Freitags Montag

Medienkolumne
Jan Freitag

Freier Journalist und Autor | Blog: http://freitagsmedien.com/ | Schreibt bei Mittendrin über die "Wahnsinnsstadt" Hamburg und den wöchentlichen TV-Dschungel

freitagsmedien_Spukki-2_Seite_1Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei Programm für schlichte Gemüter und ein TV-Fossil gefunden.

Letztgültige Wahrheiten brauchten schon immer etwas Zeit, um anerkannt zu werden. Für jene, dass die Erde keine Scheibe sei, kam man lange aufs Schafott. Dass der Mensch vom Affen stammt, galt noch vor Jahrzehnten als Ketzerei. Ganz zu schweigen von Prügel, die Kindern erst seit kurzem doch weniger gut tun als Worte. Man muss es Pro7 also nachsehen, dass es sich mit Zähnen, Klauen, bald gar Juristen gegen die Erkenntnis fortschrittlicher Wesen wehrt, Heidi Klums Entertainment sei schädlich fürs die junge Zielgruppe.

Bis auch der Privatkanal vom Baum der Erkenntnis kostet, wird er also weiter glauben, nur halbnackte, willenlose, dürrgekotzte Mädchen sind gute Mädchen. Da kann der Psychiater Manfred Lütz noch so klagen, „Germany’s Next Topmodel“ nehme deren Tod „eiskalt“ in Kauf, was eine Studie des Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen mit 214 essgestörten Menschen insofern stützt, als ein Drittel beteuert, Klums Show habe „sehr starken Einfluss“ auf ihre Krankheit. Und was macht Pro7? Verweist auf Werbung für Sport und gesunde Ernährung!

Na ja, wer sein Programm so konsequent nach dem Bedarf schlichter Gemüter ausrichtet, hat es halt nicht so mit Verantwortungsgefühl, Wahrheitsliebe und ähnlichen Störfaktoren des Entertainments. Ohne die schafft man es halt besser, Jugendliche vom Tochscreen zum Bildschirm zu locken. Und wenn es wie Donnerstag beim Finale eine Bombendrohung gibt, bricht das Klum-Imperium stoisch ab, evakuiert à la Titanic erst die wertvollen Leute, VIPs genannt, und wiederholt die Show zwei Wochen später als Konserve, als sei nichts gewesen. Sicher ist sicher ist lukrativer.

Die Erinnerung an bessere Fernsehzeiten

So kühl hätte ein anderer, allerdings abgedankter Quotenloser nie reagiert. Schon deshalb ist Jan Böhmermanns Lob zum 65. Geburtstag von Thomas Gottschalk nicht nur wohlwollend, sondern wahr. Selbst wenn es der Veteran versuchen würde, schwärmt sein legitimer Nachfolger, könne Deutschlands „letzter echter großer Fernsehentertainer“ nicht verbergen, dass er die Menschen mag“.

Auf dem Gabentisch liegen aber nicht nur warme Worte, sondern auch eine als Geburtstagsshow getarnte Gratisreklame, die RTL am Jubeltag sicher zufällig nach Gottschalks Autobiografie „Herbstblond“ betitelt. Aber wen stört derart offene Schleichwerbung schon angesichts eines TV-Fossils, das uns so wohlig an bessere Fernsehzeiten erinnert.

Beine statt Harmonien

Solche zum Beispiel, in denen Eurovision Song Contest noch Grand Prix d’Eurovision de la Chanson hieß und echte Lieder präsentierte statt Marschmusik kapitalistischer Verwertungslogik. Am Samstag, live im Ersten aus Wien, sehen wir also abermals Beine statt Harmonien, nicht Texte, nur Dekolletees – was ein guter Übergang zur Unverschämtheit der Woche ist. Sie heißt „Zum Teufel mit der Wahrheit“, klaut schamlos die ausgelutschte Idee einer Frau, die dank magischer Kräfte zwanghaft die Wahrheit sagt und besetzt es mit Bettina Zimmermann, die auch mit 40 wie ein bulimischer Teeny durch ihre Filmchen stöckelt.

Für Fernsehen mit mehr Inhalt als Optik muss man schon ins Spartenprogramm abtauchen. Zu Arte etwa, wo Freitag (20.15 Uhr) Axel Ranischs Coming-of-Age-Drama „Ich fühl mich Disco“ um ein weniger wohlgeformtes Muttersöhnchen läuft, das nach Muttis Tod mit sich, seinem Vater und der Welt ringsum klarkommen muss, was von tragikomischer Originalität ist. Tiefer im Abseits findet sich ab Donnerstag die Sitcom „Im Knast“. Klingt plump, ist aber ein liebenswertes Stück Low-Budget-Fiction mit Denis Moschitto als einer von drei Insassen, die sich mit wechselnden Gaststars auf ZDFneo durch den Gefängnisalltag wurschteln.

So richtig weit – zum Pay-TV-Kanal RTLcrime – muss man parallel um 21 Uhr zur furiosen Provinzgroteske „Braunschlag“ mit Robert Palfrader als verschlagener Bürgermeister einer österreichischen Kommune abwärts, was ARZDF offenbar zu absurd war. Besser platziert ist da der dokumentarische Tipp dieser Tage, Mittwoch um 20.15 Uhr im MDR: „Rechte Gewalt“, ein erhellender Film über braune Schnittstellen vor und hinter den Stadiontoren. Mit rechtem Fanatismus hat auch die schwarzweiße „Wiederholung der Woche“ zu tun: George Clooneys „Good Night, and Good Luck“ von 2005, der Donnerstag (1.55 Uhr, ARD) die Zeit der McCarthy-Ära im Stil der 50er ästhetisiert. Älter, aber in Farbe: Luchino Viscontis todessehnsüchtiges „Tod in Venedig“ von 1971 (Montag, 20.15 Uhr, Arte), ein Meilenstein der homophilen Emanzipation.

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