auf, als über jemanden, der sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagiert und das mit einem Foto dokumentiert.
Vielleicht sollte das eigene Tun, das eigene Wiedergeben von Dingen, die man selber nicht erlebt hat und dann Deutschland und der Welt wiedergibt, doch öfters mal reflektiert werden.
Wir erschaffen uns jeden Tag unsere eigene Realität. Es ist schön, wenn darüber berichtet wird, aber traurig, wenn es das Eigentliche nicht im Geringsten wiedergibt.
Dieser Text wurde in der öffentlichen Gruppe „Kleiderkammer Messehallen“ auf Facebook gepostet und von uns mit Einverständnis der Autorin veröffentlicht.
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