Interview: Das geht unter die Haut

Kultur
Judith Behnk

Kulturredakteurin / M.A. Kunstgeschichte und Religionswissenschaften / Kontakt: behnk@hh-mittendrin.de

Im Herzen von St. Georg findet man den Laden Himmel & Hoelle – Tätowierladen und Friseursalon in einem. Die Kombination geht nicht? Doch! Tätowierer Norman Hahn alias ‚lecoq‘ gibt im Mittendrin-Interview einen Einblick in die Welt der Tattoos und erzählt uns von Wölfen im Schafspelz und warum Kunden bei ihm ihre Hausaufgaben machen müssen.

Mittendrin: Bei wem ist denn jetzt Himmel oder Hölle? Ist bei dir der Himmel oder die Hölle, lecoq?

lecoq: Das ist wohl Interpretationssache. Für einige die Hölle für andere der Himmel, würde ich so sagen.

Wie seid ihr darauf gekommen Tattoos und Styling zu kombinieren?

lecoq: Das hat sich mehr oder weniger so ergeben. Es passte irgendwie zusammen und natürlich auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Und das Konzept kommt in St. Georg an?

lecoq: Das trägt sich schon ganz gut. Das Gute daran ist, dass normale Leute die sonst eigentlich nichts mit diesem Genre zutun haben oder nicht so in diesem Thema bewandert sind, mal einen Einblick kriegen. Einige sind da auch nicht so, dass sie einfach in einen Laden reinrennen und sich beraten lassen. Und wenn man mal die Möglichkeit hat über einen Friseur in das Thema Tattoo reinzuriechen, dann ist das gar nicht so schlecht. Ich glaube einige sind dann positiver überrascht als sie zunächst gedacht hätten.

Und wo kommst du eigentlich her, kommst du aus Hamburg?

lecoq: Ich bin eigentlich Mecklenburger, Waren Müritz. Aber ich bin 1989 hergekommen, bin also schon länger hier als ich damals dort gelebt habe.

Und wie lange tätowierst du denn schon?

lecoq: Mittlerweile so 11 Jahre mit allem drum und dran. Professionell ist das jetzt würde ich sagen das sechste oder siebte Jahr. Die Jahre davor waren das eher Selbstversuche und Arbeiten bei Kollegen.

Hast du denn auch die ersten Tätowierversuche bei dir selbst vorgenommen?

Ja. So die übliche Geschichte halt. Die ersten Sache macht man bei sich und wenn die dann relativ vernünftig aussehen dann melden sich schon die ersten Kunden.

Was haben damals deine Familie und Freunde zu deiner doch außergewöhnlichen Berufswahl gesagt?

lecoq: Die waren froh das ich nachher überhaupt was gemacht habe. (grinst)

Warst du denn schon immer kreativ und hast viel gezeichnet?

lecoq: Ja, ich hab zuerst Grafikdesign studiert und zum Grafikdesign bin ich durch Graffiti gekommen. Also war ich irgendwie schon immer kreativ.

 

Was magst du am liebstem an deinem Job?

lecoq: Die Abwechslung eigentlich und das Lockere. Tätowierungen sind – okay das hat sich jetzt in den letzten fünf Jahren ein bisschen etabliert – aber eigentlich sind ja Tätowierte nicht so Normalos, also in Anführungszeichen. Kann man zwar heute auch nicht mehr so pauschal sagen, weil sich das alles so ein bisschen aufgeschwemmt hat. Wenn man da jetzt von früher ausgeht, waren Tätowierte ja irgendwelche Randgruppen oder Szeneleute. Und das ist eigentlich interessant, weil du weißt du hast es nur mit ‚crazy‘ Leuten zutun. Aber wie gesagt das hat sich heute auch geändert. Heutzutage muss man sich auch mit hysterischen Hausmuttis rumschlagen die auf einmal irgendwelche Vögel haben wollen die aus ner Feder kommen.

Also gibt es bei dir auch Kunden denen man nicht mal annähernd zutrauen würde das sie eine Tätowierung tragen?

lecoq: Also davon gibt’s glaub ich heute mehr als genug. Was aber nicht heisst, dass die nervig sind. Das sind manchmal so die Wölfe im Schafspelz.

Was ist denn das Abgefahrenste das du jemals tätowiert hast?

lecoq: Da gibt’s ja solche und solche Sachen. Also abgefahren vom Motiv her würde ich sagen bei einem Mann ein Comicdrache der mit einem Kescher einen Schmetterling fängt auf dem Unterarm. Das würde ich schonmal als strange bezeichnen. Und andererseits so ein Fall in dem ein Typ eine Wette verloren hatte und der Wetteinsatz war, dass er sich einen Anker auf den Sack tätowieren lassen musste. Letztendlich haben die sich aber doch noch mal neu geeinigt und es wurde dann nur die Leistengegend.

Das wäre wahrscheinlich auch ein bisschen zu hart gewesen?

lecoq: Na gut, das ist ja dann nicht mein Problem. Ich werde dafür gut bezahlt und der Rest ist mir dann auch egal.

Kam schonmal jemand mit einer Idee zu dir in den Laden rein und hast gesagt, ’nee das mache ich nicht‘?

lecoq: Also Tätowierer ist ja nicht gleich Tätowierer, da gibt’s so viele Stilarten. Ich denke das ein guter Tätowierer sich von vornherein auf gewisse Sachen spezialisiert und somit sowieso nicht alles macht. Klar, aber das hat dann nichts mit dem Motiv an sich zu tun, sondern eher mit der Umsetzung. Ich denke es ist schon gut wenn man auf der sicheren Seite ist mit dem was man tut. Bevor dann irgendwelche Sachen passieren die man nicht möchte, sagt man dann eher: ist nicht so meins. Also ich hab das jetzt noch nicht gehabt, dass irgendwelche Leute Hakenkreuze haben wollten, aber die haben dann wohl eh ihre eigenen Tätowierer.

Wie würdest du denn deinen eigenen speziellen Stil beschreiben?

lecoq: Mexican. Also so würde ich den beschreiben, der ist eigentlich ein Knaststyle der ausgearbeitet wurde und auf ein hohes Maß an Qualität gebracht wurde. Modern ist der unter anderem durch die Hip-Hop-, Graffiti- und Hard Rockszene in L.A. geworden.

Konntest du feststellen, dass es kulturelle Unterschiede in der Motivauswahl gibt? Oder ist das mittlerweile sehr durchmischt?

lecoq: Das ist ziemlich durchmischt, man kann das heute nicht mehr so trennen. Klar hast du immer irgendwelche traditionellen Geschichten. Aber die Deutschen lassen sich heutzutage irgendwelche japanischen Sachen oder Maorigeschichten machen, und es gibt auch Japaner die sich irgendwelche modernen Sachen machen lassen. Ich glaube dafür ist der mediale Informationsfluss weltweit einfach zu groß, als das sich die Menschen auf irgendwelche kulturellen Sachen beschränken. So Tattoogeschichten verbreiten sich ja mittlerweile darüber weltweit. Wobei Europa oder besser gesagt Deutschland noch weit zurück liegt hinter Amerika. Wenn man sich so den Lauf der Geschichte der Tattookunst in Amerika anguckt, dann sind da schon relativ früh Künstler in das Tätowieren eingedrungen und haben das Ganze auf ein ganz neues Level gehoben. Was sich hier erst in den letzten 5-10 Jahren entwickelt hat, ist in den USA schon in den 70ern passiert. Ein Beispiel wäre Ed Hardy, er ist einer der ersten Kunststudenten gewesen, der angefangen hat zu tätowieren. Die hatten dann dadurch natürlich auch einen ganz anderen Kundenkreis.

Wer mehr zu diesem Thema erfahren möchte, sollte die aktuelle Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg nicht verpassen. Vom 13. Februar bis zum 6. September können Besucher in der Ausstellung „Tattoo“ der Kulturgeschichte der Tätowierung nachgehen. Über 250 Exponate vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart werden gezeigt, darunter: Fotografien, Farbholzschnitte, Gemälde, Videoinstallationen und historische Hautpräparate. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 21 Uhr Eintrittspreise: 10 Euro, ermäßigt 7 Euro; Donnerstag ab 17 Uhr 7 Euro, bis 17 Jahre freier Eintritt.

Gibt es denn spezielle Künstler die dich und deinen Stil beeinflusst haben?

lecoq: Ja, auf jeden Fall. Steve Soto, Jose Lopez und OG Abel zum Beispiel, da gibst mehrere und das wären jetzt so die bekanntesten aus meinem Bereich.

Arbeitest du denn auch mit anderen Künstlern zusammen?

lecoq: Nein eigentlich nicht. Also man kennt sich schon. Ich mein das sind ja fließende Geschichten. Wenn du zum Beispiel Leute aus der Graffitiszene hast, die auch Tätowieren, hast du dann schon noch einen anderen Kontakt zu denen als zu anderen Tätowierern, die damit nichts zu tun haben. So viele andere Tätowierer kenne ich eigentlich nicht. Man kennt ein paar aus der Graffiti und Hip-Hop-Szene, weil man da zusammen groß geworden ist und die sich dann später auch fürs Tätowieren entschieden haben.

Willst du der Welt noch etwas wichtiges mitteilen oder wenigstens dem Stadtteil?

lecoq: Da wäre eine Bitte von mir. Also eins kann ich nur sagen, dadurch da heutzutage so ein Hype um Tattoos gemacht wird, sind die Leute der Meinung, der Tätowierer müsse alles können. Oder das der Tätowierer die Hausaufgabe des Kunden machen muss. Das ist ein Problem, denn die Leute müssen sich mit dem was sie haben wollen oder wie sie es haben wollen auseinandersetzen. Ich kann nicht in einen Laden rennen und sagen: „Ich will mich tätowieren lassen. Was hast du für mich?“. Das sind dann die Gründe warum Tattoos nicht so nachhaltig sind, weil beispielsweise sich Rihanna ein Unendlichkeitszeichen tätowiert hat und irgendwer das einfach kopiert. Das wird nicht so eine Langlebigkeit haben wie etwas, was ich bin, wie etwas was mich betrifft, was bei mir etwas anregt. Darüber sollten sich die Leute vorher bewusst sein. Die Tätowierer sollten sie sich anhand dessen auswählen, was sie tätowiert haben wollen. Die Mappen verschiedener Tätowierer angucken und anhand dessen entscheiden, ob das der Richtige für sie ist. Wenn sie das machen, haben sie schon 50 Prozent der Qualität, die sie eigentlich haben wollen. Und nicht einfach in irgendeinen Laden laufen und sich was aufschwatzen lassen.

Pressefoto; 1-MKG_Tattoo_Ausstellungsansicht, Foto: Michaela Hille

Ab dem 13. Februar dreht sich im Museum für Kunst und Gewerbe alles um das Thema „Tattoo“.

 

Gibt es das denn auch häufig das Kunden mit einer eigenen Zeichnung zu dir kommen?

lecoq: Ja, dann ist das jemand der seine Hausaufgabe gemacht hat, weil dann kann ich ihn beraten und sagen lass uns das auf diese oder jene Weise machen, weil das für diese Körperstelle anatomisch besser passt usw. Also die Motivwahl und wie er es haben will das sind die Hausaufgabe des Kunden. Das wäre es eigentlich.

Vielen Dank für das Gespräch, lecoq. 

Titelfoto und Galerie: Judith Behnk | Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe, Foto: Michaela Hille
Klicken um Kommentar zu schreiben

Artikel kommentieren

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Mehr in Kultur

Bothmer-Nosferatu+

Kulturtipp: Nosferatu zu Gast in der Laeiszhalle

Judith Behnk3. März 2016
Ausstellungsansicht "Geniale Dilletanten - Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland"

„Geniale Dilletanten“: Experimente zwischen Lärm und Klang

Judith Behnk5. Februar 2016
moritz_neumeier_by_mathias_becker_02

Im Kern verrückt, die Hülle immer wieder neu – der Hamburger Comedy Pokal 2016

Felix Rasmus Willeke3. Februar 2016
Valerie Bayol

Künstlerporträt: Valérie Bayol – Von Hexen, Zauberern und Drachen in St. Georg

Judith Behnk28. Januar 2016
Gefahrengebiete und andere Hamburgensien

Tipp der Woche: „Gefahrengebiete und andere Hamburgensien“

Isabella David15. Dezember 2015
Asyland Hamburg

Tipp der Woche: Mit „Asyland“ die Perspektive wechseln

Isabella David8. Dezember 2015
Kraftwerk Bille - Hallen

Producers Artfair: „Ein Labor des Austausches“

Judith Behnk9. September 2015
Peotry Slam, Patrick Salmen, Foto: Jelena Malkowski

Weltrekord: Größenwahnsinniger Poetry Slam

Jelena Malkowski28. August 2015
"Kampf der Künste"-Moderator Michel Abdollahi im vollbesetzten Schauspielhaus (Foto: Jan Brandes).

Weltrekordversuch im Dichterwettstreit

Jelena Malkowski26. August 2015

Rund um Billstedt, Billbrook und Horn atmet die grüne Lunge der Stadt. In Hamm, Rothenburgsort, Borgfelde, Hammerbrook, St.Georg, der Alt- und Neustadt, und auf St. Pauli riecht und schmeckt man Hamburg an jeder Straßenecke. Die Hafencity glänzt und glitzert im Schatten der dicken Pötte und Kräne.

Die andere Seite der Elbe auf der Veddel, in Wilhelmsburg, auf dem Kleinen Grasbrook, in Steinwerder, Waltershof, Finkenwerder und auf der Insel Neuwerk lässt hanseatische Tradition spürbar werden.

Das ist Hamburg-Mitte, unser Bezirk inmitten einer lebhaften Stadt. So vielfältig wie seine Bewohner sind die Geschichten, die wir erzählen.

Mittendrin ist Name und Programm – täglich sind wir unterwegs und bringen euch spannende Reportagen, aktuelle Lokalnachrichten und ausdrucksstarke Bilder und Videos aus Hamburgs bunter Mitte.

Hamburger Geschichten

© 2012 - 2015 Mittendrin | Alle Rechte vorbehalten. Impressum - Umsetzung Politikwerft Designbüro.