Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und hat dabei die Verlogenheit der Medienbranche gefunden.
Es gibt viele Sender, die Probleme haben, ihr Programm sinnvoll zu füllen, deshalb aber leider nicht das Testbild aus der Mottenkiste holen. Das Erste hat sie seltener als, sagen wir: RTL, was auch daran liegt, dass es viel wichtiges Weltgeschehen abbildet, von dem es ja eher zu viel als zu wenig gibt, vor allem zu viel Ungutes. Am Dienstag aber folgten auf elf Minuten Flugzeugabsturz in der „Tagesschau“ 45 weitere als „Brennpunkt“, die dem zuvor Gezeigten praktisch nichts hinzufügten – mal abgesehen von weinenden Angehörigen, die unablässig rangezoomt wurden.
Warum das erwähnenswert ist? Täglich verrecken weltweit Abertausende am Irrsinn globaler Ungerechtigkeit, pro Woche dürften mehr Deutsche an Krankenhauskeimen sterben als nun in den französischen Alpen, von Afghanistan, dem Jemen, Irak ganz zu schweigen. Die Erde ist für die meisten ein fataler Ort, doch in die Nachrichten schaffen sie es bloß als Opfer von Katastrophen jeder Art. Offenbar sind wir nur dann zur Empathie für Fremde in der Lage, wenn sie abrupt sterben. Dann haben Krisen Pause, das ZDF setzt die „heute show“ ab, RTL sein Absturz-Event „Starfighter“ und wer weiß, ob McDonalds Chicken Wings von der Speisekarte streicht. Verlogener als im Unglücksfall zeigt sich die Medienbranche selten.
Betroffenheitsporno statt Wintersport
Und weil man das am besten leicht zynisch übersteht, schalten wir auf das, was Fernsehen an all den anderen Tagen globalen Unglücks am liebsten zeigt: Unterhaltung. Vorweg die gute Nachricht: Das vorige Wochenende war erstmals seit gut vier Monaten vollends ski- und rodelfrei, was nicht nur für Wintersportmuffel gute News sind. Für wen die folgenden Ankündigungen welche sein könnten, ist hingegen einzelfallabhängig. RTL lässt Weihnachten 2016 Winnetous auferstehen, mit Wotan Wilke Möhring als Shatterhand, Stars von Jürgen Vogel bis Fahri Yardim in Nebenrollen und vermutlich Erol Sander als edler Apache. Schon für diesen Herbst indes plant RTL ein – Achtung! – „journalistisches Format“ für Margarethe Schreinemakers. Und dann dreht der US-Sender Fox nach 13 Jahren Werbepause auch noch sechs neue Folgen „Akte X“. Na, wenn einem sonst nix einfällt … kann er auch zu Felicitas Woll sagen, Fee, schau doch am Anfang eines Filmes voll süß, dann doll betroffen, später krass kämpferisch, zuletzt wieder süß. Fertig ist das, was Sat1 unter „Problemfilm“ versteht, wenn die Dramaqueen Dienstag als „Die Unbeugsame“ ein Opfer häuslicher Gewalt spielt. Diese Art Betroffenheitsporno ist nutzlos, firmiert aber als Kontrastprogramm zum ARD-Mittwochsfilm. Nach dem Kriegsepos „Unsere Mütter, unsere Väter“ hat Philipp Kadelbach mit Stefan Kolditz den DEFA-Klassiker „Nackt unter Wölfen“ neu verfilmt. War das Original um KZ-Gefangene, die unter Einsatz ihrer Leben ein Kind am Leben halten, 1962 noch eine recht zähe Angelegenheit, begeistert das Remake exakt unterhalb der Kitschgrenze. Dazu die sehenswerte Buchenwald-Doku im Anschluss – fabelhaft!
Ein absurder Komplott
Was man (mit Abstrichen) auch von „Grzimek“ sagen kann, der Karfreitag im Ersten von den Toten aufsteht. Dank Ulrich Tukur in der Titelrolle wird der nette Tieronkel früherer TV-Tage nicht nur lebendig; er kriegt ein paar Dellen verpasst, von denen unsere Eltern nichts wissen wollten. Seine Nazi-Vergangenheit etwa oder dass er bei aller Tierliebe menschlich eher schwierig war und für den Naturschutz zuweilen das Recht brach. Das hat er mit Helmut Kohl gemein, den die ARD Montag (23.30 Uhr) an der Seite seines Mit- und späteren Gegenspielers Heiner Geißler porträtiert, was für beide nur bedingt schmeichelhaft ist, fürs Publikum aber erhellend. Wie der „Themenabend Fleisch“, mit dem Arte tags drauf zeigt, was für einen Dreck sich die Masse der Konsumenten reinschaufelt. Und auch fiktional wird es politisch, hochpolitisch sogar. Passend zu Netanjahus Wiederwahl handelt Navad Lapids preisgekröntes Drama „Der Polizist“ vom Riss durch Israel im Sog des Palästinenserkonflikts.
Und weil wir uns das Lachen trotz Katastrophen einfach mal nicht verbieten lassen, sei hiermit ausdrücklich auf „The Wrong Mans“ verwiesen, eine hintersinnige Dramedy mit dem britischen Komikerduo Mathew Baynton und James Cordon, das Donnerstag sechs Teile am Stück auf Arte in einen absurden Komplott gerät. Komplott ist ein Stichwort für die „Wiederholungen der Woche“: In Hitchcocks „Berüchtigt“ (1946) spielt Ingrid Bergmann am Sonntag (3sat) eine Doppelagentin auf der Jagd nach Nazis in Brasilien, gekrönt vom bis dato längsten Filmkuss (mit Cary Grant). Parallel dazu auf Arte in Farbe: „Amadeus“, Milos Forman Meisterwerk von 1984, das man immer und immer und immer wieder sehen kann.
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