Seit über 50 Jahren prägen die Esso-Häuser St. Pauli und den Kiez. Die Abrisspläne des Investors sorgen seit Jahren für Wirbel im Stadtteil. Die zahlreichen Protestaktionen, Diskussionen, aber auch die Geschichte der Gebäude und ihrer BewohnerInnen werden seit 2012 für einen Film festgehalten.
Der an der namensgebenden Esso-Tankstelle liegende Gebäudekomplex beherbergt etwa 110 Wohnungen, aber auch Kultclubs wie das Molotow, die MeanieBar und Planet Pauli. Bis 2009 waren die Gebäude im Besitz der Familie Schütze, die auch die Tankstelle betreibt. Der neue Eigentümer, die Bayrische Hausbau, kündigte an, den alternden, sanierungsbedürftigen Gebäudekomplex (Mittendrin berichtete) abreißen und durch profitablere Neubauten ersetzen zu wollen.
Die BewohnerInnen wehren sich gegen diese Entscheidung. Gemeinsam mit NachbarInnen und StadtaktivistInnen kämpfen sie für den Erhalt der Esso-Häuser. Die Bayrische Hausbau verspricht den MieterInnen zwar eine Rückkehr in den Neubau ermöglichen zu wollen, doch gibt es bisher keine rechtsverbindlichen Zusagen. Auch wären die Umzüge für viele Bewohner aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen eine hohe Belastung. Für die Clubs, die seit Jahrzehnten das Gesicht des Stadtteils geprägt haben, würde ein Abriss das Ende ihrer Existenz bedeuten. „Der Ort ist seit vielen Jahren eine der zentralen Anlaufstellen des Kiezes und steht für den rauen, egalitären Charme des Schmelztiegels Reeperbahn. So was lässt sich nicht von Investorenhand nachbauen!“ heißt es aus der „Initiative Esso Häuser„.
Seit 2012 werden die Geschehnisse um die Häusergruppe von einem Filmteam begleitet. Das Team von „Baldwin Production“ leistete bereits 2009 mit dem Dokumentarfilm empire st. pauli einen Beitrag zur Diskussion um Gentrifizierung. Nach diesem Erfolg soll nun eine Langzeitdokumentation über die Esso-Häuser entstehen. Produzent Steffen Jörg ist Mitarbeiter der gemeinnützigen GWA St. Pauli. Seine tägliche Arbeit ist daher eng mit dem Stadtteilgeschehen verknüpft. Auch die „Initiative Esso Häuser“ begleitet er aktiv und kennt die besten Ecken zum Filmen. Auch persönlich nimmt er Anteil am Schicksal der MieterInnen. „Wir verstehen uns nicht nur als Filmemacher, sondern vor allem als Menschen, die im Stadtteil leben und dort aktiv sind. Mit der Dokumentation wollen wir das Geschehen aus nächster Nähe begleiten und für andere zugänglich machen“, sagt Steffen Jörg.
Der Film soll die Geschichte der Häuser erzählen. Dafür sollen die ehemaligen Besitzer zu Wort kommen und die Menschen porträtiert werden, die seit Jahrzenten dort wohnen. Im Fokus steht aber der aktuelle Konflikt. GegnerInnen und BefürworterInnen eines Abrisses sollen die Möglichkeit haben, ihre Standpunkte zu vertreten. Unterstützt wird das 46.000 Euro teure Projekt von der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein und der Landeszentrale für politische Bildung. Zusätzlich versuchen die Filmemacher das Projekt über Crowdfunding zu finanzieren. Direkt über die Info-Seite des Films will das Team die noch fehlenden 10.000 Euro über Kleinspenden sammeln. „Trotz der tollen finanziellen Unterstützung steckt viel freiwilliges Engagement in dem Projekt“, betont Steffen Jörg. Die Dokumentation bezeichne er deshalb als „Low-Low-Budget-Film“. Mit einer sogenannten „Creative Commons Lizenz“ soll der Film später sowohl auf DVD als auch online frei zugänglich sein. „Wir würden den Film gern unkommerziell und frei zur Verfügung stellen. Erfahrungsgemäß kaufen trotzdem viele Leute die DVD, um uns zu unterstützen.“, sagt Steffen Jörg.
Die etwa anderthalbstündige Dokumentation soll bis Herbst 2013 fertiggestellt werden. Bereits während der Produktionszeit werden immer wieder kleine Ausschnitte auf Youtube veröffentlicht, um die Diskussion fortlaufend anzuregen, die Proteste zu bestärken und einen Erhalt der Gebäude zu ermöglichen. Denn, so drückt es ein Bewohner der Esso-Häuser im ersten Filmausschnitt aus: „Was weg ist, ist weg. Das kommt nicht wieder.“
Michi
22. März 2013 at 11:04
Super, dass es zu dem Thema einen Film geben wird!
Eine Korrektur zum Artikel: Dort heißt es „Bis 2009 waren die Gebäude im Besitz der Familie Schütze“. Das kann nicht zutreffend sein, es sei denn die Familie war SEHR groß… Die Gebäude waren im *(Privat-)Eigentum* der Familie. Besitzer waren die einzelnen Mieter.
Die Unterscheidung von Eigentum und Besitz hat eine lange Tradition, die bis ins Römische Reich zurückreicht (wie fast alle rechtlichen Kodifizierungen). Auch im BGB taucht sie noch auf (Besitz: §§ 854ff, Eigentum: §§903ff). »Besitz« ist ein Begriff zur Fassung eines konkreten Nutzungsverhältnisses eines Menschen in Bezug auf eine Sache und andere Nutzer_innen. »Eigentum« hingegen ist ein abstraktes Rechtsverhältnis einer Person (nicht notwendig ein lebendiger Mensch) in Bezug auf andere Personen und eine Sache. Eigentum definiert rechtlich die Exklusion Dritter von der Verfügung über eine Sache. -> „»Konkrete Nutzung« und »abstraktes Rechtsverhältnis« markieren hier also den Unterschied. Ich verwende gerne folgendes Beispiel, um den Unterschied zu veranschaulichen: Als Eigentümer einer Wohnung muss ich nie einen Fuß in dieselbe gesetzt haben, dennoch kann ich über die Wohnung verfügen, weil Dritte von der Verfügung a priori ausgeschlossen sind. Diesen Ausschluss hebe ich vertraglich gegenüber einem Mieter auf, der die Wohnung fortan besitzt, also tatsächlich bewohnt. Der Eigentümer verfügt über die Wohnung rechtlich, der Mieter besitzt sie tatsächlich.“ (Vgl. http://keimform.de/2012/eigentum-und-besitz-und-commons/)
Beste Grüße und danke für den Artikel,
Michi
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