Das brasilianische Theater Vértice de Teatro war zu Gast bei den Thalia Lessingtagen. Die Inszenierung „Julia“ adaptiert die Tragödie des schwedischen Dramatikers August Strindberg ins heutige Rio de Janeiro.
Auf der verschiebbaren Bühnenwand spielt sich ein Rückblick in Form eines Videos ab: die kleine Julia spielt in weißem Kleid auf der grünen Wiese und hält eine Blume in der Hand. Schüchtern dreht sie sich aus dem Blickfeld der Kamera. Sie möchte nicht vom eigenen Vater gefilmt werden, doch die Kamera bleibt weiter auf sie gerichtet.
Die 1888 entstandene Tragödie „Fräulein Julie“ des schwedischen Schriftstellers und Dramatikers August Strindberg spielt in dem von Christiane Jatahy inszenierten Theaterstück des brasilianischen Theaters „Vértice de Teatro“ in Brasiliens reicher Stadt Rio de Janeiro. Es geht um die junge, adlige Tochter Julia und den Chauffeure ihres Vaters, Jelson, die sich beide beim Tanzen näher kommen. Es entwickelt sich eine Affaire.
Doch wie soll eine Beziehung zwischen einer reichen Tochter und einem einfachen Bediensteten gutgehen? Die Transformation des Titels von „Fräulein Julie“ zu „Julia“ lässt auf gewisse Konnotationen mit Shakespeares Tragödie „Romeo und Julia“ schließen. Und bei Shakespeare endet , wie man weiß, das Stück mit dem Tot beider sich verzweifelt Liebenden.
„Zusammengeflickte Seelen“
Dementsprechend charakterisiert Strindberg seine Protagonisten als „ (…) abgerissene Fetzen von Feiertagskleidern, welche zu Lumpen geworden sind, ganz wie die Seele zusammengeflickt ist.“ So wird die adlige Julia in der Theaterinszenierung als eine unerfahrene junge Dame in kurzem Kleid und hohen Schuhen gespielt, die ohne Mutter aufwächst und unter ständiger Kontrolle ihres Vaters, stets in Form von Videoaufnahmen, steht. Gespielt wird sie ganz überzeugend von der zufällig gleichnamigen Julia Bernat, die mit der ständigen Frage nach dem „Warum“ und dem „Ich weiß nicht weiter“ einen komplexen Seelenzustand wiedergibt. Da kommt es ihr nicht ungelegen, dass sie sich vom dunkelhäutigen Chauffeur Jelson (Rodrigo dos Santos), einen gut aussehenden und fleißigen Bediensteter, angezogen fühlt.
Die Darstellung geht ins Extreme: Während Julia und Jelson hinter geschlossener Türe Sex haben, wird ein Video auf die große Wand projiziert. Im Zuschauerraum ist es mucksmäuschenstill, als in Großaufnahme die nackten Körper gegeneinanderprallen. Während Julia am Anfang noch in verspieltem Kleidchen auftrat, verwandelt sie sich bald in eine Art Diva in pinkem Kleid und mit roten High- Heels. Auf einmal spielt sie mit der Kamera und tanzt wild lachend über die Bühne. Nachdem Jelson Julias Vogel ohne Wimpernzucken mit dem Messer tötet, beschimpft diese ihn in einem Zustand der Wut und Verwirrung als „Neger“ und will ihn in seinem eigenen Blut schwimmen sehen. Das Stück gibt den Konflikt der unterschiedlichen Hautfarben und der Schichtunterschiede wieder und zeigt, wie nahezu unmöglich es damals war, dass eine glücklich Liebesbeziehung zwischen zwei unterschiedlichen Menschen bestehen kann.
Inszenierungsmittel Theater und Film werden gekonnt miteinander verbunden
Am Ende steht fest, dass selbst wenn der Vater, hier als Kameramann präsent, auf eine Strafe aufgrund der Affaire verzichten würde, einer der beiden Protagonisten die Strafe an sich selbst ausüben muss. So schreibt es schließlich Strindberg in seiner Tragödie. „And now?“ „What should I do now? „ fragt Julia mit dem in der Hand haltenden Messer das Publikum. Eine Dame in der ersten Reihe sagt „Not kill you“. Julia lächelt. Aber das Ende einer Tragödie endet leider immer mit dem Tod, daran kann auch die Bitte des Zuschauers nichts ändern. Während das Bühnenlicht erlischt erscheint eine Wasserprojektion auf der Wand. Und während Julia visuell hineinspringt, färbt sich das Wasser langsam blutrot. „I am not really dying“, beruhigt Julia Bernat das Publikum.
Das Stück „Julia“ verbindet auf sehr eindrucksvolle und mitreißende Weise die Inszenierungsmittel Theater und Film und adaptiert Strindbergs Tragödie in die Gegenwart. Durch die Interaktion mit dem Zuschauer wird die hervorragend gespielte Tragödie aufgelockert. Langanhaltender, lauter Applaus holt die Schauspieler einige Male auf die Bühne. Beim Hinausgehen unterhält man sich noch eindringlich über das Stück. Neben viel Lob war es manch einem dann doch „zu viel nackte Haut“.
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