Deutsch-syrisches Tandem: Was wir voneinander lernen können

Politik
Jelena Malkowski

journalistische Praktika (Print) | Studium der Ethnologie in Hamburg (B.A.)

Moaz Darkh ist aus Damaskus nach Hamburg geflüchtet. Lilli Grober zog zum Studium aus Gießen hierher. Was die beiden verbindet: Sie bringen sich ihre Muttersprachen Deutsch und Arabisch bei. Durch die neuen Wörter lernen sie auch die Lebenswelt des anderen kennen.

Lilli Grober* studiert seit zwei Jahren Ethnologie in Hamburg: Fremde Länder und Kulturen faszinieren die 22-Jährige. Nun lernt sie arabisch in einem Universitätskurs – und mit Moaz Darkh*. Auch Moaz ist Anfang zwanzig und will in Hamburg Informatik studieren, aber musste aus Syrien über den Libanon, Ägypten und Italien nach Deutschland fliehen.

Bevor er herkam, sprach Moaz kein Wort Deutsch. Von Lilli lernte er seine ersten deutschen Wörter: Freiheit, scheiße, oder Fahrrad zum Beispiel.

Hummus

Seit der Oberstufe interessiert Lilli sich mehr für Politik und setzt sich gegen Rassismus ein. Sie ist nach Asien und Amerika gereist und hat nach dem Abitur halbes Jahr in einem Kinderprojekt in Nicaragua gearbeitet. Jetzt interessiert sie sich für den Nahen und Mittleren Osten. Seit einem Jahr lernt sie Arabisch.

Durch die Treffen mit Moaz lernt sie auch ihre Umgebung auf Arabisch kennen. So gibt es im Falafelladen nicht nur arabisches Essen, sondern auch Arabisch-Unterricht für Lilli: Moaz schiebt ihr einen Falafelteller hin und fragt, was darauf liegt. Schafskäse, die kleinen Falafelbällchen, Kraut – diese Wörter lernt sie nun. Und das Kichererbsenpürree? „Das ist einfach: Hummus“, sagt Lilli. Moaz grinst und schüttelt den Kopf: „Nein, Hummus, das ist bei uns die Frucht, das da nennen wir auf Arabisch Msbhha.“

Scheiße

Wenn Lilli einen arabischen Laut nicht aussprechen kann, sagt Moaz „ich brauche einen Stock für dich“, stößt sie an und erzählt lachend, wie der Lehrer in Syrien mit dem Stock kam, wenn Moaz frech war. In der Schule habe er oft Witze gemacht. Er hat dicke, dunkle Haare, helle Haut, ist schmächtig und sieht eher aus wie siebzehn als wie zwanzig. „Als ich ihn kennen gelernt habe, fand ich ihn aufgedreht und kindlich. Kindlicher, als man in seinem Alter und bei seinen Erlebnissen erwarten würde“, sagt Lilli.

Anfangs hat Moaz Lilli nach deutschen Wörtern für Dinge in der Umgebung gefragt. Seit drei Monaten macht er auch einen Deutschkurs, vier Stunden täglich. „Kannst du gucken, ob es gut ist oder scheiße?“, fragt er Lilli und schiebt ihr seine Hausaufgaben hin. Sie beugt sich über die Arbeitsblätter und schmunzelt über die Aufgabenstellungen, oder runzelt die Stirn: Welche waren noch mal die vier Fälle? Oder nach welchen Regeln benutzt man „mir“ oder „mich“? Lilli ist froh, dass sie nicht Deutsch lernen muss. „Scheiße“, sagt Moaz jedes Mal, wenn er etwas falsch gemacht oder vergessen hat.

Freiheit

In Syrien kämpfte Moaz bereits zwei Jahre vor dem Krieg für politische Freiheit, ging zu Demonstrationen gegen das Assad-Regime und berichtete auf Twitter und Youtube über die Geschehnisse. Sieben Mal sei er im Gefängnis gewesen, erzählt er. Die Wärter dort hätten ihn geschlagen. Sein Vater habe sieben Mal viel Geld für Moaz’ Freiheit bezahlt; am Ende waren es Millionen.

Lilli hat nach und nach immer mehr von diesen Erlebnissen erfahren. Im Café Exil, einer Anlaufstelle für Flüchtlinge und Migranten berät sie Hilfesuchende, aber hört normalerweise nicht viel von ihren traumatischen Erlebnissen. Sie versucht, ihre Arbeit dort und die persönlichen Geschichten strikt zu trennen: „Sonst gehst du daran kaputt“ sagt sie.

Aber bei Moaz ist es etwas Anderes. Er kam in das Café Exil, um selbst dort zu arbeiten. Auch ihm hilft Lilli zunächst, aber nicht nur das: „Wir konnten uns schnell einfach so über Sachen unterhalten und jetzt bin ich wohl eine Vertrauensperson für ihn“, sagt sie. Sie fragt nie direkt nach Moaz’ Erlebnissen in Syrien, aber mit der Zeit erzählt er von selbst: Wie er irgendwann nicht mehr nach Damaskus kann, weil jeder Polizist ihn dort auf offener Straße erschießen könnte. Wie er irgendwann nur noch zwei Wochen Zeit hat – zwei Wochen, um aus Syrien in den Libanon zu kommen. Dort bleibt Moaz zwei Monate, dann trifft er in Ägypten seine Familie wieder. Nach einem halben Jahr fahren sie nach Italien. In einem kleinen Boot, mit 320 anderen Menschen, acht Tage dauert die Fahrt.

Als sie 2014 in Deutschland ankommen, hat Moaz sein Heimatland bereits fast ein Jahr lang nicht mehr gesehen. „Flucht“ sagt er dazu aber nie. Selbst hier hat er seine Freiheit noch nicht ganz gefunden: „Ich suche immer Freiheit. Es ist ein großes Problem für mich“, sagt er, wenn er sich durch die Behörden eingeschränkt fühlt, er bei einem Umzug um Erlaubnis bitten muss.

Hippiekommune

Moaz und seine Familie wurden offiziell als Flüchtlinge anerkannt. Sie haben nun eine Asylberechtigung für drei Jahre. Er darf in Deutschland wohnen; das Bezirksamt muss über jeden Umzug informiert werden, denn das Grundsicherungsamt bezahlt die Miete. Zuerst lebte Moaz im Container einer Flüchtlingsunterkunft in Wilhelmsburg, bis er in eine große Wohngemeinschaft in Eidelstedt umziehen konnte. Von der S-Bahnstation läuft er durch kleine Straßen mit Einfamilienhäusern und Blumenbeeten zu dem Bauernhaus mit großem Garten, welches zu seinem Zuhause geworden ist.

Ich habe viel Power, ich muss immer etwas machen.
Moaz
Wenn jemand im gleichen Alter schon so viel Scheiße erlebt hat, verdaut man das nicht so leicht.
Lilli

Lilli erzählt er davon: „Ich wohne in einer Hippiekommune.“ Mit drei Studierenden, fünf älteren Männern und Frauen lebt er hier zusammen. Ein Freund von aus dem Café Exil hat ihm die Wohngemeinschaft vermittelt. Es gibt eine große Gemeinschaftsküche, Katzen, einen Musikraum und ein eigenes Zimmer für Moaz. Die Möbel sind gebraucht, er bekam sie von Freunden, Bekannten oder seiner Familie. Ein Bett, ein Schrank, ein Sofa, ein Schreibtisch. Auf dem Couchtisch vor dem Sofa steht eine Packung Datteln. Er bietet sie an und erzählt von Syrien.

Fahrrad

Die Fahrradwerkstatt des Kollektiven Zentrums hat Moaz ein Fahrrad geschenkt, nachdem seines geklaut wurde. „Ein Fahrrad extra für Moaz“, sagt er und schließt das gebrauchte Rennrad mit zwei Schlössern an. In Syrien hatte er bereits mit dreizehn ein Auto. Zielsicher schiebt er das Rad jetzt neben Lilli durch die Innenstadt, durch die der Feierabendverkehr rollt. Moaz fährt durch die halbe Stadt mit seinem Fahrrad. Zum Beispiel zum Thaiboxen nach Winterhude: „Ich habe viel Power, ich muss immer etwas machen“, sagt er.

Als sie sich kennen lernten, haben Lilli und Moaz versucht, ihn für die Uni einzuschreiben. Aber das ist nicht so einfach wie bei Lilli: Die ausländischen Dokumente wurden nicht anerkannt – weder sein syrischer Schulabschluss, noch die Papiere aus dem Libanon oder Ägypten. Sein Traum ist es, hierzubleiben und zur Uni zu gehen – seit seiner Schulzeit in Syrien wartet Moaz darauf, Informatik studieren zu können.

Davor muss er Deutsch lernen und ein Jahr lang das Studienkolleg besuchen, um eine Zugangsberechtigung für die Hochschule zu bekommen. Also fährt er mit seinem Fahrrad täglich zum Deutschunterricht und trifft sich mit Lilli.

للي

Neben Vokabeln muss Lilli die arabische Schrift lernen. Auch ihren eigenen Namen lernt sie so zu schreiben: للي zeichnet sie auf einen Block. Und wie schreibt Moaz sich auf Arabisch? Die beiden probieren verschiedene Namen und Schreibweisen aus. Lilli lernt Arabisch eben zuallererst, weil sie Spaß daran hat. Sie lernt von Moaz aber noch etwas Anderes: „Wenn jemand im gleichen Alter schon so viel Scheiße erlebt hat, verdaut man das nicht so leicht“, sagt sie. „Mich macht es noch politischer, von solchen Erlebnissen kann ich mich schwer abgrenzen.“

Für Moaz dagegen ist deutsch lernen essenziell und von Lilli lernt er auch das, was hinter den Vokabeln steht: Er spricht mit ihr, wenn er die Umgangsformen mal nicht versteht, oder sich einfach fremd fühlt. Ob Lilli das auch kenne? Sie kann es höchstens mit ihren Erlebnissen mit Nicaragua vergleichen, aber dort war sie auf absehbare Zeit. Lilli glaubt nicht, dass sich dieses Gefühl bei Moaz so schnell ändern wird.


*Namen geändert

Foto: Jelena Malkowski
Klicken um Kommentar zu schreiben

Artikel kommentieren

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Mehr in Politik

Demonstration Golden Pudel, 19.2.2016, Foto: Isabella David

Demo für den Pudel Club: „Unsere Ruine kriegt ihr nicht!“

Isabella David20. Februar 2016
1-Michael_Neumann_SPD1

Innensenator Neuman tritt zurück – Grote wird Nachfolger

Isabella David18. Januar 2016
Winternotprogramm Münzviertel, Oktober 2015, Foto: Isabella David

Petition an die Sozialbehörde: „Das Winternotprogramm tagsüber öffnen!“

Isabella David8. Januar 2016
Tegida Demo Januar 2015, Foto: Henry Lührs

Anpacken statt lang schnacken – das war 2015 in Hamburg-Mitte

Isabella David31. Dezember 2015
Tagesstätte für Geflüchtete, Bieberhaus, Foto: Isabella David

Tagesstätte für Geflüchtete im Bieberhaus: „Vieles ist improvisiert“

Isabella David17. Dezember 2015
Schulstreik 2013, Foto: Dominik Brück

Schüler demonstrieren: „Bleiberecht statt Waffenexporte“

Isabella David17. Dezember 2015
Hosemann, City-Hof, Foto: Isabella David

Interview: „Dem City-Hof ein Denkmal setzen“

Isabella David10. Dezember 2015
FOTO: POLITIKWERFT DESIGNBÜRO

„Basta-Politik gescheitert“: Scholz nach Olympia-Referendum in der Kritik

Isabella David9. Dezember 2015
Olympia in Hamburg

Diskussion: Olympia in Hamburg – ja oder nein?

Mittendrin27. November 2015

Rund um Billstedt, Billbrook und Horn atmet die grüne Lunge der Stadt. In Hamm, Rothenburgsort, Borgfelde, Hammerbrook, St.Georg, der Alt- und Neustadt, und auf St. Pauli riecht und schmeckt man Hamburg an jeder Straßenecke. Die Hafencity glänzt und glitzert im Schatten der dicken Pötte und Kräne.

Die andere Seite der Elbe auf der Veddel, in Wilhelmsburg, auf dem Kleinen Grasbrook, in Steinwerder, Waltershof, Finkenwerder und auf der Insel Neuwerk lässt hanseatische Tradition spürbar werden.

Das ist Hamburg-Mitte, unser Bezirk inmitten einer lebhaften Stadt. So vielfältig wie seine Bewohner sind die Geschichten, die wir erzählen.

Mittendrin ist Name und Programm – täglich sind wir unterwegs und bringen euch spannende Reportagen, aktuelle Lokalnachrichten und ausdrucksstarke Bilder und Videos aus Hamburgs bunter Mitte.

Hamburger Geschichten

© 2012 - 2015 Mittendrin | Alle Rechte vorbehalten. Impressum - Umsetzung Politikwerft Designbüro.