Koalitionsvertrag: Wie viel Grün lässt Scholz zu?

Politik
Isabella David
@isabelladavid89

Chefredakteurin | Studentin der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg | Kontakt: david@hh-mittendrin.de

Nach mehr als sechs Wochen Verhandlungen haben SPD und Grüne am Mittwoch den Entwurf ihres Koalitionsvertrags vorgestellt. Der Titel: „Gemeinsam schaffen wir ein modernes Hamburg“. Doch was Umwelt, Flüchtlingspolitik und Soziales betrifft, ist von den zentralen grünen Forderungen nicht viel übrig geblieben.

„Ein rotes Haus mit einem grünen Anbau“, so wünschte sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den rot-grünen Koalitionsvertrag bereits beim Eintritt in die Verhandlungen. Wie groß das rote Haus und der grüne Anbau ausfallen, zeigte sich bei der Vorstellung des rot-grünen Koaltionsvertrags am Mittwoch. Nicht nur aus Sicht der Opposition, sondern auch vieler Wähler und der Parteibasis, bleibt nur wenig Grünes an der gemeinsamen Regierungsvereinbarung.

Ganz ohne Sondierungsgespräche waren SPD und Grüne bereits kurz nach der Bürgerschaftswahl am 15. Februar in die Koalitionsverhandlungen getreten. Mit einem Wahlergebnis von 45,7 Prozent braucht die SPD einen Partner, um weiter zu regieren.  Schon während der vergangenen Wochen wurde deutlich, dass die Grünen – trotz des Wahlergebnisses von 12,2 Prozent der Stimmen – viele ihrer zentralen Forderungen nicht durchsetzen können. Elbvertiefung, Stadtbahn, Flüchtlingspolitik und der Umgang mit der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ – die SPD-Linie gibt den Ton an. Wie viel Grün findet sich in dem 115 Seiten Koaltionsvertrag wieder?

Elbvertiefung statt Stadtbahn und City-Maut

Gerade bei den zentralen Umweltthemen konnten sich die Grünen nicht durchsetzen. Die geforderte Stadtbahn ist vom Tisch, stattdessen soll es eine Verlängerung der U-Bahnlinie 4 sowie eine neue Linie 5 geben. Größtes Trostpflaster in der Umwelt- und Verkehrspolitik: Hamburg soll Fahrradstadt werden. „Um dies zu erreichen, erklärt der Senat Radverkehr zu einem Investitionsschwerpunkt und wird den Radverkehr an dem Radverkehrsanteil im Hamburger Straßenverkehr ausrichten“, heißt es im Koaltionsvertrag. Der Radverkehrsanteil soll außerdem ab 2020 auf 25 Prozent gesteigert werden. Gleichzeitig soll das umstrittene Busbeschleunigungsprogramm fortgesetzt werden, allerdings mit verbesserter Bürgerbeteiligung und basierend auf einem mit der Volksinitiative gefundenen Kompromiss.

Keine City-Maut und Umweltzonen

Haben die Grünen im Bereich Verkehr durch den Schwerpunkt auf den Radverkehr noch einige Verluste ausgleichen können, konnten sie beim Thema Umwelt nur wenig grüne Forderungen durchsetzen. Der Koalitionsvertrag beeinhaltet zwar ein umfassendes Paket zu „Ökologisierung der Elbe“, gleichzeitig haben die Grünen jedoch ihren Widerstand bei der Frage der Elbvertiefung aufgegeben. Wird diese nun vom Bundesverwaltungsgericht genehmigt, kommt die umstrittene Vertiefung der Fahrrinne auch mit einer rot-grünen Regierung in Hamburg. Auch wird es in Zukunft keine City-Maut oder Umweltzonen geben. Stattdessen haben sich SPD und Grüne auf eine bessere Pflege von Grünanlagen und mehr begrünte Dächer geeinigt. Einig ist man sich auch darüber, dass es keine Fernwärmetrasse vom Kohlekraftwerk Moorburg nach Altona geben wird.

Kein Wort zu ‚Lampedusa in Hamburg‘

Zentrales Streitthema von SPD und Grünen war auch noch kurz vor den Osterfeiertagen die Flüchtlingspolitik. In der Opposition und im Wahlkampf hatten sich die Grünen immer wieder für ein Bleiberecht für die gesamte „Lampedusa in Hamburg„- Gruppe stark gemacht. Eine Forderung, die Bürgermeister Olaf Scholz wiederholt abgelehnt hatte. Die Sozialdemokraten bestehen weiterhin auf einer Einzelfallprüfung. So auch im rot-grünen Koalitionsvertrag: Eine Gruppenlösung steht nicht zur Diskussion. Mehr noch: Die Gruppe von Geflüchteten taucht namentlich nicht einmal in dem Vertragsentwurf auf.

Auf diese Kritik reagieren die Grünen Hamburg auch promt auf Twitter. Wie genau eine solche „politische Lösung“ nun aussehen könnte, bleibt jedoch weiterhin völlig offen.

Recht auf Stadt Demo 31.1.2015, Foto: Henry Lührs

Bildung und Arbeit für Flüchtlinge

Zur Flüchtlingspolitik im Allgemeinen formulieren die Koalitionspartner einen Maßnahmenkatalog, mit dem die „von der Zivilgesellschaft gelebte Integration“ auch politisch unterstützt werden soll. Dazu gehört der vereinfachte Zugang zu Bildung und Arbeit sowie die Aussetzung von Abschiebungen in Ebola-Gebiete. Die zentrale Ausländerbehörde und die Ausländerabteilungen in den Bezirken sollen nach Vorbild des Modellprojektes „Ausländerbehörden – Willkommensbehörden“ des Bundesamtes für Migration und Flucht weiterentwickelt werden. „Humanitäre Asylpolitik bedeutet nicht nur die Aufnahme von Flüchtlingen, sondern auch ihre menschengerechte Versorgung und Integration. Hierzu gehört auch, dass die Menschen schnell erfahren, ob sie in Deutschland eine Bleibeperspektive haben“, heißt es im Koaltionsvertrag.

Kein klares Nein zu Gefahrengebieten

Der Polizei in Hamburg wird es weiter möglich sein, Gefahrengebiete einzurichten und in diesen verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen – folglich also, die Grundrechte der Bürger im Zweifelsfall einzuschränken. Insbesondere nach der umstrittenen Einrichtung eines großflächigen Gefahrengebiets auf St. Pauli und Altona im Januar 2014 hatten sich die Grünen klar gegen diese Maßnahme positioniert. Auch hier bleibt die grüne Handschrift aus.

Die beiden Koalitionspartner wollen aber Gespräche mit den Polizeigewerkschaften aufnehmen, um eine mögliche Einführung der Kennzeichnungspflicht bei der Hamburger Bereitschaftspolizei zu prüfen. Außerdem wollen SPD und Grüne eine Runden Tisch zum Thema Prostitution in ganz Hamburg initiieren. Im Zuge dessen soll auch die Kontaktanbahnungsverbotsverordnung für St. Georg einer Evaluation unterzogen werden.

Sicherheitsdienste ohne hoheitliche Aufgaben

„Der öffentliche Raum ist für alle da“, heißt es im Entwurf des Koaltionsvertrags. Eine strukturelle Verdrängung marginalisierter Gruppen lehnen die Vertragspartner ab. „Dort wo durch Behörden der Hansestadt Hamburg private Sicherheitsdienste eingesetzt werden, übernehmen diese keine hoheitlichen Aufgaben“, heißt es weiter. Was dies für aktuelle Regelungen, etwa am Hamburger Hauptbahnhof, bedeutet, ist noch nicht absehbar. Seitdem das Hausrecht unter den Bahnhofsvordächern an die Deutsche Bahn übertragen worden ist, wird immer wieder von der Grenzüberschreitung solcher „hoheitlichen Aufgaben“ durch den Sicherheitsdienst berichtet.

Fortführung der SPD-Linie beim Wohnungsbau

Bis zum Anfang der 2020er Jahre sollen eine Millionen Wohnungen vergfügbar sein. Um dieses Ziel zu erreichen halten die Koalitionspartner an dem Wohnungsbau-Mantra der SPD fest: Jedes Jahr sollen 6.000 Wohnungen genehmigt und gebaut werden. Die Koalition vereinbarte außerdem ein Sofortprogramm zur Versorgung vordringlich Wohnungssuchender in öffentlicher Unterbringung. Die Maßnahmen sollen mit Sozialverbänden, den Fachbehörden, der Senatskanzlei sowie ausgewählten Bauträgern und Stiftungen an einem Runden Tisch diskutiert werden.

Bauwagenplätze bleiben erhalten

SPD und Grüne positionieren sich außerdem zu alternativen Wohnformen: „Bauwagenplätze gehören zum Hamburger Stadtbild. Ihre Zukunft und ihr Erhalt wird weiterhin gewährleistet“, heißt es in der Vereinbarung. Die Bezirke sollen bei der Suche nach notwendigen Ausweichflächen vom Senat unterstützt werden.

Auch im Bereich der Stadtentwicklung will Rot-Grün in die Fußstapfen der SPD-Alleinregierung treten. Das Quartier am Baakenhafen in der HafenCity soll mit dem Bau von 1.800 Wohnugen weiterentwickelt und das Überseequartier gebaut werden. Mit diesem gehen auch neue Wegeverbindungen in die Innenstadt einher sowie außerdem „die Belebung des Kontorhausviertels und die Aufwertung von Buchardplatz, Gerhard-Hauptmannplatz, Georgsplatz und Getrudenkirchhof.

Wilhelmsburg nach der IBA

In Anknüpfung an den Sprung über die Elbe sollen die Elbinseln mit dem Rahmenplan Wilhelmsburg 2013+ weiterentwickelt werden. Die verlegte Wilhelmsburger Reichtsstraße soll gebaut und die Entwicklung der Wohnquartiere durch die IBA übernommen werden. Gleichzeitig soll für „eine wirkungsvolle Entlastung der Elbinseln von hafenbezogenen Lkw-Verkehren gesorgt werden“, ein vierspuriger Ausbau der Dratelnstraße sei nicht geplant. Die Koalitionspartner untersützen außerdem das Projekt des „Kulturkanals“ am Veringkanal in Wilhelmsburg.

Selbstverwaltung im Gängeviertel

Auch der aktuelle Streit im und um das Gängeviertel findet sich im Entwurf des Koalitionsvertrags wieder. Nach dem Konflikt um die Sanierungsarbeiten im Künstlerviertel hatten die Gängeviertel-Aktivisten am vergangenen Wochenende eine umfassende Solidaritätserklärung veröffenlicht. Hunderte Hamburger machen hiermit ihre Unterstützung für die Selbstbestimmung und -verwaltung des Viertels deutlich. Im Koalitionsvertrag ist nun davon die Rede, mit den Akteuren in den vereinbarten Arbeitsgruppen Lösungen zu finden, „um das genossenschaftliche Modell mit den rechtlichen Verpflichtungen der Stadt und den angestrebten Selbstverwaltungsstrukturen in Einklang zu bringen.“

Backsteinbauten schützen

Zu spät kommt die eine neue Regelung aus dem Koalitionsvertrag jedoch für „Elisa“ in Hamm. SPD und Grüne wollen „stadtbildprägende Backsteinfassaden“ bei Sanierungen und Neubaren künftig besser schützen. Eine Regelung, die die möglicherweise die Rettung für das Backsteinensemble Am Elisbethgehölz hätte sein können – nach jahrelangem Einsatz der Mieter und zahlreicher Unterstützer für einen Erhalt, hat die Vereinigte Hamburgische Wohnungsbaugenossenschaft die Backsteinbau jedoch im März abgerissen.

Abriss Elisa, Foto Isabella David

Kritik im Netz:“Rot-grün setzt SPD-Alleinregierung fort“

Für die Rücknahme zahlreicher zentraler Forderungen bekommen die Grünen im Netz zu Teil sehr deutliche Reaktionen – aus anderen Parteien, von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen sowie bekennenden Wählern. So fällt die Hamburger Piratenpartei ein scharfes Urteil über den Vertrag: “Grüne unterzeichnen bedingungslose Kapitulation”, heißt es auf ihrer Homepage. Auch die Linke findet wenig Grünes am Koaltionsvertrag – “Rot-grün setzt die SPD-Alleinregierung fort”, twittert die Fraktion am Mittwoch. Was Abgeordnete zum Vertrag twittern, gibt es hier im Überblick.

Sprach Bürgermeister Scholz noch von einem grünen Anbau an ein rotes Haus, so ist aus der Sicht einiger mit dem Koaltionsvertrag noch eine grüne „Hundehütte“ geblieben:

Zeigen muss sich nun, ob der Parteibasis, das reicht. Die Grüne Jugend – die sich im Besonderen immer wieder für ein Bleiberecht der Lampedusa-Gruppe stark gemacht hat- twittert, man wolle sich heute Abend darüber verständigen, ob man den Koaltionsvertrag unterstütze. Abstimmen muss die Basis am 12. April bei der Mitgliederversammlung der Partei. Auch die SPD stimmt am 14. April auf einem Parteitag über die Koaltionsvereinbarung ab – wohl aber mit deutlich weniger Zündstoff als bei den grünen Kollegen.

 

Zusammengefasst: Der Blick auf die einzelnen Themen im Koalitionsvertrag zeigt deutlich, dass die Grünen viele zentrale Kernforderungen nicht durchsetzen konnten. Statt Stadtbahn und City-Maut kommen ein Ausbau des Radverkehrs und die Elbvertiefung. Auch eine Gruppenlösung für „Lampedusa in Hamburg“ konnten die Grünen nicht erreichen. Ob sich die Parteiführung mit der Vertragsvorlage durchsetzen kann, wird sich noch zeigen: Noch steht eine Abstimmung der Parteibasis über den Vertrag aus.

 

Fotos „Kein Mensch ist illegal“: Henry Lührs; Abriss „Elisa: Isabella David, Titel: Politikwerft Designbüro
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