Am Samstag veranstaltete die antirassistische Gruppe Horst AG gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Hamburg und Freunden ein Solidaritäts-Fest für die Flüchtlinge im Heim Nostorf Horst. Es war ein bunter Tag für die Flüchtlinge in ihrem grauen Alltag.
Es ist ein mulmiges Gefühl. Mit zwei großen Bussen fahre ich vom Zentrum Hamburgs, vom offiziell hippsten Viertel der Stadt, der Sternschanze zum Flüchtlingsheim in Horst. Um genau zu sein nach Nostorf-Horst, am Rande von Mecklenburg-Vorpommern, circa fünfzig Kilometer östlich von Hamburg. Mitten im Nirgendwo. Dabei ist Horst für Hamburg die zentrale Erstaufnahmestelle. Flüchtlinge, die in Hamburg ankommen, dürfen nicht hier bleiben. Sie werden weggeschickt. In ein altes Kasernengelände, umrandet von Wäldern und Wiesen. So entschied der CDU-geführte Senat aus Hamburg im Jahr 2005. Seit Ende September 2006 finden deshalb große Teile der Hamburger Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern ihre erste Unterkunft. Mit Mecklenburg arbeitet die Landesregierung in Hamburg zusammen. Dies änderte sich auch nicht mit der SPD. 2012 verlängerte sie die Erstaufnahme in Horst für mindestens fünf weitere Jahre bis 2017. Für die Flüchtlinge bedeutet das: Grauer Alltag, jeden Tag. Hier warten sie auf ihre Abschiebung – oder vielleicht doch auf eine Duldung, die den Menschen jedoch deutlich seltener erteilt wird. Kritik üben an den Zuständen in den deutschen Flüchtlingsheimen – das ist das Ziel der Aktivistinnen, die heute mit den Bussen nach Horst aufgebrochen sind. Sie wollen gegen die“rassistische Regierungspolitik“ demonstrieren, sagen sie. Und den BewohnerInnen des Flüchtlingsheims zumindest einen schönen Tag im Jahr gestalten.
„Es wird immer so dargestellt, als hätten die Bewohner hier alles. Aber das stimmt nicht“
Nach einer Stunde Fahrt über kleine Ortschaften erreicht uns im Bus eine Durchsage: „Wir müssen jetzt hier halten, weil die Polizei uns nicht bis vor das Heim lässt“, hallt es aus den Lautsprechern. Schnell wird entschieden, bereits jetzt zu halten und gemeinsam den restlichen Weg zu Fuß zu bestreiten. Die Polizei wolle sonst alle Teilnehmer des Festes zu kontrollieren. Weil das in einer großen Gruppe von Menschen nicht so wahrscheinlich ist, gehen wir die restlichen 300 Meter zu Fuß. Kleidung und Essen, die die Helfer mitgebracht haben, werden getragen. Damit die als Kundgebung und Kinderfest geplante Veranstaltung von der Polizei genehmigt werden kann, müssen noch 15 freiwillige Ordner gefunden werden. So sieht es das Gesetz für Kundgebungen in Mecklenburg-Vorpommern vor. Die Personalien der Freiwilligen werden von der Polizei kontrolliert. Erst nach dieser Hürde darf in Ruhe gefeiert werden. Denn die Not der Flüchtlinge ist nicht zu übersehen, als sie den Helfern die mitgebrachten Kleidersäcke abnehmen. Phillip Martini, einer der Veranstalter, kritisiert: „Es wird immer so dargestellt, als hätten die Bewohner hier alles. Aber das stimmt nicht“. Kleidung werde nur einmal zu Beginn des Aufenthalts ausgeteilt. Auch im Winter würden viele Flüchtlinge nur mit Schlappen draußen herumlaufen, weil es keine Schuhe gebe, sagt Martini. Rund 300 Menschen, die meisten mit mir aus Hamburg per Bus angereist, sind deshalb heute gekommen, um etwas gegen diese Zustände zu unternehmen. Andere, die mit dem Zug angereist sind, erahnen umso mehr, in welch isolierter Lage sich die Flüchtlinge befinden. Vom Ausgangstor des Flüchtlingsheims sind es zu Fuß exakt 5,3 Kilometer bis zur nächsten Bahnstation in Lauenburg. Ein Bus bringt die Flüchtlinge nur jede zweite Stunde direkt von Horst dorthin. Zwar dürfen sich die Flüchtlinge aus Hamburg auch dorthin aufmachen, die Kosten für die Anreise werden allerdings nicht erstattet. Es ist ein trauriges Leben.
Die Wortführer verbergen ihr Gesicht
Aber heute soll alles anders sein. Kinder tollen auf einer Hüpfburg, lassen sich schminken und malen, gemeinsam werden vegane Gerichte gekocht, später wird getanzt. Einige lokale KünstlerInnen nehmen auch am Fest teil – dabei unterliegt allen Darbietungen und Diskussionen die scharfe Kritik am politischen Umgang mit den Flüchtlingen. Auch die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ ist gekommen. Wenn die Sprecher der Flüchtlinge das Wort ergreifen, bleiben sie im Inneren eines Zeltes stehen – die Polizei soll nicht sehen, wer Wortführer ist. Ansonsten könnten die Flüchtlinge in ein anderes Heim versetzt werden, verrät man mir. Vorgekommen sei das bereits im Jahr 2010, als 15 Flüchtlinge in einen kollektiven Hungerstreik traten. Anschließend seien sie alle auf andere Heime in Deutschland verteilt worden.
Erst kürzlich sprach Olaf Scholz im Thalia-Theater über den zukünftigen Umgang mit Flüchtlingen in Europa. So könnten Flüchtlinge etwa nach bestimmten Kriterien kategorisiert werden: Solche, die bereits eine Ausbildung absolviert haben oder ihren Schulabschluss nachholen, könnten bleiben, so Scholz. Für die Flüchtlinge in Horst liegen diese Möglichkeiten in weiter Ferne – einige von ihnen warten bereits seit über drei Monaten auf eine Antwort ihres Asylverfahrens. Hamburg ist weit entfernt, die Versorgung der BewohnerInnen beschränkt sich auf das Nötigste: In Horst gebe es jeden Tag das gleiche zu essen erzählen die Flüchtlinge. Die ärztliche Versorgung gehe nicht über die allgemeinärztliche hinaus. Asylanträge würden ausschließlich in deutscher Sprache ausgehändigt – doch Dolmetscher, die beim Verständnis helfen könnten, würden nicht gestellt. Deutschunterricht gebe es nur für Kinder – ein- oder zweimal in der Woche. In Hamburg wäre das alles vermutlich anders. Die Stadt bestreitet die Vorwürfe seit Langem. In Horst sei die Versorgung genauso gut wie in Hamburg selbst. Die Organisatoren des Festes verlassen sich nicht mehr auf diese Aussagen und kümmern sich um Unterstützung für die Flüchtlinge. An diesem Nachmittag können die Flüchtlinge Fragen stellen. Eine Anwältin ist dabei. Asylanträge werden nun in sieben verschiedenen Sprachen ausgeteilt.
All das macht Phillip Martini stolz. Der 28-Jährige Sozialarbeiter hat das Fest ins Leben gerufen. Es wird bereits zum dritten Mal in dieser Konstellation veranstaltet. „Mich macht es glücklich, dass so viele Leute gekommen sind, die schon lange das Thema im Kopf haben. Und auch, dass jedes Jahr neue dazukommen. Einfach damit das Thema weitergetragen wird“, sagt Martini. Besonders freue er sich darüber, dass auch viele Anwohner den Weg zum Flüchtlingsheim gefunden haben. Anwohner, die versprechen, dass Thema nun auch weiter an die Leute in Nostorf zu tragen. Damit auch vor Ort Hilfe auf die Flüchtlinge wartet. Eine Anwohnerin erklärte mir, dass in den Schulen nicht darüber gesprochen wird. „Das Thema wird bewusst totgeschwiegen“, sagt sie.
Foto: Frederic Zauels
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