Am Tag der Geschichtswerkstätten bot sich in vielen Stadtteilen die Gelegenheit, mehr über die Vergangenheit von Orten zu erfahren, die im Alltag unscheinbar wirken. Wir waren auf St. Pauli unterwegs und konnten selbst erfahren, warum das spannend ist.
Das vielfältige Angebot am Tag der Geschichtswerkstätten macht es schwierig, sich für einen bestimmten Rundgang zu entscheiden. Die Wahl fällt schließlich auf eine historische Tour durch die Hinterhöfe St. Paulis – eine gute Entscheidung, wie sich bald herausstellt. Denn auch wenn die Veranstaltungen der anderen Geschichtswerkstätten sicher nicht weniger interessant sind, lernt man hinter den Hausfassaden St. Paulis eine andere Seite des Stadtteils kennen, die das Quartier bis heute prägt.
Unterwegs in der Jägerstraße
„Ein Blick in die Hinterhöfe ist, als würde man den Menschen ins Wohnzimmer schauen“, erklärt Gunhild Ohl-Hinz vom St. Pauli Archiv. Wie die anderen Geschichtswerkstätten auch, sorgt sich das Archiv zunehmend um die weitere Finanzierung der Einrichtung. Dabei macht gerade der Rundgang in den Hinterhöfen des Stadtteils deutlich, dass in den Geschichtswerkstätten ein Schatz an historischem Wissen liegt, der so nirgends zu finden ist. Die besondere Tour beginnt in der Wohlwillstraße, die bis 1948 den Namen Jägerstraße trug. Aus dieser Zeit stammt auch der Name Jägerpassage, in der wir eine der ältesten Bebauungen des Stadtteils finden. Das Besondere: Bereits 1866 wurde hier eine Form des sozialen Wohnungsbaus betrieben, um den Arbeiterstadtteil St. Pauli anders zu entwickeln, als die dunklen und unhygienischen Gängeviertel der Innenstadt.
Für die damalige Zeit boten die rund 30 Quadratmeter großen Wohnungen einen hohen Komfort: eigene Toiletten und viel Tageslicht waren insbesondere für Arbeiterfamilien nicht selbstverständlich. Für die Historiker auf St. Pauli sind die Backsteingebäude hier ein echter Glücksfall. Im Zweiten Weltkrieg blieb der Stadtteil weitestgehend von Bombenangriffen verschont, seit Ende der 1980er ist ein Abriss der ehemaligen Arbeiterwohnungen untersagt. „Man will sich an die Arbeitergeschichte im Stadtteil erinnern“, sagt Ohl-Hinz.
Immer noch die alten Probleme
Schon der Streifzug durch die Geschichte ist spannend und wird von der Expertin des St. Pauli Archivs anschaulich erzählt. Besondere Bedeutung bekommt die Tour aber durch die Brücke, die von den alten Häusern bis in die Gegenwart reicht. Ein Problem, dass auf St. Pauli heute immer wieder zu Protesten führt, war schon in der Vergangenheit bekannt: Spekulationsobjekte. Bereits im 19. Jahrhundert wurden viele Mietshäuser nur zu dem Zweck billig gebaut, um diese möglichst profitabel zu vermieten. Auch heute stehen im Stadtteil zahlreiche Gebäude, in die ihre Eigentümer kaum investieren und dennoch vergleichsweise hohe Mieten verlangen. Auch einige der historischen Häuser in den Hinterhöfen sind in Privatbesitz und teilweise in einem sehr schlechten Zustand. Was passiert, wenn man Gebäude über Jahre nicht saniert, haben die Esso-Häuser erst im vergangenen Jahr gezeigt. Diese sind inzwischen auch Geschichte. Ein weiterer Fall für die Historiker des St. Pauli Archivs – denn in Vergessenheit geraten sollten die Esso-Häuser ebenso wenig, wie all die anderen Geschichten rund um den Stadtteil, die die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Archivs auch in Zukunft erzählen wollen.
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