Es gibt es so viele Gründe gegen Olympia, dass sich Hamburg genauso gut um die Austragung der amerikanischen Basketballliga bewerben könnte, findet jedenfalls Jan Freitag.
Am 29. November ist es also so weit, der Wahnsinn hat ein Ende: 1,3 Millionen Bürger und -innen dürfen abstimmen, ob die Olympischen Spiele 2024 nach Hamburg kommen. Gut, genauso könnten sie auch wählen lassen, ob der Klimawandel beendet wird, Gott eine Frau ist oder Günther Jauch am gleichen Tag doch nicht seinen ARD-Talk beendet; aber das sind eher theologische als politische Fragen.
Entscheidend ist, dass den Wahlberechtigten mit einer PR-Kampagne von biblischer Schlichtheit eingebimst wird, den Lauf der Geschichte allein mit Willenskraft zu lenken. Ein Selbstverständnis, der dieser Stadt seit Zeiten sturmumtoster Handelskoggen zueigen ist. Von der Realität hat sich das hanseatische Geltungsbedürfnis bei allem Pragmatismus noch nie aufhalten lassen. Beim Alten Elbtunnel – einst ein Weltwunder – hat das ganz gut geklappt, bei der Elbphilharmonie – jetzt eine Lachnummer – eher weniger, aber egal: Wenn sich das kaufmannsstolze Miniaturwunderland was in den Kopf setzt, wird‘s gemacht. Also ab ins Referendum.
Da hilft nur noch Verwirrung
Für das die Wahnsinnsstadt eine Empfehlung abgibt: Stimmt mit Ja! Wer seinen Gegner nicht besiegen kann, sprach ein mal fetter Fernsehkater, muss ihn verwirren. Und nichts verwirrt Hamburger Großmannssucht mehr als die verflixte Sache mit der Wirklichkeit. In der nämlich gibt es nur Gegenargumente einer erfolgreichen Bewerbung ums Mega-Ereignis, das bis auf Lillehammer noch jede Stadt zum Negativen verändert hat: Von der Fußball-EM im gleichen Jahr, das ein weiteres Megaevent hierzulande praktisch ausschließt, übers professoral kritisierte Nachhaltigkeitskonzept, das dem IOC angesichts der Vergaben an die Umweltfeinde Peking, Rio, Tokio herzlich egal ist, bis zur ungedeckten Finanzierung von 6,2 der 7,4 Milliarden Euro aus öffentlicher Hand, gibt es so viele Gründe gegen Olympia, dass sich Hamburg genauso gut um die Austragung der amerikanischen Basketballliga bewerben könnte.
Womit wir bei der Konkurrenz wären, besonders L.A., das 2024 nach dann 28 Jahren US-Abstinenz turnusmäßig dran wäre und gegenüber Europa nur das Nachsehen hätte, wenn die dortige Stadt einen Namen trüge, den man international mit etwas anderem assoziiert als einem Fleischklopsbrötchen, also Paris oder Rom. So schwer es dem Marketing auch fällt, das angesichts all der Ballermannbesucher aus Deutschlands Schützenfestgürtel zu akzeptieren: außerhalb Nordeuropas ist diese Stadt nahezu unbekannt. Und Fans gediegener Independent-Musik, denen sie dank des Reeperbahn-Festivals doch ein Begriff ist, sind tendenziell eher weniger an Rhythmischer Sportgymnastik interessiert.
„Eigentlich nur Formsache“
Aber um Gäste mit mehr Anspruch als umgehende Druckbetankung mit Musicalpathos und Promille ging es den Seelenverkäufern der Eventkultur noch nie – weshalb sie ein Werbevideo ohne Frauen gedreht haben und verdrängen, dass Olympische Spiele in der Regel mindestens dreimal teurer werden als kalkuliert; weshalb alle Warnrufe von Elbphilarmonietraumatsierten über die Hafenwirtschaft bis hin zu Umweltschutz und Universität in den Wind geschlagen werden und die Hamburger Presse willfährig faselt, das Referendum sei eigentlich nur Formsache. „So wird Olympia die Stadt verändern“, titelte die Mopo Anfang Oktober. Kein Konjunktiv.
Indikativ!
Also bitte, liebe Wahlberechtigte: Seid gefälligst ebenfalls für die Kandidatur! Mit 100 Prozent Zustimmung in die sichere Niederlage – vielleicht holt das die selbstgerechten Pfeffersäcke ja auf den Boden der Tatsachen zurück. Und falls nicht, falls sie einfach weitermachen wie bisher, könnte ein gelungener Plebiszit Vorbild sein für weitere Abstimmungen über den Größenwahn einer kleingeistigen Stadt. Her mit dem Referendum über Schlagermove, Harley-Treffen und Cruise Days! Wenn diese Stadt schon nicht bekannter werden kann, dann doch wenigstens ein bisschen lebenswerter.
Denkerstrin
5. November 2015 at 09:57
Gibt es auch was inhaltliches gegen Olympia oder nur Pöbelei?
Müller
5. November 2015 at 14:32
Unter Pöbelei verstehe ich aber schon etwas anderes;-)
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Klaus
9. November 2015 at 08:48
Der Text ist reine Pöbelei. Lauter Plattitüden und pseudolustige Formulierungsversuche.
Zu schreiben, die USA seien mal wieder dran, ohne zu erwähnen das diese Nation seit den letzten Spielen in Deutschland 1972 bereits zwei mal Sommerspiele ausgetragen haben macht einen Rechenfehler. Und wer eine Bewerbung Münchens für die Winterspiele verhindert, kann sich nicht beklagen, das das IOC nur die Auswahl zwischen Peking und Alma Ata hat.
Wer den Text oben ließt, und noch unentschlossen war, stimmt wohl eher mit „Ja“. Danke also für die Werbung, auch wenn sie unabsichtlich ist.
Müller
9. November 2015 at 11:28
Wer angesichts einer ungedeckten Finanzierung von 6,2 der 7,4 Milliarden Euro trotzdem für ja stimmen möchte kann das gerne tun;-)
Jürgen
12. November 2015 at 19:33
@Klaus Lübke: Dieser Text bietet mehr Inhalt und weniger Pöbelei als Ihr Innensenator gegenüber Menschen die sich dafür einsetzen, dass ihr Viertel für alle lebenswert bleibt! Lustig ist er hingegen absolut nicht. Auch nicht pseudo-.
Wenn Sie den zeitlichen Abstand seit den letzten IOC-Events in den USA und der BRD als Argument nehmen, bitteschön! Dann erklären Sie aber bitte auch, warum plötzlich letztere eine herausragendere Position bekleiden sollte. Ihr zweites Argument ist gleichzusetzen mit: Irgendwen trifft es halt, also lieber die Taschen hier füllen als anderswo.
Gegenüber den gesicherten stadtpolitischen Nachteilen für 99 % aller Menschen in Hamburg führen Sie Luftschlösser und Leuchtturmvisionen ins Feld – DAS sind die wahren Plattidtüden in der Debatte!
P.S.: Willy Brandt hätte gesagt: Lieber bezahlbare Sportstätten statt Olympiarmonie.
Heinrichsdorff
17. November 2015 at 19:17
Jan Freitag, mir aus der Seele gesprochen. Größenwahn gepaart mit Ignoranz aus dem Elbphilharmonie-Debakel zu lernen, dass man es halt nicht kann. Wenn die Olympiade wie bei der Elbphilharmonie sich ebenfalls um den Faktor 10 verteuert hat, wird es wieder keiner gewesen sein, der verantwortlich war. Man kann nur hoffen, dass wir nicht den Zuschlag bekommen!.
Andre H.
21. November 2015 at 18:55
Selbst mal die Projektkalkulation angesehen, die selbst von unabhängigen Projektmanagern angesichts ihrer konservativen Annahmen und der verwendeten Puffer als solide bezeichnet wird?
Weil die Elbphilharmonie in die Hose gegangen ist können wir in Hamburg natürlich stattdessen auch einfach nie mehr ein Großprojekt auch nur aus der Ferne ansehen.
Was man jedoch in jeder Silbe des Textes spürt ist die abgrundtiefe Abneigung des Autors der Hamburger Politik und Verwaltung gegenüber. Tolle Voraussetzungen für eine Kolumne. Hauptsache dagegen.
Hein Tüt
18. November 2015 at 21:16
Ein Kommentar, der mir gefällt. 😀
In Athen hat die NSA übrigens während der Olympida sämtliche Telekommunikation der Stadt abgefangen
und wenn die erstmal da sind, dann bleiben sie. Auch schön, dass mal jemand die Kleingeistigkeit unserer bräsigen Hanseaten mit ihren simplen Geschäftsinteressen und ihrem provinziellen Geltungsdrang deutlich macht. Hängt mir schon lange zum Halse raus.
bob
29. November 2015 at 09:05
Kann jemand dem Kolumnisten bitte mal ein taschentuch reichen?