Medienkolumne: Freitags Montag

Medienkolumne
Jan Freitag

Freier Journalist und Autor | Blog: http://freitagsmedien.com/ | Schreibt bei Mittendrin über die "Wahnsinnsstadt" Hamburg und den wöchentlichen TV-Dschungel

freitagsmedien_Spukki-2_Seite_1Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel der Woche gekämpft und ein emanzipiertes Wondergirl und einen Glücksfall fürs Fernsehen gefunden.

Roger Willemsen ist tot, mit gerade mal 60 Jahren. Das klingt zunächst nach einem unerfreulichen Einstieg in einen Text, der die Medienlandschaft mit gewisser Leichtigkeit durchreisen möchte. Deshalb sollten wir es an dieser Stelle mit der Fröhlichkeit südstaatlicher Trauerzüge halten, die den Hinterbliebenen das Leben nicht schwerer machen, als es ohne die Verstorbenen bereits ist, sondern frohgemut dafür danken, was sie hinterlassen. In diesem Fall: Fernsehen mit Niveau, Publizistik zum Niederknien, eine Debattenkultur, die unsere Gesellschaft mit etwas bereichert hat, was selten geworden ist in Zeiten des Hasses: Nonchalance, Witz, Charme, auch Selbstgerechtigkeit, gewiss, aber eine, die auf Neugierde und Klugheit beruht.

Was also hätte Willemsen zu Medienthemen der Vorwoche gesagt: Die „Tagesschau“ zeigt einen zehnsekündigen Handyfilm aus dem Unglückszug von Bad Aibling, in dem viel wackelt, aber wenig zu sehen ist, weshalb der Nachrichtenwert gegen Null tendiert? Womöglich: Blickt durch die Augen des Zuschauers, aber denkt mit eigenem Verstand, ergo: nix gegen Amateurvideos, aber nur, weil es sie eben gibt. Zweites Beispiel: Matthias Schweighöfer produziert, dreht, spielt ab Mai die erste Amazon-Serie in deutscher Sprache, in der es um irgendwas mit Hackern geht? Antwort: Ein Glücksfall fürs Fernsehen, dieser Junge – fröhlich, attraktiv, mitreißend, massenkompatibel, also ideal für den Instantabruf, weshalb sich dann halt andere für nachhaltigere Formate engagieren können! Zuletzt: Pro7 zeigt eine Dating-Show mit weiblichem Single im erotischen Nahkampf mit zwölf rolligen Kerls und nennt sie kopulationsheischend „Kiss Bang Love“? Vielleicht müsste man den Titel der Vollständigkeit halber um „Dschungelcamp“ erweitern! Das wäre so eine Replik in Willemsen-Manier gewesen.

Grotesk schlichtes Belehrungsentertainment

„Der Hodscha und die Piepenkötter“ allerdings hätte wohl selbst den Gefühlsintellektuellen aus Bonn sprachlos gemacht. Im Schwall multikultureller Clash-Komödien, der sich auf deutsche Flatscreens ergießt, ist diese am sozialkritischen ARD-Mittwoch von grotesker Schlichtheit. „Handlung“ in Kürze: Stadt am Rhein soll große Moschee kriegen. Wutbürger treiben die Politik zur Gegenwehr. Christliche Bürgermeisterin mit putzigem gerät mit muslimischem Bauherr mit sprechendem Namen aneinander. Am Ende werden Unbelehrbare kleinlaut, Wankelmütige weise and all live happily ever after. Öffentlich-rechtliches Belehrungsentertainment der einfachen Art.

Da könnte es sein, dass „Sido in the Box“ heute (23.10 Uhr, Pro7) der Integrationsdebatte klügere Aspekte entlockt, wenn der zusehends bürgerliche Hass-Rapper als Nachfolger von Oli Schulz an einem unbekannten Ort ausgesetzt wird. Dem Vernehmen nach dürfte es da rustikaler zugehen als dort, wo 25 Minuten zuvor eine hochinteressante Dokumentation spielt. In „Milliarden für Millionäre“ widmet sich die ARD den Reichsten des Landes und wie sie mit staatlicher Unterstützung immer nur noch reicher werden. Das klingt noch bitterer, wenn sich Eva Schöttelndreier anschließend unterm Titel „Wie solidarisch ist Deutschland“ in die soziale Kluft stürzt.

Klischeehafter Groschenroman

Doch so sehr die derzeit wachsen mag: So tief wie vor 200 Jahren dürfte sie sobald nicht mehr werden. Damals blieb, wer von ganz unten war, für immer ganz unten, während sich die, die ganz oben waren, schon ganz schön ungeschickt anstellen mussten, um abzustürzen. Umso absurder ist „Die „Hebamme“, mit der Sat1 am Dienstag den Groschenroman um Josephine Preuß als emanzipiertes Wondergirl fortsetzt, das sich in frauenfeindlicherer Zeit gegen männlichen Widerstand behauptet. Warum der renommierte Regiseur Hannu Salonen so einen Müll dreht? Vielleicht aus demselben Grund, warum Roland Suso Richter das gleiche Thema für die ARD ähnlich klischeehaft ins Mittelalter versetzt: Och, warum nicht…

Also besser doch auf Sixx umschalten. Hier läuft Mark Christophers furiose Partykulturstudie „Studio 54“ über die legendäre New Yorker Disco der Siebziger erstmals als Director’s Cut, den die US-Zensur 1998 gnadenlos zusammengeschnitten hatte. Auch musikalisch, aber weniger exzessiv geht es tags drauf zur gleichen Zeit bei EinsFestival zu, wenn einem Porträt des Multioptionskünstlers Heinz Strunk die Verfilmung seiner Dorfkapellenbiografie „Fleisch ist mein Gemüse“ folgt. Obwohl – das ist ja eigentlich eher eine „Wiederholung der Woche“, die parallel dazu schwarzweiß auf ZDFkultur zu sehen ist: „Katz und Maus“, Hans-Jürgen Pohlands satirische Gesellschaftskritik von 1967 nach Günther Grass mit zwei Brandt-Söhnen als merkwürdige Rekruten. In Farbe (Montag, 23.30 Uhr, ServusTV): Dustin Hoffman als „Marathon-Mann“ von 76 auf der Flucht vor Lawrence Olivier als KZ-Arzt Szell alias Mengele. Und der dokumentarische Wochentipp: „Ausgeschlachtet“ (Donnerstag, 20.15 Uhr, 3sat) über das bizarre System der Organe auf Bestellung für zahlungskräftige Kunden, gefolgt von einer Folge „scobel“ zum Thema.

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