Stadtgespräch

Auslandstagebuch Israel: Erinnerungen an die Westbank Teil I

Stadtgespräch
Carolin Wendt

Redakteurin | Dipl.-Psychologin | wendt@hh-mittendrin.de | blog: http://lexy04.wordpress.com/

Auf und davon: Unsere Redakteurin Carolin Wendt hat den Bezirk, die Stadt und Deutschland hinter sich gelassen und entdeckt gerade Israel. Auf ihrem Blog schreibt sie über ihre Erlebnisse. In drei Teilen erinnert sie sich an eine Reise in die Westbank.

Seit Tagen ist der Himmel eine einzige graue Wolke und Häuser und Straßen verstecken sich hinter einem Schleier aus Regen. Behörden lassen mich viel warten und ich habe mir gedacht, ich tue so, als wäre heute nicht heute, sondern heute vor elf Monaten. Da habe ich vier Tage in der Westbank verbracht… Los geht’s..!

Vier Tage Westbank

Eine tiefe Stimme dröhnt aus den Lautsprechern. Hunderte von Männern stehen dicht gedrängt in Reihen nebeneinander. Gesicht und Körper zur Mittagssonne nach Süden, den Blick gen Boden gerichtet. Vor ihnen liegt ihr Gebetsteppich. Einige hasten die Stufen der Treppe zum Al Manger-Platz herunter, um sich in die Reihen einzuordnen. Die Stimme wird lauter, das Freitagsgebet beginnt. Bethlehem steht still. Dann Bewegung: Die Betenden knien nieder, dreimal. In der hinteren Reise steht ein kleiner Junge, der einem anderen Jungen ständig in den Rücken piekt. Fünfzehn Minuten später ist die Stimme verstummt und auf dem Al Manger-Platz bleiben nur parkende Autos und Straßenverkäufer, die Tee anbieten zurück. Und plötzlich ist die Sicht frei auf die Geburtskirche. Es ist Freitagmittag und ich bin zum ersten Mal in der Westbank.

Der Weg hierher von Jerusalem aus war einfacher, als erwartet. Für sieben 7 Schekel (weniger als zwei Euro) fährt ein Bus von Jerusalem hierher. Dass wir eine Grenze überschritten haben, habe ich nur daran bemerkt, dass die Straßenschilder nur noch auf Arabisch sind. Keine Kontrollen, keine Mauer. Auf dem Weg nach Bethlehem stehen vereinzelte Häuser in der kargen, bergigen Landschaft. Kaum habe ich einen Fuß auf den Bürgersteig gesetzt, spricht mich ein junger Mann an: „Come! I show you the way to the center, come, come.!“ „No no, it’s allright, I go there on my own.” “No, come, I go with you, I show you around.” Er bleibt so nah an mir, dass ich ihm auf die Füße trete, als ich an ihm vorbei möchte. „But, can you tell me which direction I’ve to go.“ Er zeigt die Straße entlang. Nach einigen Minuten und mit Google-Maps in der Hand stehe ich auf den Stufen, die zum Al-Mangerplatz im Zentrum Bethlehems herunter führen und erreiche ihn, als das Freitagsgebet beginnt.

Als das Gebet beendet ist, gehe ich zur Geburtskirche. Vor dem unscheinbaren, grauen Mauerwerk der Kirche lächelt ein japanisches Pärchen in die Kamera. Viele Touristen sind hier und ich höre Guides, die Deutsch, Englisch und Russisch sprechen. Ein Reiseführer erzählt die Geschichte der Eingangspforte, bevor er und seine Gruppe selbst nach und nach stark gebeugt durch die Tür schreiten und im Inneren der Kirche verschwinden. Die Eingangspforte ist nur 1,2 Meter hoch, um es Angreifern zu erschweren, in die Kirche einzudringen. Ich gehe weiter zur Milchgrotte. Wer an den Steinen hier leckt, erhöht angeblich seine Fruchtbarkeit. In der Grotte ist es kühl. Frauen sitzen auf Bänken und schweigen.

Reisen ist nicht einfach

Einige Meter weiter spricht mich ein Mann, der vor einem kleinen Lebensmittelgeschäft steht, an. Als Schutz vor der Sonne, die sich in dem silbernen Kreuz um seinen Hals spiegelt, trägt er ein Tuch auf dem Kopf: „How are you? What are you doing here, are you hungry?“ Und ob ich wüsste, wo ich heute übernachte. Weiß ich noch nicht, eigentlich wollte ich Couchsurfen, aber die Frau, bei der ich schlafen wollte, meldet sich nicht mehr. Er empfiehlt mir ein Hostel namens Le petit prince und lädt mich zum Tee ein. Jeryes ist 29 Jahre und christlicher Araber. In seinem Laden hängen Geldscheine aus aller Welt. Einen Euro-Schein hat er aus Berlin mitgebracht. Dort habe er für einige Monate studiert, als das Reisen noch einfacher war. Seit einigen Jahren sind die Gesetze verschärft, und er darf nur noch mit Sondergenehmigung die autonomen palästinensischen Gebiete verlassen. Seine Mutter, zwei Tanten und eine Cousine kommen herein. „He has got the best smile!“, schwärmt eine Tante unaufhörlich und Jeryes lächelt tatsächlich oft und herzlich. Als ich den Laden verlasse, ruft mir jemand hinterher: „German girl!“ Ich drehe mich um. „Do you remember, I talked to you.“, sagt er. Ja klar, es ist der Mann von der Bushaltestelle.

Zu Besuch im Flüchtlingslager

Am Nachmittag gehe ich zum Flüchtlingslager Dheisheh. An der Hauptverkehrsstraße, die zum Camp führt, sind die meisten Geschäfte geschlossen, ab und an hat ein Kiosk geöffnet. Die Häuser sind alt und es liegt viel Müll auf den Straßen. Das Camp gibt es seit über 60 Jahren, es wurde von Palästinensern gegründet, die ihre Heimat mit der Staatsgründung Israels 1948 verloren haben. Das Lager hier unterscheidet sich optisch nicht von den Häusern drum herum. Ich frage in einem Geschäft, wo das culturel center des Dheisheh ist, da man dort auch übernachten kann. Verkäufer und Kunde sprechen kein Englisch. Nach fünf Minuten ist der Laden gefüllt und mehrere Personen versuchen mir gleichzeitig Auskunft zu geben. Die meisten von Ihnen auf Arabisch. Der Rest hört zu. Ein kleiner Junge mit Fahrrad wird mit mir mitgeschickt, um mir den Weg zeigen. Als wir ankommen, hält er mir seine geöffnete Hand entgegen: „Schekel. One.“ Im Gebäude begrüßt mich ein junger Mann. Die Wände sind bunt bemalt. Zwei asiatische Mädchen warten mit mir. Sie sind für zwei Tage in der Westbank und wegen der Kunst hier. Das culturel center des Flüchtlingcamps ist überregional für seine Künstler bekannt und international für seine Tanzgruppe. Im Hinterzimmer der Rezeption sind beeindruckend viele Pokale nebeneinader aufgereiht. Ich unterhalte mich mit dem Mitarbeiter und zwei Bewohnern, entscheide mich dann aber gegen ein Zimmer, weil das Zentrum zu weit weg ist.

„It´s like a prison“

Zurück im Zentrum werde ich von Josh angesprochen. Er wirkt wie Mitte 20, sitzt umringt von Holzkreuzen und Krippenfiguren am Tisch seines Souvenirladens und tippt auf seinem Tablet. Er fragt nach meinem Namen und nimmt einen Schluck aus einer Bierflasche. „Carolin.“ „Oh, really?“, er lacht. „My ex-girlfriends name is Carolin.“ Natürlich…, denke ich. Dann zeigt er mir ihren Facebook-Account. Er hat ein halbes Jahr in Deutschland gelebt und war mit ihr ein Jahr lang zusammen. Er spricht Deutsch, Arabisch, Englisch und Französisch. „But what does it matter now? I can’t travel“, sagt er. Er könne nicht mal mehr ans Meer. Und er habe das Meer geliebt. „We can’t have fun anymore. It is like a prison.“, sagt er. Er trinke viel, warum nicht wenigstens so Spaß haben. Auch er ist christlicher Araber und darf Alkohol trinken. In den autonomen palästinensischen Gebieten ist Alkohol verboten, außer in Bethlehem und Ramallah. Er und seine Freunde wollen heute ausgehen. Wenn ich mag, könne ich mitkommen. „You want to drive, drunken?”, frage ich. „Of course!“, antwortet er. Ich gehe nicht mit.

Ich schlafe im Le petit prince. Das Hostel wird von Francois geführt. Francois spricht Englisch mit diesem französischen Akzent, der einfach alles sympathisch werden lässt (zumindest für Frauen..). Seine Haare sind ungekämmt und er trägt eine runde Brille mit dickem Rand. Er verwechselt mich irgendwie, bringt sämtliche Reservierungen durcheinander, aber letztendlich meistert er die Herausforderung, mir für eine Nacht einen Platz im Schlafsaal zu geben.

Ihr habt den Anfang von Caros Reise verpasst? Hier könnt ihr nachlesen, was sie bisher erlebt hat.

Hier geht´s zu Caros Blog.

Foto: Carolin Wendt

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