Plakate, Infostände, Flyerverteilungen – der Wahlkampf in Hamburg ist überall sichtbar. Doch wie funktioniert der Wahlkampf auf der Straße eigentlich und wer macht die ganze Arbeit? Mittendrin hat die Jusos der SPD bei einer Flyeraktion einen Nachmittag lang begleitet.
Sicher bewacht von der Polizei stehen Benni, Yannick und andere junge Leute vor dem Ausgang des S-Bahnhofs Veddel und verteilen Flyer für die SPD. Kann es schon so schlimm sein, dass selbst einfache Flyerverteilaktionen Polizeischutz brauchen, frage ich mich, als ich ankomme. Zwar ist die SPD mit ihrer Flüchtlingspolitik in letzter Zeit häufiger Ziel einiger Anfeindungen geworden, doch so dramatisch hatte ich die Situation nicht eingeschätzt. Doch die Lage klärt sich schnell auf: Gleichzeitig zur Verteilaktion der Jusos, dem Jugendverband der SPD, macht der HVV in Zusammenarbeit mit der Polizei eine große Kontrolle am Ausgang der Station.
Unerwartete Hilfe beim Flyer verteilen
Benni Behr, Koordinator der Wahlkampfaktionen der Jusos in Hamburg, packt gerade einige der Flyer für den Kandidaten Christian Kammeyer aus, als er mich begrüßt. Christian sei noch nicht da, er würde aber noch vorbeischauen. „Wir teilen uns auf die beiden Eingänge auf“, verteilt er das achtköpfige Team. Schon schnappen sich zwei Leute eine Pappkiste mit 100 Flyern und verschwinden zum anderen Eingang. Es soll keine Zeit verloren werden. Auch am Eingang des Busbahnhofs, wo wir stehen, beginnen Benni und zwei seiner Kollegen das Flugblatt an die Leute zu bringen. Yannick Regh, Kandidat für Hamm, übernimmt die Aufgabe, jeden Handzettel mit einem Kugelschreiber zu bestücken. Es sieht alles sehr routiniert aus, man möchte die Jusos kaum stören.“Diese Flyeraktionen gibt es häufig im Wahlkampf, wir machen das alles ehrenamtlich neben der Arbeit oder dem Studium. Ich unterstützte Christian hier in Mitte, weil wir natürlich möchten, dass auch Jusos in die Bezirksversammlung kommen“, erzählt Yannick und packt in unverminderter Geschwindigkeit Kugelschreiber auf die Flyer. Er hat auch gleich eine Anekdote aus Wilhelmsburg parat: Dort hätten sie vor einigen Tagen Flyer verteilt, als ihnen plötzlich drei junge Leute alle Flyer aus der Hand genommen und verteilt hätten. “Warum?”, frage ich nach. „Sie hatten wohl einfach Bock drauf, sie sind nicht in der SPD gewesen und wollten auch nicht eintreten“, scherzt Yannick. Doch diese spontane Unterstützung ist eher die Ausnahme.
Neuer Rekord: 600 Flyer in 37 Minuten
Die HVV-Kontrolle ist ein Vorteil für die Wahlkampfaktion. Die Leute werden vom S-Bahnhof aus aufgehalten und abgebremst, sodass mehr Leute die Flyer mitnehmen und nicht einfach durchhetzten. Nach der ersten halben Stunde zieht Benni ein erstes Fazit: „600 Flyer in 37 Minuten, das geht echt schneller als sonst.“ Es sind nur noch zweihundert Handzettel vorhanden und eigentlich war noch mehr als eine Stunde Zeit eingeplant. Dann taucht auch Christian Kammeyer, der Kandidat, um den sich die Aktion dreht, auf. Er wird von seinen Parteikollegen mit offenen Armen und Flyern begrüßt. Verteilerin Annika ruft ihm gleich zu: „Komm mit verteilen, dann kannst du sagen, wählen Sie mich!“. Doch Christian bleibt lieber am Rand stehen, will sich nicht in den Mittelpunkt drängen. Aber Annika lässt nicht so einfach locker: „Komm wenigstens hier hin, dann kann ich sagen, ‚Wählen Sie ihn'“. Er bleibt aber an der Seite stehen, so komme ich dazu mit ihm über Politik im Bezirk zu sprechen.
26 Jahre und in der Bezirksversammlung Mitte: Christian Kammeyer
Seit 2011 sitzt der 26-Jährige in der Bezirksversammlung Mitte. Hier rückte er nach, als ein Kollege von ihm aus persönlichen Gründen ausschied. Er ist damit der jüngste Abgeordnete im Bezirk Mitte. Da er nur auf dem Listenplatz 11 der Bezirksliste steht, gibt es in diesem Wahlkampf mehr Flyeraktionen als vorher. Doch das Wahlsystem ist für Laien nicht gerade leicht zu durchschauen. Im Flyer nimmt deswegen eine von vier Infoseiten die Erklärung des Wahlsystems in Anspruch. Ich hake trotzdem nach und kriege eine erstaunlich offene Antwort: „Ich glaube nicht, dass alle Leute das System verstehen werden. Es ist genauso fragwürdig, ob es etwas bringt, jetzt zum ersten Mal die Europa- und die Bezirkswahl zusammenzulegen. Wenn man zwei Wahlen mit niedriger Wahlbeteiligung zusammenlegt, führt das doch nicht automatisch zu einer höheren für beide“, sagt Christian. „Deswegen müssen wir besonders viele Leute überzeugen, überhaupt zur Wahl zu gehen“, stimmt Benni seinem Parteikollegen zu.
Verteiltipps: „Ich habe einen Kulli für Sie“
Doch wie geht das Verteilen am besten? Ich hole mir Profitipps von Annika, die schon oft Handzettel an die Leute gebracht hat. Erster Tipp: Immer lächeln. Zweiter Tipp: Kugelschreiber ziehen mehr, als Flyer, deswegen sagen: „Ich habe einen Kuli für Sie“. Damit schaffe man eine lockere Stimmung und der Handzettel werde auch fast immer genommen. Heute nehmen auch fast alle Leute einen mit. Eine Diskussion über die eigentlichen politischen Themen wird nicht geführt. „Dazu haben die Leute hier auch keine Zeit, sie wollen nach Hause und nicht diskutieren. Dazu haben wir dann extra Stände an ruhigeren Orten“, klärt mich Benni auf. Manchmal kommt es an diesem Nachmittag auch zu lustigen Dialogen. Zwei berufstätige Frauen schlendern gemütlich an den zu ihnen ausgestreckten Flyern vorbei und nehmen dann doch einen.
„Was sollen wir denn tun?”
“Wählen gehen!”
“Und wen?”
“Den richtigen!”
Die Dame schaut intensiv auf das Foto von Christian: “Wir sind dazu nicht mehr die richtige Zielgruppe!”
Nach etwa einer Stunde sind alle 800 Flyer dann verteilt, die Stimmung ist gut. Jetzt schnell noch ein Gruppenfoto machen. Dannach geht es noch kurz in ein Lokal, etwas essen, und dann zur nächsten Sitzung. Alles freiwillig in der Freizeit – aus Überzeugung, dass Bezirkspolitik wichtig ist.
Fotos: Jonas Walzberg
Facebook
Twitter
Flattr
Google+
YouTube
Soundcloud
Paypal
Anmelden