Vierkanttretlager im Interview: „Husum ist die Miniaturwunderlandversion von Hamburg“

Foto: jenny Schäfer
Musik
Marvin Mertens
@MarvMertens

Ressortleitung Stadtgespräch | Kontakt: mertens@hh-mittendrin.de

Vierkanttretlager sind zurück. Mit einem besonderen Album und einer Botschaft. Mittendrin hat Sänger und Texter Max Leßmann, Schlagzeuger Leif Boe und Gitarrist Christian Topf zum Interview getroffen und mit ihnen über das Album „Krieg & Krieg“, über Husum und den Begriff „Yolo“ gesprochen.

Mittendrin: Ihr kommt ursprünglich aus Husum in Nordfriesland, was hat euch nach Hamburg verschlagen?

Max: In Husum ist die Infrastruktur schwierig für eine Band. Man ist ziemlich weit draußen, die zwei Läden, die es in Husum gibt, hat man schnell abgespielt und es ist einfacher, sich als Band in Hamburg zu bewegen. Natürlich haben wir in Husum auch schon viel gesehen, deshalb ist es schön, neue Eindrücke zu sammeln.

Christian: Wahrscheinlich sind wir noch nicht alt genug, um so einsiedlermäßig zurück zu gehen.

Leif: Und eigentlich sind auch alle unsere Freunde hier.

Christian: Husum ist so eine Wegzieherstadt.

Leif: Deshalb trifft man hier in Hamburg auch immer Husumer, wenn man abends etwas macht.

Max: Ich glaube, es gibt so eine Husumer Enklave in Hamburg.

Wie lange seid ihr schon hier und was gefällt euch an Hamburg?

Max: Ich bin seit zwei Jahren hier und die Jungs seit drei.

Christian: Hamburg ist so ein schönes Mittelding. Berlin wäre mir schon zu anstrengend. Hamburg ist nicht so aufgeregt. Es ist so ein bisschen das große Hususm.

Max: Husum ist die Miniaturwunderlandversion von Hamburg. Da gibt es viele Parallelen, vor allem das Maritime. Wir mussten uns nicht groß umgewöhnen.

Christian: Hamburg finde ich echt entspannt. Es gibt natürlich Ecken, wo man zu bestimmten Zeiten nicht sein muss, weil’s da dann echt voll ist, aber man kann hier wirklich gut und entspannt leben. Es ist immer etwas los. Das ist in Husum anders.

Max: Aber die Leute vom Speicher Husum machen echt einen richtig guten Job, die sorgen schon dafür, dass da etwas passiert.

Kommen wir zu eurer Platte. „Krieg & Krieg“ heißt sie, was steckt hinter diesem Titel?

Max: Es gibt so ein Gedankenexperiment, das aus dem ersten Text zum Titelstück „Krieg und Krieg“ 2010 entstanden ist. Da steckt schon ganz viel drin, was im Verlaufe des Albums weitererzählt wird. Der Grundtenor ist: Die Menschheit wird sich durch Reflexion und Erscheinungen wie Selbstoptimierung und Digitalisierung darüber klar, dass wir uns zwar immer weiter entwickeln aber trotzdem irgendwie schlecht bleiben. Daraus reift ein rationaler Entschluss. Die Menschen sagen sich: Wenn’s sowieso nicht geht, lass es uns doch einfach lassen. Das wird auf der Platte durchexerziert. Bis am Ende nur noch zwei Menschen übrig sind und sich mit einem letzten Lied von der Welt verabschieden.

Würdest du „Krieg & Krieg“ als Konzeptalbum beschreiben?

Max: Es gibt zumindest diese eine Ebene, auf der man das so verstehen kann. Aber es gibt viel Platz, um ein eigenes Verständnis dafür zu entwickeln. Auch dadurch, dass wir natürlich viel mehr Lieder geschrieben haben als jetzt auf der Platte sind. Es gibt auch Stellen, wo es persönlich wird und es sich um die Frage dreht: Was macht das mit mir selbst?

Das Zeitungs-Artwork ist ein ziemlich besonderes Element. Wird das der Platte so beiliegen? Und was ist die Idee dabei?

Max: Bei der LP und der Box ist das dabei, bei der CD war’s etwas schwierig unterzukriegen.

Christian: Die Inhaltsebene hat sich um die Songs herum gebildet. Zuerst war nur der Text zu „Krieg und Krieg“ da und in dem steckte praktisch die Story. Aber die Platte ist kein vertontes Prosastück. Wir haben die Geschichte auch als Hörbuch gemacht, das ist in der Box dabei. Als uns klar war, dass wir wie zum ersten Album eine Zeitung machen wollten, haben wir den Text aus dem Hörbuch dafür genommen. An dem Hörbuch fanden wir gut, dass es so soft ist. Du kannst es einfach anmachen und auf dich wirken lassen. Die Zeitung ist halt kein Beipackzettel.

Max, du benutzt eine sehr bildreiche Sprache, aber ich hatte bei vielen Texten das Gefühl, dass da noch mehr dahintersteckt. Ist diese Art von Doppeldeutigkeit für dich ein Stilmittel?

Max: Das entwickelt sich oft beim Schreiben. In diesem Fall hatte ich vorher einen Motor. Die Idee aus „Krieg und Krieg“ hat sich entwickelt, aus der Realität gespeist. Diese Welt vom Album hat ja viele Bezüge zur realen Welt. Ich schreibe immer sehr impulsgesteuert. Diesmal lief es auf etwas hinaus. Ich habe auch viel mehr geschrieben, als auf der Platte zu hören ist. Einiges haben wir in anderen Stücken verwendet und wir haben viel darüber gesprochen. So hat sich das Puzzle zusammengefügt. Der Prozess hat gut zwei Jahre gedauert und ich habe mich persönlich auch sehr damit auseinandergesetzt. Es hat bei mir einen Denkanstoß gegeben und ich wünsche mir, dass das bei anderen Menschen auch so ist. Dass man sich dagegen wehrt, dass man nicht möchte, dass der Mensch schlecht ist.

Im Stück „Butterfahrt nach Camelot“ singst du: „Es gibt nichts gutes, besser man lässt es ganz“. Was meinst du damit? 

Max: Das ist eine Facette dieses Gedankenspiels. Es gibt ja diesen Spruch „Es gibt nichts gutes außer man tut es.“ Heute kann man die Konsequenzen seines Handelns aber sehr viel genauer nachvollziehen. Das kann gut sein, kann einen aber auch sehr belasten. Weil dann alles gute, das man tut immer irgendwie etwas Schlechtes auslöst. Man kann also nichts gutes tun, deshalb lässt man es lieber ganz. In dem Song gibt es die Zeile: „Ich würd’ gern werden, wer ich bin, doch wo kämen wir hin, wenn alle wären, wer sie sind“. Das ist genau das gleiche praktisch. Nach dem Motto: „Wenn hier jeder macht, was er will, geht alles den Bach runter“. Das möchte ich infrage stellen. Ich wünsche mir, dass jeder sein Ding machen kann, ohne dem anderen zu schaden. Aber es gibt halt immer dieses grundsätzliche Misstrauen.

Es tauchen immer wieder die Begriffe „Leben“ und „Tod“ auf, das passt ja auch zum Albumtitel. Eure letzte Platte heißt „Die Natur greift an“, das ist viel Konfrontation. Beschäftigt euch dieses Thema?

Max: Bei der letzten Platte war eigentlich auch schon genau das das Thema. Aber auf eine impulsivere Art und Weise. Da ging es genau darum, um leben und sterben und darum, dass in der Endlichkeit des Seins eine große Freiheit liegt. Das ist ein großes Thema bei Jugendlichen, aber irgendwie so oberflächlich. Dieses „Yolo“ bezieht sich darauf, dass der Gedanke missverstanden wird. „Wenn alles egal ist, geh ich eben einen Saufen“. Da bestätigt sich dann das Misstrauen. Für mich ist diese Freiheit aber ein großer Motor. Das gibt mir viel Kraft. Ich muss nicht alles so wichtig nehmen. Wenn im Endeffekt egal ist, ob ich es mache oder nicht, kann ich es auch machen. Aber etwas Gutes. So kann man dem Bedeutungslosen kurz eine Bedeutung geben.

Drei Jahre sind seit eurer ersten Platte „Die Natur greift an“ vergangen. Was hat sich beim zweiten Album für euch verändert? 

Leif: Die Band gibt es schon seit 2007 und wir haben die erste Platte gemacht, weil wir dachten, wir müssen jetzt mal ne Platte machen. Wir haben halt immer nur Songs geschrieben. Nach der ersten Platte war klar, dass eine zweite Platte folgt und da hatten wir schon ein bisschen mehr den Dreh raus. Wir sind anders rangegangen, geplanter, und haben nicht einfach drauflos geschrieben.

Max: Die Art wie wir gearbeitet haben, hat sich aber nicht doll verändert.

Leif: Es war zeitlich komprimierter und dadurch auch Intensiver. Die erste Platte ist noch nach der Schule entstanden und jetzt haben wir hauptsächlich nur Musik gemacht. Wir haben uns morgens getroffen, den Tag durchgearbeitet und uns am nächsten Morgen wieder getroffen. Das war anders als bei „Die Natur greift an“.

Christian: Am besten hat es funktioniert, wenn wir mal sechs, sieben Tage am Stück zusammen waren. Da ist am meisten entstanden, weil wir uns da anders fokussieren konnten.

Max: Dadurch konnten wir diesen toten Punkt überwinden. Manchmal saßen wir im Proberaum nach dem Mittag und sind dann einfach nach Hause gegangen, weil wir einen Durchhänger hatten. Das ist dann schon frustrierend. Bei unserer Probewoche bei einem Freund ging das halt nicht, wir waren ja nur deswegen dort. Wenn man den toten Punkt überwunden hat, gibt es auch eine Lösung. Und mir ist aufgefallen: das ist eigentlich auch ein schöner Brückenschlag zum Thema das Albums.

Ihr geltet als ausgezeichnete Live-Band. Geht ihr mit der Platte auf Tour?

Leif: Klar! Im Mai, am 13. gehts los in Zürich und dann sind wir zehn Tage unterwegs. In Hamburg spielen wir am 20. Mai im Molotow.

Christian: Wir haben einen zweiten Gitarristen mit auf Tour, der spielt Gitarre und Orgel und das gibt glaub ich nochmal viel Schubkraft. Wir haben halt auch auf der Platte viel Orgel, um an bestimmten Stellen Flächen zu geben. Das haben wir im Studio der Band Die Sterne aufgenommen mit einer ziemlich speziellen Orgel. Aber es ist kein zentrales Element. Nur in zwei Stücken kommt es mehr heraus.

Am 17. April kommt eure Platte „Krieg & Krieg“ raus. Gibt’s eine Release-Show?

Leif: Ja, wir spielen ab 20 Uhr ein Release-Konzert in der Hanseplatte. Der Eintritt ist frei.

Foto: Jenny Schäfer
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