Zwischen Selbstherrlichkeit und PR-Getöse: Einfach alles spricht gegen die Vision von Olympia in Hamburg, findet Jan Freitag.
Kaum ein Begriff wird – abgesehen von Gefühlsduseleien wie Heimat und Liebe – so missverstanden wie „Olympiade“. Selbst versierte Sportreporter bezeichnen damit jene zwei Wochen im Sommer oder Winter, die periodisch ganze Städte in Geiselhaft der Mobster des Paten Don Bach nehmen. Dass es sich um die Olympischen Spiele handelt, während Olympiade nur die vierjährige Vorbereitungszeit darauf bezeichnet – egal! Es geht ja um den kollektiven Rausch am Traum von irgendwas völlig Illusionärem. Im Falle jener Städte, die tatsächlich Spiele austragen dürfen, ist das der, dass die Jugend der Welt ihre sportlich Besten ermittelt, im Grunde aber nur teilnehmen will. Im Falle Hamburgs hingegen ist es der, diesen Traum bloß zu träumen, eine Art Illusionierung der Illusion gewissermaßen, die schnell mal ein Loch ins Raum-Zeit-Kontinuum reißen kann, wie wir seit Zurück in die Zukunft wissen.
Denn wirklich alles spricht dagegen, dass der Funktionärskaste 2024 zwischen Alster und Elbe eigene Fahrbahnspuren zwischen Luxushotel mit separater IOC-Zone und den sündhaft teuren Spielplätzen auf dem Grasbrook geräumt werden. Gäbe es eine Steigerung von alles, hier wäre sie mal angebracht. Also: hypersupermegaalles spricht gegen diese Vision. Darunter die übermächtige Konkurrenz aus Boston oder Paris und der lästige Umstand, dass Deutschland parallel eine Fußball-EM veranstalten will, was zwar bei der nächsten Bewerbung vier Jahre später kein Hinderungsgrund mehr wäre, aber von einem dritten, viel bedeutsameren ersetzt würde: Hamburg kennt schon südlich der Alpen kaum eine Sau, die nicht zufällig mal durchgereist ist.
Nicht mehr als ein Fleischbrötchen
Wer, sagen wir: mit australischen Backpackern oder indischen Berufspendlern im ICE nach Berlin plaudert und auf Hamburg zu sprechen kommt, erntet in der Regel freundliches Achselzucken, schlimmer noch den Verweis auf Fleischbrötchen. Global ist Hamburg nur in ausgesuchten Wirtschaftskreisen und stilistisch begrenzten Musikkreisen ein Begriff, deren Kenntnisstand sich schnell bei irgendwas mit Beatles erschöpft. So schmerzhaft es für all die Jubelperser vom schönstestadtderweltblinden Rundfunk bis hin zur lokalpatriotismusblöden Stadtpresse, die nach der Entscheidung des Nationalen Olympischen Komitees pro HH publizistisch umgehend den ersten Spatenstich taten, auch sein mag: Eher überträgt RTL2 das Eröffnungskonzert der Elbphilharmonie nächste Woche live in den BER, als dass Hamburg jemals Olympische Spiele erlebt.
Das jedoch war den Unternehmern einer Stadt, die zur Rettung inkompetenter Reeder schon mal mehr Mittel aufwendet als für die Kultur und Hollands Königspaar huldigt wie in einer Erbmonarchie, den Geldhonoratioren dieser Stadt war es also völlig egal, da sie ihren Pyrrhussieg über Mitbewerber Berlin feierten, als habe der HSV mal vier Spiele nicht verloren. Vor Selbstgerechtigkeit besoffen feierten sie das sinnlose Plazet wie einen Etappensieg. Dabei war es das finale Zucken – wie damals, als der vorerst letzte Bewerber Leipzig dem Tor zur Welt die Schlüssel zu den Spielen 2012 geklaut hatte. Somit besteht der einzige Zweck des sinnlosen PR-Getöses darin, der alten Kaufmannsherrlichkeit den Bauch zu pinseln. Die Bewerbung wurde ja nicht von Sportlern initiiert, beseelt von einer Art olympischem Geist, sondern von den Pfeffersäcken der Handelskammer, die den genetisch kodierten Hamburger Mehrwertigkeitskomplex strikt ökonomisch unterfütterte.
Jetzt hat er ein, zwei Olympiaden Zeit, sich noch ein bisschen mehrwertiger zu fühlen. Aber vielleicht muss man Olympiade auch nur oft genug mit den echten Spielen verwechseln, dann finden sie tatsächlich mal an der Elbe statt. Jetzt muss sich Prag nur noch bewerben…
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Nur mal so
26. April 2015 at 22:56
Auch „MITTENDRIN“ sollte mit der Zeit gehen und nicht in Nostalgie schwelgen.Schon um glaubwürdig zu bleiben muss es heißen: Das niederländische Königspaar! „Holland“ als Staat, gab es vor mehr als 200 Jahren! Es gibt noch 2 Provinzen, die Holland im Namen haben: Nord und Süd Holland!
Jürgen
30. April 2015 at 10:42
Solange in Hamburg auch nur in einer einzigen Schule der Sportunterricht wegen fehlender Stellen oder gesperrter Turnhallen ausfällt, und solange es nicht möglich ist, in einer Stadt am Wasser einfach mal für eine Stunde ins Schwimmbad zu gehen, ohne dafür gleich eine Tageskarte für mindestens vier Euro zu kaufen, solange kann von „nachhaltigen Spielen“ nur jemand reden, der entweder unzurechnungsfähig oder ein dreister Lügner ist.
Andre H.
1. Mai 2015 at 11:24
Der Artikel trieft geradezu vor Selbsthasss und polemischem Dagegensein.
Man kann olympische Spiele (vielen Dank für die pseudointellektuelle Begriffsklärung) in Hamburg sicher kritisieren, aber dann doch bitte mit Sachargumenten und nicht mit schlechter Laune. Hamburg kennt keine Sau? Das mag sein aber was ist daran das Problem? Wieviele deutsche kannten Sotschi, Calgary oder sogar noch Vancouver?
Wenn man sich dann noch einer derartigen, mit einigen wohlklingenden Worten vor der völligen Beliebigkeit geretteten, Pöbelsprache bedienen muss, sagt das mehr über den Autor und dessen Ansinnen als über den Inhalt den die Artikelüberschrift ankündigt.