Viele Pioniere haben den experimentellen Film in Hamburg geprägt. Der Community-Sender Tide hat den Filmemachern der ersten Stunde ein Denkmal gesetzt und kann sich selbst der Aufbruchsstimmung und Inspiration dieser Jahre nicht entziehen.
Hamburg präsentiert sich zu den verschiedensten Anlässen als Filmstadt. Neben dem Hamburger Filmfest und den Lesbisch Schwulen Filmtagen finden in der Hansestadt zahlreiche große und kleine Events rund um das bewegte Bild statt, die immer wieder tausende Besucher in die Kinosäle locken. Die Filmszene in Hamburg ist jedoch viel älter als die meisten Festivals, die heute in der Stadt veranstaltet werden – sogar älter als manches Kino.
Hamburgs Community-Sender Tide hat den Pionieren des Films Hamburger Prägung ein Denkmal gesetzt. In zehn Werkinterviews haben Nachwuchsredakteure der Ausbildungsredaktion den Jahren des künstlerisch-filmischen Aufbruchs in Hamburg nachgespürt und konnten in eine Zeit eintauchen, in der Hamburg zu einem der wichtigsten Standorte für experimentelle Filmemacher zählte. Zwischen den 1970ern und 1980ern haben diese Pioniere den modernen Film maßgeblich geprägt – und dienen auch heute noch als Inspiration für Nachwuchsfilmemacher.
Von der Katastrophe zur Ausstellung
Die Interviews mit bekannten Filmemachern wie Helmut Herbst, Jens Huckeriede und Monika Treut wurden nach der Ausstrahlung im Fernsehen auch im Rahmen einer Filmreihe im Metropolis Kino gezeigt. In Zusammenarbeit mit der Freien Akademie der Künste ist daraus nun eine Ausstellung entstanden, die neben den eigentlichen Interviews noch viel mehr über die Filmpioniere aus Hamburg zeigt. Am Donnerstag, den 23. Oktober um 18 Uhr, wird die Ausstellung mit einer Feier eröffnet. Für Redakteure wie Ann Kimminich, die seit 2012 an den Interviews mitgearbeitet hat, ein ganz besonderes Ereignis, den die Arbeiten an den Werkinterviews waren nicht immer leicht. „Das war für alle eine neue Situation. Uns fehlte die Erfahrung bei dieser Art von Beiträgen und die Filmemacher waren es nicht gewohnt selbst gefilmt zu werden“, erzählt Ann vom schwierigen Start der Produktion.
Dabei war es nicht nur ein Problem die Filmemacher an ihre neue Rolle zu gewöhnen, auch das Tide-Team musste unter ungewohnten Bedingungen arbeiten. „Anfangs waren die Arbeiten wirklich eine totale Katastrophe. Die meisten waren es nur gewohnt im Studio zu arbeiten und hatten keine Erfahrung mit Dreharbeiten außerhalb von Tide“, sagt Claudia Willke, Chefredakteurin von Tide und Initiatorin der Werkinterviews. Erfahrene Mentoren begleiteten daher die weiteren Arbeiten und konnten dem Nachwuchs schnell zeigen wie die Herausforderungen einer solchen Produktion gemeistert werden können. „Dem Zuschauer sind die anfänglichen Schwierigkeiten zum Glück nie aufgefallen“, sagt Ann.
Inspiration zu mehr Experimenten
Für die erste Produktion Ende 2012 stellte sich Produzentin Brigitte Krause zur Verfügung – ein Glücksfall wie sich schnell herausstellen sollte: „Brigitte war das perfekte ‚Versuchsobjekt‘ und hat uns alle immer wieder sehr beruhigt“, erzählt Ann. Für die jungen Medienmacher waren die Dreharbeiten ein besonderer Zugang zu einer Zeit, in der noch nicht jeder die Möglichkeit hatte Videos zu drehen und zu verbreiten. Lange vor Youtube und Handykameras haben die Pioniere des experimentellen Films immer wieder die Entwicklung des modernen Filmemachens vorangetrieben. „Das Projekt hat uns alle wahnsinnig inspiriert. Besonders spannend war, wie mit den verschiedenen Filmmaterialien experimentiert wurde“, sagt Ann. „Es ist beeindruckend zu sehen, wie mutig die Filmemacher waren und dass sie sich bis heute treu geblieben sind. Das sind schon richtige Künstler“, so Ann weiter.
Persönlich will auch sie mehr experimentieren, weiß aber auch, dass die Bedingungen sich seit den Pioniertagen des modernen Films stark verändert haben. Diesen Wandel hat auch Willeke beobachtet: „Heute kommt man als Filmemacher viel schwieriger an die Sender und die Möglichkeiten dort heran, da alles viel wirtschaftlicher und stromlinienförmiger ist.“ Auch Tide will zukünftig versuchen an die frühere Vielfalt anzuknüpfen und mehr Raum für Experimente zu geben. Aus der ursprünglichen Filmreihe zum zehnjährigen Bestehen des Senders ist so viel mehr geworden. Im Anschluss an die Ausstellung sollen die Interviews auch verschriftlicht werden und in einem Buch über die Hamburger Film- und Fernsehgeschichte erscheinen.
Förderung auch ohne wirtschaftlichen Erfolg?
Wohin die Reise für das Medium Film in Zukunft gehen wird, können weder die Pioniere der ersten Stunde, noch die Nachwuchsfilmer bei Tide sagen. Sicher ist nur, dass sich aktuell auch in der Filmszene wieder etwas verändert. „Die Präsenz von Filmen außerhalb des Kinos hat abgenommen, was dazu geführt hat, dass es mehr Blockbuster geworden sind, aber auf Youtube entsteht gerade eine ganz neue Szene, in der auch wieder mehr experimentiert wird“, sagt Ann.
Auch bei Filmförderungen und Sendern findet verstärkt ein Umdenken statt. Bisher gilt aber immer noch, dass Erfolg in erster Linie an den Einnahmen gemessen wird. „Auch Förderungen von keativen Projekten achten heute darauf, ob ein wirtschaftlicher Erfolg möglich ist“, sagt Willeke. „Es wäre aber schön, wenn junge Nachwuchstalente wieder ohne den Zwang zum Selbstmarketing mit dem Medium Film experimentieren könnten“, so Willeke weiter.
Wer sich ein Bild davon machen will, wie die zwanglose Freiheit zum Experimentieren den heutigen Film geprägt hat, sollte sich die Ergebnisse der Tide-Produktion anschauen. Die Ausstellung über die Anfänge des experimentellen Films in Hamburg ist noch bis zum 9. November in der Freien Akademie der Künste zu sehen. Unterstützt wird das Projekt von der Filmförderung Hamburg/Schleswig-Holstein und atv plus media service.
„Frieder Knabe“ / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc)
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