Stadtgespräch

Auslandstagebuch Israel: Erinnerungen an die Westbank Teil III

Stadtgespräch
Carolin Wendt

Redakteurin | Dipl.-Psychologin | wendt@hh-mittendrin.de | blog: http://lexy04.wordpress.com/

Auf und davon: Unsere Redakteurin Carolin Wendt hat den Bezirk, die Stadt und Deutschland hinter sich gelassen und entdeckt gerade Israel. Auf ihrem Blog schreibt sie über ihre Erlebnisse. In drei Teilen erinnert sie sich an eine Reise in die Westbank.

Seit Tagen ist der Himmel eine einzige graue Wolke und Häuser und Straßen verstecken sich hinter einem Schleier aus Regen. Behörden lassen mich viel warten und ich habe mir gedacht, ich tue so, als wäre heute nicht heute, sondern heute vor elf Monaten. Da habe ich vier Tage in der Westbank verbracht… Los geht’s..!

Hier geht es zum ersten Teil der Westbank-Reise.

Hier geht es zum zweiten Teil der Westbank-Reise.

die Stadt, in der Steine fliegen oder im Museum liegen

Den halben Tag verbringe ich in Hebron. Dann fahre ich mit einem Sammeltaxi nach Ramallah. Ich sitze zwischen zwei schwarz gekleideten Frauen, der Fahrer schimpft und gestikuliert und raucht ununterbrochen. Neben dem geschlossenen Fenster ist ein vergilbter Aufkleber: no smoking. Ab und an schreit er auch den Jungen auf dem Beifahrersitz an, dann lacht er laut oder haut ihm freundschaftlich mit aller Kraft auf die Schulter. Die Fahrt dauert gute zwei Stunden. In Ramallah komme ich am Abend an und treffe Maria am Al Manara Square. Maria hat eine weiße, leichte Bluse an, in der Hand hält sie lassiv eine Zigarette. Sie kommt aus Paris, und hat einen Teil Frankreich mit hierher gebracht. Seit einem halben Jahr arbeitet sie hier. In einem Café treffen wir einen Freund von ihr. Er kommt aus Spanien und lebt seit vier Jahren in Ramallah. In den nächste Stunden wird er nicht aufhören mit mir über das Existenzrecht Israels zu diskutieren. Erstaunlich, dieser Spanier hat damit eine extremere Einstellung als alle Palästinenser, die ich bisher getroffen hab. Er ist verbissen, sein in wahrscheinlich zahlreichen Diskussionen erprobtes Netz aus Argumenten zieht nicht. Als wir uns verabschieden, entschuldigt er sich, falls er zu harsch gewesen sein sollte. Er sei erst heute aus Spanien zurückgekommen und vollkommen übermüdet.

Nudeln, Pesto und Krisengebiete

Bei Maria machen wir zusammen mit Sophie, ihrer Mitbewohnerin aus den Niederladen, Abendbrot: Nudeln, Salat und Pesto. Ich steuere meinen Klumpen Salz-Käse, Bohnen und junge Mandeln bei. Ein weiterer Couchsurfer aus Irland kommt vorbei. Er ist groß und breitschultrig und streckt uns einem nach dem anderem die Hand so schnell entgegen, als würde er in einem Duell einen Revolver ziehen. Er begrüßt jeden von uns mit einem ebenso schnell hervor geschossenem „Hey, How are you!“ Beim Essen erzählt er, dass er gerne in den Gaza-Streifen, den Iran, Nordkorea und Syrien reisen würde. Krisen- und Kriegsgebiete, das würde ihn reizen, um zu sehen, wie die Menschen dort wirklich sind.

Am nächsten Morgen erzählt Sophie, dass es in Ramallah leider nichts zu besichtigen gebe. Es gebe hier wohl ein Museum, in dem der Gründungsstein der Stadt zu besichtigen sei. Aber immer wenn sie hingegangen ist, war der eine Mitarbeiter grad zur Pause, weg oder im Urlaub. Einen Park gäbe es auch nicht, nur das kleine Stadtzentrum um den Al Manara Square. Im Gegensatz zu Bethlehem und Hebron sind hier mehr Frauen und sehr viele von ihnen ohne Kopftuch unterwegs. Die Männer tragen Hemd und Anzug, nicht alle, aber einige. Auch hier drängen sich zu viele Menschen auf den Gehwegen, die dicht an der Straße liegen. Ich gehe drei- oder viermal über den Marktplatz. Halb aus Langeweile und halb, um vielleicht doch noch etwas zu kaufen. Ich bin müde und halte vergeblich ich nach einer Bank Ausschau.

Grenzübergang mit Hindernissen

Am Spätnachmittag treffe Maria am Al-Manara Platz. Als ich mich von ihr verabschiede, begrüßt sie den nächsten Chouchsurfer. Der Bus ist voll. Nach zwei Minuten Fahrt stehen wir im Stau und stehen es auch eine halbe Stunde später noch. Der Bus öffnet die Türen, einige Personen steigen aus. Ich bleibe sitzen, der Bus bleibt im Stau stehen, immer mehr Leute steigen aus. Ich habe keine Ahnung, wie das mit dem Grenzübergang abläuft, und frage, ob ich aussteigen muss. „If you wanna go, you can go. If you want to stay in the bus, stay. But in the end you have to get off.“ Ich steige aus und laufe zu einem Grüppchen, das gerade auch ausgestiegen ist. Leider biegt es in die nächste Seitenstraße und die führt sicher nicht zum Grenzübergang. Ich folge der Autoschlange. Hundert Meter vor mir werfen eine handvoll Jungs mit ziemlich großen Steinen auf Soldaten. Die Soldaten schießen, wahrscheinlich nicht scharf, aber es knallt und raucht.

Es werden immer mehr Jungs und mehr Steine, die fliegen. Ich sehe weder einen Checkpoint noch einen Weg, aber zwei Mädchen vor mir. Ich laufe zu ihnen. Wir sind immer noch auf der Seite, auf der die Jungs die Steine werfen. Ich erschrecke, ein Stein fällt direkt vor mir auf den Boden. Er kam von hinten als Nachschub für die Jungs. Ein Junge nimmt und wirft ihn auf einen der Soldaten. Eines der Mädchen mit Kopftuch sagt: „That’s the way“, und zeigt auf die andere Straßenseite, circa 50 Meter links von den Soldaten, aber auf deren Straßenseite. Wir laufen über die Straße. Um zu den Sammeltaxis zu kommen, müssen wir über eine Mauer, vor der Behälter stehen. Über die Behälter klettern wir über die Mauer. Wir setzen uns in ein Sammeltaxi. Wegen der Steine werfenden Jugendlichen dauert es lange, bis weitere Mitfahrer hierher kommen. Das Mädchen mit dem Kopftuch weint leise. „Are you afraid?“, frage ich sie. „Yes.“ Ich frage, warum wir nicht im Bus geblieben sind. Sie sagt, der Weg, den der Bus zur Grenze nehme, dauere länger und an der Grenze müssten alle aussteigen. Nach einer Stunde geht es los und wir reihen uns in den Stau ein. Als wir am Checkpoint sind, geht ein junger Israeli gebeugt durch das Sammeltaxi. Er kontrolliert die Pässe. Ohne einmal gelächelt zu haben, verlässt er das Taxi. Dann warten wir. Nach einer Viertelstunde gibt ein Soldat dem Fahrer das „Okay“. Keiner redet. Zehn Minuten später sind wir Jerusalem. Ich kenne die Haltestelle nicht, es wird bereits dunkel, aber als ich aussteige, fühle ich mich in dieser ruhigeren Umgebung sicher.

Ihr habt den Anfang von Caros Reise verpasst? Hier könnt ihr nachlesen, was sie bisher erlebt hat.

Hier geht´s zu Caros Blog.

Foto: Carolin Wendt

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