Stadtgespräch

Auslandstagebuch Israel: Erinnerungen an die Westbank Teil II

Stadtgespräch
Carolin Wendt

Redakteurin | Dipl.-Psychologin | wendt@hh-mittendrin.de | blog: http://lexy04.wordpress.com/

Auf und davon: Unsere Redakteurin Carolin Wendt hat den Bezirk, die Stadt und Deutschland hinter sich gelassen und entdeckt gerade Israel. Auf ihrem Blog schreibt sie über ihre Erlebnisse. In drei Teilen erinnert sie sich an eine Reise in die Westbank.

Seit Tagen ist der Himmel eine einzige graue Wolke und Häuser und Straßen verstecken sich hinter einem Schleier aus Regen. Behörden lassen mich viel warten und ich habe mir gedacht, ich tue so, als wäre heute nicht heute, sondern heute vor elf Monaten. Da habe ich vier Tage in der Westbank verbracht… Los geht’s..!

Hier geht es zum ersten Teil der Westbank-Reise.

Hebron – Kamele im Glas, Lügner und Geschichte

Als ich mein Bettzeug hochtrage, ist Francois gerade aufgestanden. Die tiefstehende Sonne scheint durch die schmalen Gassen, der Markt ist bereits mit Obst, Gemüse, Elektrogeräten, Kleidung und dem Geruch von geräuchertem Fleisch gefüllt. Frauen mit Kopftuch und Männer gehen herum, kaufen, feilschen, stehen und gucken. Meine Chance auf Laufschuhe. Neben einer kleinen Lagerhalle sind gebrauchte Schuhe auf dem Boden aufgereiht. Ein alter Mann mit sonnengegerbter Haut sitzt daneben und puhlt die Sohle der Turnschuhe heraus, klebt und putzt sie. Ich finde ein Paar, das passt. Fünf Männer stehen neben mir. Ich frage, wer die Schuhe verkauft. Einige gucken mich an, erst reagiert niemand, dann wenden sie sich an den alten Mann auf dem Fußboden. Ich frage noch, woher die Schuhe kommen, aus Israel. Ich versuche die Schuhe herunterzuhandeln, und kaufe sie für 30 Schekel, also sechs Euro, nicht schlecht.

Dann geht es mit einem Sammeltaxi nach Hebron. Neben mir sitzen zwei verschleierte Frauen. In Hebron hält das Taxi am Al Manara Square. Hier ist alles voller Autos! Die meisten von ihnen sind Taxis, die hupen. Auf den schmalen Gehwegen ist kaum Platz. An jeder Ecke ist ein Falafel- und Sharwama-Stand. In Hebron möchte ich über couchsurfing bei Mo schlafen. Wir wollen uns an der Hebron Universität treffen. Ich finde ein unscheinbares Gebäude, an dem „Hebron Universitity“ geschrieben steht. Gefunden? Ich rufe Mo an. „I am there“, sagt er. „Me, too“, sage ich. Wir wissen nicht so recht weiter und ich verstehe sein Englisch schlecht. Ich drücke dem Nächstbesten, der einigermaßen vertrauenswürdig aussieht, mein Handy in die Hand. Er unterhält sich mit Mo und erklärt mir dann, wo das Uni-Hauptgebäude ist. Ich solle ein Taxi nehmen, er schreibt mir alles auf. Er schreibt auch etwas auf Arabisch, das ich den Taxifahrern zeigen soll, damit ich nicht zu viel bezahle. Mit dem Taxi finde ich die Uni und Mo. Er ist groß, trägt eine halboffene Jacke und Sonnbrille. In seiner Wohnung treffe ich einen weiteren Couchsurfer, Richard. Groß, drahtig und schlank reicht er mir seine Hand. „Hei, hooohww are youu?“ Schotte. Er ist 32 Jahre, hat vier Jahre lang in Oman Englisch unterrichtet und sei jetzt freier Journalist, also zumindest habe er da so eine Idee, worüber er schreiben könne, vielleicht.

Der Wunsch nach Frieden

Zusammen mit Richard gehe ich zurück zum Zentrum. Einige Männer sitzen auf dem Boden und protestieren, um sie herum sind Banner mit den Gesichtern dreier Männer. Alle drei sind in israelischen Gefängnissen, einer von Ihnen (Ayram Shawana) ist seit 200 Tagen im Hungerstreik. Er kann nicht mehr gehen und ist mittlerweile fast blind. Hier in Hebron sind die drei Helden. Im Gefängnis sitzt Ayram, weil er an einem Terroranschlag (bei dem der Sprengstoff nur halb zündete) in Be’er Sheva  beteiligt war, bei dem 18 Menschen schwer verletzt wurden.

Alle zehn Sekunden höre ich ein „Hello. How are you? Welcome to Hebron.“ Ein Junge mit weißem Hemd, schwarzer Hose und schwarzen Schuhen schließt zu mir auf. Seine Kleidung wirkt feierlich. Er studiere Geschichte an der Uni, sei 20 Jahre alt und in seiner Freizeit mache er Touren durch Hebron. „I want the people from all over the world get to know the history of Hebron.“ Wir gehen ins Herz der Altstadt. Über der schmalen, mit Menschen und Ständen gefüllten Gassen hängt ein engmaschiges Netz. Ayman, so heißt der Junge, zeigt auf die Flaschen und den Müll, die darauf liegen. In Hebron gibt es fünf jüdische Siedlungen. Das sind ungemein viele. Die Siedler, deren Wohnungen direkt über der Altstadt liegen, werfen Steine und Müll, manchmal auch Nägel oder schütten Säure auf die Palästinenser (das erzählt Ayman zumindest). Den jüdischen Siedlern ist der Zutritt in die Altstadt verboten, und den Arabern der Zutritt zu den Siedlungen. Die Siedlungen sind von einem Zaun umgeben mit israelischen Soldaten an den Übergängen. In den Siedlungen wohnen vor allem Orthodoxe, die der Überzeugung sind, dass dieses Land nach der Thora ihnen gehört. Außerdem sind die Wohnungen in Israel teuer, in den Siedlungen spottbillig. Wir gehen weiter. Ayman erzählt, das er im Hebron Peace Center arbeitet. Irgendwie glaube ich ihm fast, dass er sich Frieden wünscht; für Palästinenser und Juden. Trotzdem, mit  jeder Geschichte, die er mir erzählt und mit jeder Ecke, die er mir zeigt, betont er das Leid der Menschen hier.

Kamele im Glas

In der Altstadt verkauft ein Mann mit stechend blauen Augen kleine Gläser, die er mit buntem Sand füllt und so Motive entstehen lässt. Er lädt mich ein, ihm zu zugucken und hebt ein kleines Brett an, das seinen Verkaufstisch vom kleinen Innenraum wie eine Schranke trennt. Ich setze mich auf einen Hocker. Mit einem alten Wasserkocher kocht er Wasser und füllt nebenbei ein weiteres Sandglas. Durch einen Trichter lässt er den farbigen Sand in das Glas rieseln. Dann macht er mit schwarzem Sand drei ovale Formen in den beigen Sand, die er mit dem Ende des Trichters so nach unten drückt, dass Beine und Schwanz entstehen. Noch einmal nachgedrückt rückt er Hals und Kopf zurecht. Im Glas sind nun drei Kamele. Als er den vielfarbigen Himmel und seine Verwirbelungen eingedrückt hat, drückt er den Sand fest, bis er sich nicht mehr regt. Er arbeitet gerade an einem Großauftrag für ein israelisches Mädchen, Rachel, das für ihren 14. Geburtstag 300 Gläser mit ihrem Namen für ihre Freunde haben möchte. Sein Sohn kommt vorbei, er hat in Hebron Innendekoration studiert, und findet keine Arbeit. Deswegen lernt er wie die Sandgläser gefüllt werden. Er zeigt mir sein letztes Glas. Die Kamele wirken wakelig auf den Beinen. Der Sandman möchte wissen, was mir am Flughafen über die Westbank erzählt wurde. „Nothing“, sage ich ehrlich. „For sure!“, entgegnet er. „They told you not to come here. They told you that it is forbidden to come here.“ Nein, das haben sie nicht. „They gave you information, that we are bad. That we are all terrorists“, redet er weiter ohne auf mich zu hören. Er glaubt mir nicht, dass Palästina bei meiner Einreise mit keinem Wort erwähnt worden ist.

Eine andere Welt

Ich gehe durch den Checkpoint in die jüdische Siedlung, ohne Kontrolle. Weltenwechsel: Von den lauten arabischen Ständen mit Verkäufern und alten Häusern in eine Totenstille. Geisterstadt. Ich folge der weiten Straße. Nichts versperrt mir die Sicht oder den Weg, kein Marktstand, kein Mensch. Einmal sehe ich zwei Kinder mit schwarzen Locken und Kippa auf einem Roller. Sie tragen Hemden und ordentlich gebügelte Hosen. Zu meiner Rechten ist auf einem Gebäude die Geschichte Hebrons in drei schön gemalten Bildern aufgemalt. Ich mag es nicht, wenn etwas so offensichtlich einseitig dargestellt wird, es ist wie beim Gespräch mit Ayman. Mir wird heiß. Was zeigen die Bilder? Die biblische Erstbesiedlung Hebrons, die Vertreibung der Juden 1928 aus Hebron nach Angriffen durch Palästinenser, die ersehnte Rückkehr der Juden in diesen Teil ihres geheiligten Landes 1967. Was zeigen sie nicht? Die Vertreibung der Palästinenser aus Israel 1948, die Vertreibung der Palästinenser nach den Kriegen 1967, das Massaker des Juden Goldstein in der Moschee hier 1994, bei dem er betende Palästinenser erschoss. Die Siedlung bleibt leer, zweimal komme ich an Soldaten vorbei, die jeweils zu zweit an der Straße stehen. In voller Uniform in dieser Hitze. Dann der Ausgang als Durchgang. Ein junger israelischer Soldat fragt, wie es mir geht. „Ani beseder, toda“, atnworte ich. Er lacht mich an. Ein Schritt durch die Tür wie damals in der Miniplayback-Show durch die Zauberkugel und dann bin ich wieder umgeben von aufgebrachten Stimmen und gestikulierenden Menschen.

Siedlertour mit Soldaten

Ein müde und ungesund aussehender Araber kommt auf mich zu. In der Hand hält er Armbänder mit der Aufschrift „Palestine“. „10 Schekel. For my family, for my family.“ Sein Vater sei 1994 bei dem Anschlag in der Moschee erschossen worden, er müsse sich allein um seine Geschwister kümmern. „How old are you?“, frage ich. „27 years“, antwortet er. So ganz glaube ich ihm die Geschichte nicht, aber so halb. Ich kaufe ein Band. Ein anderer, vielleicht gleichaltriger Mann begleitet ihn und versucht mir nun etwas von seinem Krimskrams zu verkaufen. Dieses Mal kaufe ich nichts.

Am Spätnachmittag sehe ich in der Altstadt eine Gruppe von Siedlern, es ist die wöchentliche Siedlertour. Um die Siedler herum stehen Soldaten mit ausnahmslos blutjungen Gesichtern. Sie halten Maschinengewehre in den Händen. Einer von ihnen sieht angespannt aus. Er hält das Gewehr vor seinem Gesicht und visiert die Leute, die um die Gruppe herumstehen, an. Die Soldaten wiederum sind umgeben von Freiwilligen, die für Friedensorganisationen arbeiten. Ich unterhalte mich mit einer blonden Frau aus Norwegen. Sie ist eigentlich Journalistin, und arbeitet für drei Monate für die Friedensorganisation, für lau. Ihr Kollege aus Schweden bekomme über 1500€ pro Monat, das liegt allein am Herkunftsland. Sie habe da Pech. In der Vergangenheit haben Siedler die Bewohner angegriffen oder ihre Geschäfte beschädigt. Darum die Friedensorganisationen. Alles verläuft ruhig, so wie meistens. Der Typ, dem ich das „Palestine“-Armband abgekauft habe, ist der einzige, der auf Arabisch die Siedler laut zu beschimpfen scheint. Bevor ich zurück gehe, kaufe ich ein paar wenige Karotten und Äpfel. Der Verkäufer zeigt mir fünf Finger. „Chamez, Chamsha“, sagt er. Fünf auf Hebräisch und Arabisch. Ich schüttel den Kopf und sage, das sei zu viel. Da nimmt er meine Tüte, wirft zwei Äpfel und drei Zuchini rein und zeigt drei Finger. Ich gebe ihm fünf Schekel. Er gibt mir lachend drei zurück. Verrückt.

Am Abend gehen Mo, Richard und ich Sharwarma essen und rauchen anschließend Shisha mit Minze-Apfel-Geschmack zusammen mit einem Stück Schwarzwälderkirsch-Torte auf einer Dachterrasse. Mo erwähnt, dass er die Altstadt nicht sehr mag, vor allem wegen der Bettler dort, die den Leute sonst was für Geschichten über angeblich ermordete Familienangehörige erzählen. Also, wer fällt denn auf sowas rein…? Morgen geht es nach Ramallah.

Ihr habt den Anfang von Caros Reise verpasst? Hier könnt ihr nachlesen, was sie bisher erlebt hat.

Hier geht´s zu Caros Blog.

Foto: Carolin Wendt

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