E-Tickets in Hamburg: Die „kleine Revolution“ im Nahverkehr

Foto: Hamburger Verkehrsverbund
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Nach einer langen Pilotphase sollen 2016 elektronische Tickets flächendeckend im HVV eingeführt werden. Wer sich nun über modernen Nahverkehr wie in Stockholm oder Amsterdam freut, wird jedoch enttäuscht.

Von Moritz Stückler

„Hamburg revolutioniert sein Fahrkarten-System“, heißt es in der Regionalausgabe der Welt am Dienstag. Was hier als Revolution bezeichnet wird, ist jedoch vor allem gute Pressearbeit des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) – und ein Indikator für die Trägheit der Entwicklungen im deutschen Nahverkehr.

Denn unter „E-Tickets“ versteht der HVV eine neue Chipkarte, die kontaktlos an Automaten mit Tickets aufgeladen und im Verkehrsmittel digital entwertet werden kann. Das System imitiert in seiner Funktionsweise also das klassische Papier-Ticket: Es gibt nach wie vor die üblichen Ticket-Varianten, nur werden sie auf eine Karte aufgeladen, anstatt auf einen Zettel gedruckt zu werden.

Foto: Christian Hinkelmann / HVV

So könnte das neue E-Ticket ab 2016 aussehen. (Foto: Christian Hinkelmann / HVV)

Drahtlos-Technik ermöglicht fortschrittlichere Tarife

Klingt erstmal nicht so schlecht, ist aber eigentlich eine traurige, halbgare Anwendung der technischen Möglichkeiten. Die drahtlose Kommunikation zwischen Chipkarten und Automaten ermöglicht heute viel fortschrittlichere Ticket-Konzepte, wie zum Beispiel das „Check-In/Check-Out“-Verfahren.

Nutzer müssten dabei ihre Karte nur noch beim Ein- und Aussteigen kurz an einen Entwerter halten. Die Technik wüsste dann automatisch wie lange und wie weit der Nutzer gefahren ist und könnte den entsprechenden Betrag von einem Geldguthaben auf der Karte abbuchen.

Von Hong Kong bis Amsterdam – bereits seit Jahren Standard

Dieses Verfahren gehört in vielen Großstädten schon seit Jahren zum Alltag, etwa in Hong Kong (Octopus Card, seit 1997), Stockholm (SL Access Card, seit 2008) und Amsterdam (OV-Chipkaart, seit 2005). Keiner muss sich dort mehr mit Zonen, Ringen oder sonstigen Reliquien des Nahverkehrs herumschlagen. Einsteigen – „Piep“. Aussteigen – „Piep“. Wer das System in diesen Städten einmal verwendet hat, will es nicht mehr missen.

hong_kong_octopus_card

Einsteigen – „Piep“. Aussteigen – „Piep“. In Hong Kong ist das System längst Alltag.

Dafür müssen aber auch Bahnsteige und Fahrzeuge mit Zugangskontrollen ausgerüstet werden – eine riesiger finanzieller Aufwand. Das ist einer von mehreren Gründen, wieso der HVV gar kein Interesse an einer solchen Lösung hat: „Ein Großteil unserer Fahrgäste sind Abo-Kunden. Die müssen bisher gar nichts tun beim Einsteigen. Für die würde sich der Aufwand also erhöhen“, sagt Michael Volk vom Bereich Tarif & Vertrieb. Die vielzähligen Vorteile und Möglichkeiten des Systems  – genauere Abrechnung, schnellere Abwicklung, Einsatz als Zahlungsmittel, und vieles mehr – wiegen für den HVV nicht schwer genug.

HVV hat kein Interesse am Check-In-System

Stattdessen erforscht der HVV ein anderes Konzept namens „Be-In-Be-Out“. Dabei wird ganz automatisch registriert wenn ein Kunde ein Fahrzeug betritt oder verlässt. Mechanisch muss das Ticket überhaupt nicht mehr bewegt werden. Ein solches Verfahren kommt aber bisher noch nirgendwo zum Einsatz, weswegen der HVV frühestens in fünf bis zehn Jahren mit der Marktreife rechnet.

Solange müssen sich die Hamburger Kunden weiterhin mit der Wahl des passenden Tarifs, den Tarifzonen oder der Gültigkeitsdauer herumschlagen. Egal, ob mit Chipkarte oder ausgedrucktem Ticket.

 Titelbild: Hamburger Verkehrsverbund | Foto HVV Card: Foto: Christian Hinkelmann / HVV | Foto Oktopus Card: Oktopus Hong Kong
Kommentare anzeigen (8)

8 Kommentare

  1. Julian

    3. September 2015 at 17:56

    Nicht nur finanziell, sondern auch umbautechnisch. Alle Bahnhöfe müssten mit Schrankensystemen ausgerüstet werden. Keine Ahnung, welche Genehmigungen dafür nötig wären und wie lange diese alleine schon bräuchten. Da finde ich die Investitionen in den barrierefreien Zugang und Erforschung innovativer Antriebstechnologien (E-Bus, Hybrid…) wichtiger und vorrangiger. Und ja, als Abokunde empfände ich auch Schranken und ein/ausloggen als Rückschritt.

  2. Hans

    5. September 2015 at 23:56

    Wer das aktuelle Tarifsystem des HVV nicht auf den ersten Blick durchschaut und als völlig Unkundiger, aber der deutschen Sprache mächtig, nach maximal 1 Minute Sinnieren für alle Zukunft die richtigen Tickets lösen kann, sollte seine Wahlberechtigung als mündiger Bürger in Frage stellen. Ein Mindestmaß Verstand muss vorausgesetzt werden.
    Wer statt dieses transparenten und kontrollierbaren Tarifsystems eines wünscht, bei dem er selbst ständig nachkontrollieren muss, ob die unsichtbare Technik alles richtig verbucht, und wann er wo gewesen ist, um die Abrechnung zu prüfen, ist meines Erachtens nicht ganz bei Trost. Aus Kundensicht ist das E-Ticket – auch in der Form in Stockholm und Amsterdam (ich kenne beide) absolut kein Fortschritt, sondern bedeutet Zusatzaufwand.
    Dazu kommt bei diesen Systemen das überaus kritische Datenschutzthema. Für einen kaum spürbaren Nutzen wird noch ein System zur Bewegungsüberwachung befürwortet?
    Ich frage mich wirklich, ob man jede neue technische Errungenschaft automatisch als Lebenserleichterung bejubeln muss, oder ob es nicht angebracht wäre, ab und zu mal nach effektiven Vor- und Nachteilen zu fragen. Der Vorteil beim geplanten HVV-E-Ticket ist, das der HVV das Bargeld nicht mehr uas den Automaten holen muss. Nachdem die Geldbarte und wohl auch das Handyticket wohl nicht so beliebt sind wie gewünscht. Der Nachteil für den Kunden ist: noch ne Karte in der Tasche. Ansonsten ändert sich nix, und das ist gut so.

    • Moritz

      11. September 2015 at 13:49

      Danke für die Einschätzung meiner Persönlichkeit, lieber Hans. Bezüglich der Einfachheit des Tarifsystems verweise ich auf den Kommentar von Banause, der das ganz gut mit Beispielen belegt.

      Und danke dafür dass du den Klischee-Deutschen in der Diskussion hier gibst, und das Datenschutz-Argument ins Feld führst. Die benötigten kontaktlosen Karten für das Check-In-System müssen nicht zwangsläufig personalisiert werden. Sowohl in San Francisco als in Hong Kong kannst du beispielsweise vollkommen anonym eine Guthabenkarte erwerben und damit durch die Gegend fahren.

      Aber bei dem Punkt „ab und zu nach effektiven Vor- und Nachteilen fragen“ sind wir uns einig. In der Einschätzung dieser Technologie gehen unsere Meinungen aber weit auseinander. „Ansonsten ändert sich nix, und das ist gut so“ klingt für mich nach einer gefährlich konservativen Aussage.

  3. Dimi

    6. September 2015 at 07:01

    In Deutschland sind sog. Gates generell nicht üblich und würden von den Kunden auch nicht wirklich akzeptiert werden. Von den Kosten für die Aufstellung mal abgesehen, müsste an jedem Ausgang ein HVV-Mitarbeiter stehen, der Fahrgäste kontrolliert und hinaus lässt, wenn seine Karte aus irgendwelchen Gründen die Schranke nicht öffnet.

    Ich habe auch eine HVV-Card, sie aber bisher nicht genutzt, da ich Abo-Kunde bin. Ich habe aber Freunde dabei beobachten dürfen, wie sie am Automaten ein Ticket auf die Karte geladen haben. Für mein Verständnis dauert das zu lange…

  4. ghtr

    6. September 2015 at 11:17

    Merkwürdige Positionierung des Autors. Ich möchte das System, dass ich ohne meine Fahrkarte nur aus der Tasche holen muss, in die U-Bahn ein- und wieder aussteigen, nicht missen. Für mich mit Abonnement die eindeutig einfachste Lösung. Selbst wenn ich mal meine Fahrkarte vergessen habe, kann ich trotzdem die Bahn nutzen und muss lediglich fürchten, die Bearbeitungsgebühr zu zahlen. Störender finde ich dort schon die generelle Ticketkontrolle mit Vorneeinstieg in den Bussen. Zumal die Ausnahmeregelung nur für manche und nicht alle Metrobuslinien gilt – auch wenn es sich in der Praxis anders darstellt.

    Einziger Kritikpunkt: Die Ticketstruktur ist teilweise recht komplex, mit Zonen, Ringen, Bereichen etc. Hier könnte mehr aufgeräumt werden, aber generell sollten den mobilen und kontaktlose Mechanismen die Zukunft gehören. Nicht den starren, teuren Chipkartensystemen.

  5. Banause

    10. September 2015 at 09:21

    Das HVV-Tarifsystem ist ohne Computerhilfe im Prinzip nur mit den 600 Seiten Tarif-Zahlgrenzen nachvollziehbar, die der Verbund mittlerweile als PDF-Kompendium online gestellt hat. Innerhalb Hamburgs gelten ja nicht weniger als 8 verschiedene mögliche Preise für eine Einzel-Fahrt mit dem HVV. Zum Vergleich: in Berlin gibt es genau zwei und in Wien sogar genau einen Preis für die Einzelfahrt.

    Der HVV argumentiert für sein überaltertes (es ist älter als der HVV selbst) System gern mit vorgeblicher Gerechtigkeit. Zumindest das nächste Zentrum soll beispielsweise zum Nahbereichstarif erreichbar sein. Dabei ignoriert der Verbund, dass viele Fahrgäste von der Überkomplexität so abgeschreckt sind, dass sie präventiv die höchste Preisstufe (€ 3,10) wählen. Außerdem sind viele Zahlgrenzen noch dort, wo sie schon 40 Jahre Stadtentwicklung zurück lagen. Wilhelmsburg gehört beispielsweise längst zum Bezirk Mitte und ist mehr Richtung Innenstadt orientiert. Im HVV-System herrscht noch das Jahr 1960: die Wilhelmsburger können zum günstigen Tarif in ihr nicht mehr zuständiges Bezirksamt Harburg fahren, während die drei S-Bahnstationen zum Hauptbahnhof mit dem Bezirksamt Mitte und der Innenstadt mit € 3,10 zu Buche schlagen. Das versteht keiner und das kann auch keiner verstehen. Davon abgesehen gibt es die üblichen „Perlen“ im HVV: die Fahrt von der Kellinghusenstraße nach Altona kostet € 1,50, aus der Jarrestadt (Winterhude) zum 5 Fahrradminuten entfernten Hausarzt am Winterhuder Marktplatz dagegen halten die Ohrensessel-Tarifprofis € 3,10 für angemessen.

    Also: das ganze System ist überkommen und muss erneuert werden. Eher aber wird der HVV wirkliche Innovationen einsetzen, statt Fahrgäste und Medien mit ständiger Innovationssimulation zu nerven. Was da läuft, würde man in anderen Branchen schlicht Greenwashing taufen. Nehmen wir die „Innovationslinie 109“, auf der man nicht weniger als den „Antrieb der Zukunft“ testen will. Was da rumfährt, ist vorwiegend ein Sammelsurium an Techniken, die seit teilweise Jahrzehnten kurz vor dem Durchbruch stehen. Zwischendurch dann auch mal ein ganz normaler Diesel-Gelenkbus – eine Technik, die zu Kaiser Wilhelms Zeiten als innovativ durchging. Letztlich täuscht das ganze Rumgetöse darüber hinweg, dass Hamburgs Nahverkehr unter den mitteleuropäischen Millionenstädten mit großem Abstand den niedrigsten Elektromobilitätsanteil hat und die größten lokalen Schadstoffemissionen erzeugt. Warum? Hamburg hat als einzige Stadt keine Stadtbahn und bringt diese Verkehrsleistung stattdessen mit Dieselbussen. Die Stadtbahn fährt nun einmal elektrisch und erzeugt damit in der Stadt keine Abgase, während sich die Busse von Hochbahn und VHH tatkräftig an Hamburgs bekanntermaßen stellenweise rechtswidrig dicker Luft beteiligen.

  6. Vielfahrer

    11. September 2015 at 01:29

    Was will man erwarten von einem Verkehrsverbund, der barrierefreie Haltestellen ungefähr 30 Jahre nach anderen deutschen Großstädten einführt (und damit noch Werbung macht und sich als fortschrittlich verkauft)?

    • Wiener

      16. September 2015 at 09:19

      @Vielfahrer:

      Das eine ist die Präsentation des HVV nach außen. Das wirkt amüsant, weil viele Dinge, die in Hamburg gerade umgesetzt werden, längst internationaler Standard sind. Hier in Wien ist zum Beispiel natürlich das gesamte U-Bahn-Netz längst barrierefrei, über 80 % der Fahrgäste werden elektrisch befördert und so weiter.

      Folgende Anekdote: Ich war letztes Jahr drei Monate in Hamburg. Da wollte ich mir eine Monatskarte holen. Das war erstens höllisch teuer, die drei Monate kosteten fast genauso viel (über 300 €) wie eine ganze Jahreskarte hier in Wien (365 €). Zweitens dachte ich, ich kann mir die Monatskarten einfach am Automaten kaufen. Hier in Wien kein Problem, und meine Jahreskarte kann ich neuerdings sogar einfach direkt online kaufen und auf dem Smartphone vorzeigen, man braucht kein Papier mehr.

      In Hamburg fühlte ich mich wie 20 Jahre zurückversetzt. Der Automat hatte nicht einmal Wochenkarten! Nix! Ich musste zum Schalter! Da stand ich an und dann sagte man mir, dass ich für die Monatskarte noch ein Paßfoto brauche. Wie für den Führerschein. Ich wollte eigentlich nur U-Bahn fahren! Aber es ging nicht ohne. Also zum Fotoautomaten und wieder in die Schlange. Man konnt narrisch werden. In Wien schimpfen wir auch auf unsere Öffis. Aber das ist ein ganz anderes Niveau. Was ihr Hamburger da habt, ist mehr Steinzeit.

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