„Buy buy St. Pauli“ kommt in die Kinos

Fotos: Baldwin Production
Kultur

Am Montag, 19. Januar, feiert die Dokumentation „Buy buy St. Pauli“ im Abaton den bundesweiten Kinostart: Der Film erzählt vom Kampf um die Esso-Häuser auf St. Pauli. Zwei Jahre lang wurden MieterInnen und AktivistInnen begleitet,  Proteste und Diskussionen festgehalten. Der Film lenkt den Blick auf die Menschen im Stadtteil – und ist eine Hymne an die Solidarität.

Evi Madejski steht auf dem Balkon und raucht eine Zigarette. Gedankenverloren blickt die ältere Dame mit den kurzen Haaren auf die Reeperbahn. Diesen Ausblick kennt sie gut, seit Jahren schon wohnt sie in ihrer kleinen Wohnung in den Esso-Häusern auf St. Pauli. Doch die Gebäude sind marode, schon bald droht die Räumung. Was dann kommen wird, weiß Evi noch nicht. „Steine schmeißen würde ich wohl nicht, aber besetzen? Ich glaube schon!“, sagt sie, zuckt mit den Schultern und schaut dabei trotzig in die Kamera.

Die resolute Frau Madejski: Nur eines der vielen Schicksale, die im Film „Buy buy St Pauli“ gezeigt werden. Der Film zeichnet den Kampf um die legendären Esso-Häuser nach: Die Plattenbauten wurden zum bundesweiten Symbol für Verdrängung und Gentrifizierung, im Frühjahr wurden sie unter heftigen Protesten abgerissen. Wo sich einst Musikclubs, Spelunken und Kiezläden aneinanderreiten und Luden, Türsteher und Kiezgänger aufeinandertrafen, klafft heute eine große Baustelle.

„Dieses Grundstück ist ein Goldstück und jetzt wird hier richtig Geld gemacht.“

Besonders ansehnlich waren die maroden grauen Blöcke aus den 60ern nie. Doch als die Abrisspläne bekannt wurden, regte sich unter den St. PaulianerInnen schnell die Wut, bald entwickelte sich eine hartnäckige Widerstandsbewegung. Um die Gebäude selbst ging es dabei nur am Rande – was wirklich zählte, waren die Menschen, die den Ort prägten. Alteingesessene, denen die Entwicklung ihres Stadtteils zu entgleiten schien, Menschen, die sich wehren wollten und so zu AktivistInnen wurden. Um eben diese Menschen geht es in „Buy buy St. Pauli“: Da ist etwa Jürgen Moebus, der sich in seiner kleinen Wohnung einen wahren FC St. Pauli-Schrein eingerichtet hat. Oder Hans-Hermann Vagt, der seit 33 Jahren ein Hotel am Spielbudenplatz betreibt und nun resigniert in die Zukunft blickt: „Dieses Grundstück ist ein Goldstück und jetzt wird hier eben richtig Geld gemacht“, sagt er.

Die persönlichen Geschichten der Mieter stehen im Fokus

Das Gefühl der Ohnmacht und auch ein wenig Verbitterung werden spürbar, wenn der Film die Esso-MieterInnen erzählen lässt und dem Zuschauer Einblick in ihre Wohnungen gewährt. Jeder Bewohner hat seine Geschichte, fühlt sich auf eine andere Weise mit den Gebäuden verbunden, doch eines eint sie alle: Die Esso-Häuser bedeuten Erinnerungen, Geborgenheit und einfach ein Stück Zuhause. Der Streit um den Verfall der Gebäude, der drohende Abriss und die Entstehung der Esso-Häuser-Initiative: All dies erlebt der Zuschauer stets aus der Perspektive der MieterInnen. Bilder von Straßenprotesten und hitzigen Diskussionen zwischen AktivistInnen und PolitikerInnen werden durchbrochen von ruhigen Interview-Sequenzen. Die Kamera folgt den Esso-BewohnerInnen auch, als sie ihre Wohnungen während einer nächtlichen Evakuierungsaktion plötzlich räumen und schließlich mit dicken Jacken und leeren Blicken in einer Turnhalle ausharren müssen.

Natürlich gibt schon der vielsagende Titel „Buy buy St Pauli“ die Richtung vor. Dem Profitstreben der Eigentümergesellschaft Bayerische Hausbau und der bürokratischen Denkweise des Bezirks wird die kreative Widerständigkeit der St. PaulianerInnen entgegen gesetzt. Doch dabei verzichtet der Film auf Polemik und ist erfreulich unaufgeregt: So werden in simplen Erzähl-Sequenzen Hintergründe dargestellt, mit Bauklötzen wird etwa erklärt, welche Konzepte für einen Neubau möglich wären – und wie viel finanzieller Gewinn herausspringt bei einem Bau im Drittelmix (d.h. ein Drittel Eigentum, frei finanzierter und sozialer Wohnungsbau) oder bei einem Konzept, das nur auf Sozialwohnungen setzt, wie von der Esso-Initiative gefordert. An dieser Stelle setzen die Macher ganz bewusst auf nüchterne Sachlichkeit und das ist gut so: Die Fakten sprechen ohnehin für sich.

„Solidarität ist alles.“

Der Streit um die Esso-Häuser war und ist emotional und wird letztlich getragen von all den verschiedenen Charakteren, die St. Pauli ausmachen. Das vermittelt auch „Buy buy St. Pauli“: Entstanden ist ein berührender Film aus dem Stadtteil, für den Stadtteil, der erahnen lässt, was dieses „Herz von St. Pauli“ eigentlich ist – und dass es weiter schlägt, auch ohne die Esso-Häuser. Am Ende deutet ein Kameraschwenk über die Stadt und ihre kühlen Neubauten zwar an, dass St. Pauli wohl nicht mehr das ist, was es einst war. Doch dass in diesem Stadtteil immer noch weit mehr verborgen liegt als eine maritime Postkartenidylle oder die frivole Kulisse für Junggesellenabschiede, liegt nicht zuletzt an seinen Bewohnern: „Solidarität ist alles. Schließt euch zusammen und dann klappt das auch“, sagt eine Mieterin in einer Szene am Schluss.

buy buy St. Pauli geht auf Städtetour
Die Esso-Häuser kommen in die Kinos: Am 19. Januar um 20 Uhr findet der bundesweite Kinostart der Dokumentation über das Kiez Ensemble im Abaton-Kino statt. Weitere Termine der Tour findet ihr hier.
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