Am Sonnabend feierte „Front“ seine Uraufführung am Thalia Theater. Dem Ensemble gelingt es dem Publikum die Schrecken des Krieges auf beklemmende Art und Weise nahe zu bringen.
Wie bringt man den Schrecken des Krieges auf die Bühne? Braucht es dafür nicht detaillierte Kulissen, Rauch, Blut und Explosionen? Die Antwort des belgischen Regisseurs Luk Perceval ist: nein. Bei der Uraufführung der Polyphonie „Front“ im Thalia Theater erwartet die Zuschauer ein einfaches Bühnenbild. Lediglich eine riesige Metallwand schwebt hinter den Schauspielern. Diese sind ebenfalls in einfachen Hemden, Hosen und schwarzen Jacken gekleidet und werden nur von kleinen Lampen angeleuchtet.
Zudem bewegen sich die Darsteller bis auf wenige Ausnahmen kaum. Trotzdem gelingt dem Ensemble ein beklemmendes Bild von der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu zeichnen. Die Schrecken des Ersten Weltkrieges erreichen die Zuschauer durch Mimik, Gestik und Sprache der Schauspieler. Das alles vor der beeindruckenden Klangkulisse des Musikers Ferdinand Försch.
Anonym und doch bedrückend nah
Das Stück basiert auf den Werken „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque, „Le Fleu“ von Henri Barbusse und originalen Dokumenten aus der Zeit zwischen 1914 und 1918. Das Stück stellt die einfachen Soldaten in den Vordergrund, die sich vier Jahre lang in den schlammigen, rattenverseuchten Gräben in Belgien und Frankreich gegenüber gelegen haben. In vier Sprachen erzählen die „Frontschweine“ von ihrem Alltag im Krieg. Von Tod, Verwundung und Hoffnungen. Die Schauspieler erscheinen dabei distanziert und abwesend. Kaum einer sticht besonders aus der Gruppe hervor. Es ist die Anonymität des Krieges, die so auf unheimliche Weise zutage kommt. Niemand ist besonders. Es gibt keine Helden, keine Bösewichte. Tod und Leid machen alle gleich ersetzbar.
Gleichzeitig gelingt es den Darstellern jedoch, eine merkwürdige Nähe zu den Zuschauern aufzubauen. Das Publikum fühlt sich berührt, wenn Wut, Trauer und Verzweiflung plötzlich hervorbrechen. Die Schauspielern schaffen es, diese Emotionen brillant zu verkörpern. Dabei sind es besonders die engen Beziehungen zwischen Soldaten und anderen Charakteren, wie Familienmitgliedern und Krankenschwestern, welche die Männer kurzzeitig aus der Anonymität holen. Wenn sie dann wieder in das namenlose Sterben der Westfront verschwinden und zum nächsten Angriff geblasen wird, wird das für das Publikum zu einem äußerst bedrückenden Erlebnis.
Sehnsucht nach Stille
Besonders die Geräuschkulisse, die Ferdinand Försch erschafft, trägt zu der beklemmenden Atmosphäre von „Front“ bei. Mit riesigen Metallblechen, Rohren und anderen metallischen Gegenständen erzeugt der Musiker ein donnerndes, schepperndes, krachendes Abbild des Krieges für die Theaterbühne. In manchen Momenten kommt es dem Zuschauer so vor, als könnten die fremdartigen Töne, die durch den Saal hallen, nur digital erzeugt werden und kämen daher vom Band. Doch Försch erzeugt alle Geräusche live, was die Klangkompositionen umso beindruckender macht.
Ruhige Momente sind dabei selten. Permanent sind im Hintergrund Geräusche zu hören. Mal leise, aber dennoch deutlich hörbar, erheben sie sich plötzlich zum bedrohlichen Donnergrollen des nahenden Angriffs. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung eines schreienden Verwundeten: Försch setzt dies mit einem metallischen Kreischen um, das dem Publikum durch Mark und Bein geht. Die dauernde Geräuschkulisse lässt den Zuschauer so die Anspannung der Soldaten mitfühlen, für die Momente der Stille fernab der Front genauso besonders sind, wie für das Publikum während des Stückes.
Durch und durch beeindruckend
Schauspieler, Regie, Ton und Bühnenbild schaffen es den Ersten Weltkrieg, der in diesem Jahr seinen hundertsten Jahrestag begeht, auf die Bühne des Thalia Theaters zu holen. Die Ausdrucksstärke der Darsteller und die dauernde Geräuschkulisse stellen eine besondere Nähe zu den Soldaten dieses längst vergangenen Krieges her – ein Gefühl, das durch die Originalbilder, die im Hintergrund eingeblendet werden, noch verstärkt wird. Wer „Front“ sieht wird auch anders über die Kriege unserer Zeit denken.
„Front“ läuft noch bis Ende Juni am Thalia Theater. Karten gibt es hier.
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