Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel der Woche gekämpft und den Teufel vom gläsernen Bürger gefunden.
In umwälzenden Zeiten wie diesen freut man sich ja manchmal selbst über Nichtigkeiten, sofern sie kurz mal die Erinnerung an beständigere Zeiten wachrufen. Claus Theo Gärtner nämlich, so war gerade zu lesen, dreht an einem neuen „Fall für zwei“, wenngleich ohne Anwalt, weshalb es doch ein Fall für einen ist, der den greisen Privatdetektiv Matula in eine Seniorenresidenz führt und damit direkt ins Stammpublikum des ZDF. Das lenkt dann allerdings doch nur für Sekunden von der Realität da draußen ab.
Eine bizarre Zeit
In der gewöhnt man sich nämlich an vieles, was eigentlich alles andere als gewöhnlich ist. Die raumgreifende Flüchtlingsdebatte? Nimmt nun mindestens zwei Drittel jeder „Tagesschau“ in Beschlag, Abend für Abend für Abend! 28 Tote beim jüngsten Anschlag in Ankara? Da reichen den „heute“-Nachrichten hingegen kaum zwei Minuten zum Einstieg! Sondersendungen, Brennpunkte , Hysterie? Dafür müsste schon was an geografisch und atmosphärisch benachbarten Orten passieren, Paris zu Beispiel! Dass die gar nicht so diabolische Popband Eagles of Death Metal dort vorige Woche ihr zerschossenes Konzert vom 13. November beendet hat, war demnach zwar keine Spitzenmeldung, aber immerhin der Frontberichterstattung auf sämtlichen Kanälen wert. Wir leben in einer bizarren Zeit. Fachleute sprechen bereits von einer Epochenwende. Sie verändert alles. Auch die Medien. Besonders die.
Alles muss raus!
Um verbreitet zu werden, bedürfen Informationen jeder Art ja längst keines ordnenden „Mittelpunktes“ mehr, wie „Medium“ im Lateinischen heißt. Jede Botschaft, jeder Bericht jedes noch so dubiose Gerücht wird zusehends ungefiltert aus allen Rohren ins Hirn geschossen. Wer diesen Strom der Mitteilungen kanalisiert, am besten noch auf Papier, gilt da im besten Fall schnell mal als überflüssig, im schlechtesten als verlogen. Alles muss raus! Das findet auch Michelle Spark.
Sie vertreibt eine Brille, die ihr Umfeld scannt, mit dem digitalen Wissen darüber abgleicht und somit für maximale Transparenz sorgt. Claus Kleber berichtet, Markus Lanz diskutiert, Dunja Hayali lädt zum Praxistest, das außer Kontrolle gerät, als Daten eines Lehrers vorm Schwulenclub im ZDF-Bild erscheinen und seine Existenz vernichten, was den Auftakt einer Eskalationsspirale bis hin zum offenen Terror bildet. Zu futuristisch? In der Tat! Dank der Protagonisten aus 15 echten Formaten wirkt die Story zwar real, ist aber eine Mockumentary namens „Operation Naked“ von Mario Sixtus, die den Teufel vom gläsernen Bürger heute (23.55 Uhr, ZDF) nur scheinbar dokumentarisch an die Wand malt.
Aufgefrischt, bereichert, radikalisiert
Zwei Tage später sprengt dann auch Pro7 (22.15 Uhr) die fiktionale Grenze zur Wirklichkeit. In der Serienadaption des gleichnamigen Dokumentarfilms von Ryan McGarry wird an einem Krankenhaus in L.A. der „Code Black“ ausgerufen: Ärztemangel, Notfallplan, selbst halbfertige Mediziner müssen in den OP. Das Ergebnis ist eine Art radikalisierter „Emergency Room“, der in den USA für Furore sorgt und das weiße Fernsehballett wohltuend auffrischen könnte. Ein eher graumeliertes Genre wird Mittwoch im Ersten nicht aufgefrischt, aber bereichert: Das Zeitgeschichtsepos. Mit einem entfesselt glaubhaften Ulrich Noethen in der Titelrolle porträtiert die Königsdisziplin hiesiger Hauptabendunterhaltung den Frankfurter Staatsanwalt Fritz Bauer, der sich fast als einziger Juristen den braunen Seilschaften in der jungen BRD entgegenstellte. Ein fabelhafter Film übers Scheitern der Entnazifizierung, für die sich die schuldhaft verstrickte CDU ruhig mal entschuldigen könnte.
Als Kostüme noch bedeutsamer waren
Aber mit der Entschuldigungskultur ist es in der repräsentativen Demokratie nicht allzu weit her. Oder erwartet irgendwer, dass die Fifa Abbitte fürs kriminelle System leistet, das diese Woche mal wieder drei Dokus entlarven? Heute „Die Fußball-Mafia“ im Ersten (22.45 Uhr), morgen „Die große Fifa-Story“ auf Arte (20.15 Uhr), Mittwoch „Fifa: Das Foulspiel der Mächtigen“ im ZDF (23.05 Uhr). Letzteres natürlich nach Übertragung der Champions League, die das ZDF im vollumfänglichen Wissen all der Schweinereien darin nie infrage stellt. The Show must go blablabla.
Aus dem Grund folgt auf „Unser Lied“ für die dicke Bratensoße ESC in Stockholm am Donnerstag (ARD) am Sonntag die Übertragung der Oscars nebst Vorberichten ab 23 Uhr auf Pro7 – diesmal allerdings nicht präsentiert von Steven Gätjen, der drei Tage zuvor mit „I can do that“ seinen nächsten Auftritt im ZDF hat und auf Hollywoods rotem Teppich von keiner geringeren als Annemarie Carpendale ersetzt wird, die sich gewiss etwas weniger für die Filme als die Kleider der Stars interessieren dürfte, aber egal. Die schwarzweiße „Wiederholung der Woche“ stammt da entsprechend aus einer Zeit, als Kostüme noch bedeutsamer waren: „Der Herr der sieben Meere“ (Mittwoch, 14 Uhr Arte), Ursuppe des Freibeuter-Films von 1940 mit Errol Flynn als edler Freibeuter. Der Farbwiederholung hingegen fehlt es völlig an Glamour, aber nicht an Brillanz: „Waltz With Bashir“ (Samstag, 23.05 Uhr, RBB), Ari Folmans hypnotische Comic-Adapton aus dem Nahost-Konflikt von 2008.
Facebook
Twitter
Flattr
Google+
YouTube
Soundcloud
Paypal
Anmelden