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Schanzenfest: Protest und Rituale

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Nach einem Jahr Pause findet nun wieder das Schanzenfest statt. Diesmal allerdings am Sonntag und nicht vor der Roten Flora, sondern in drei nahegelegenen Straßen. Damit soll der politische Charakter des Festes wieder im Fokus stehen, sagen die Veranstalter.

Tausende Menschen, die entspannt durch die Straßen schlendern, vorbei an Flohmarktständen und Musikbühnen. Schwarzvermummte Gestalten, die Bengalos zünden und Polizeitrupps gegenüberstehen. Zwei Szenerien, die gegensätzlicher nicht sein könnten — und doch beide fest mit dem Schanzenfest verbunden sind: Am Nachmittag die friedliche Stadtteilparty, am Abend die Straßenschlacht, dieses Programm schien in den vergangenen Jahren fest verankert. Nun wirkt es so, als wollten die Veranstalter von diesem Ritual abweichen.

Im vergangenen Jahr fiel das Stadtteilfest zum ersten Mal aus, nach 24 Jahren. Der Grund: Vor zwei Jahren hatten Vermummte Feuer vor dem autonomen Stadtteilzentrum Rote Flora gelegt. Und beim Versuch, dieses zu löschen, wurden zwei Männer niedergestochen und verletzt. Nach dem Vorfall wurde über “erlebnisorientierte” Jugendliche diskutiert, die allein der Randale wegen auch von weit her zum Schanzenfest angereist wären. Einige schrieben den Messerangriff rechten Nationalisten zu. Man wolle nunmehr “keine Plattform bieten” für jene, die nur auf Krawall aus seien, sagten die der Roten Flora zugehörigen Veranstalter des Straßenfestes. Später jedoch dementierten andere Rotfloristen diese Äußerung wieder: Man distanziere sich “nicht grundsätzlich von allen Menschen, die am Schanzenfest auf Krawall gebürstet sind”, hieß es. Dennoch wolle man “konkrete Perspektiven jenseits eines ritualisierten abendlichen Krawalls” entwickeln. Die Folge: Das Schanzenfest findet dieses Jahr wieder statt, allerdings nicht mehr auf dem Schulterblatt. Am kommenden Sonntag (28.9.) wird rund um Bartelsstraße, Schanzenstraße und Ludwigstraße gefeiert.

Weg von der “Schanzen-Piazza” also: Diese Entscheidung gegen den Szenetreff sei in erster Linie eine Reaktion auf die Kommerzialisierung und Gentrifizierung des Stadtteils, sagen die Organisatoren. “Wir wollen nicht in einer Reihe stehen mit anderen kommerziellen Massenevents in Hamburg – darum bleibt das Schanzenfest unangemeldet, jeder kann mitmachen und sich am Trödelmarkt beteiligen, ohne Standgebühren zahlen zu müssen”, sagt Florentin, Sprecher des Aktivistenkreises rund um die Rote Flora und Mitorganisator des Festes. Eine weitere Änderung: Es wird nicht mehr wie bisher an einem Samstag, sondern an einem Sonntag gefeiert. “Wir hoffen, dass so das Abendprogramm anders aussehen wird als in den vergangenen Jahren”, sagt Florentin. Das klingt nach einer vorsichtigen Distanzierung von den Ereignissen des letzten Schanzenfestes.

Schanzenfest 2009 | von fourfaces (IMG_0726.JPG) [CC-BY-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia CommonsJugendliche, die laut „Liebe!“ rufen, Passanten, die ein Schild vor sich hertragen, auf dem „Bitte mehr Yuppies“ oder „Ich eskalier gleich!“ geschrieben steht, ausgelassene Kissenschlachten am Abend: Auch diese Szenen gehörten in den vergangenen Jahren zum Schanzenfest. „Geht woanders spielen“ und „Habt ihr kein eigenes Viertel“ war auf Transparenten an den Häuserfassaden rund ums Schulterblatt zu lesen.  Aktivisten, Anwohner und Gewerbetreibende schienen überdrüssig ob der ständigen Diskussion um Militanz, sie setzten auf Ironie und Gentrifizierungskritik – eine Dynamik, die sich im Januar 2014 während des umstrittenen Gefahrengebietes erneut entfalten sollte.

Den Ursprung der Auseinandersetzungen sehen die Rotfloristen heute nach wie vor in der Polizeipräsenz: “Schon in den späten achtziger Jahren wurden mal Lagerfeuer am Abend vor der Roten Flora angezündet – doch das verlief alles entspannt und hielt sich in Grenzen”, sagt Florentin. Erst Anfang der 2000er, unter dem Innensenator Ronald Schill, sei das Abendprogramm schließlich militanter geworden,  weil dieser Wasserwerfer aufs Schulterblatt geschickt habe.

Ob das bunte Straßenfest diesmal wieder in Jagdszenen zwischen Demonstranten und Polizei endet, ist reine Spekulation. Die Aktivisten aus Hamburg verzichten auf Provokationen. Sie betonen lieber das politische Motto des Festes: Refugees Welcome. Die Veranstalter kündigen an, sie würden den schwelenden Konflikt um die Flüchtlingsgruppe Lampedusa in Hamburg aufgreifen. Auch über die Lage in den neu geschaffenen Flüchtlingsunterkünften solle diskutiert werden: „Der Kampf um ein Bleiberecht für die Lampedusa-Flüchtlinge ist noch nicht beendet, die Lebensbedingungen in den Flüchtlingsunterkünften der Stadt sind katastrophal – auf diese Probleme wollen wir aufmerksam machen und gemeinsam mit Flüchtlingen und Aktivisten über Lösungen diskutieren“, sagt Florentin.

Das Festprogramm haben in Hamburg lebende Flüchtlinge selbst mitgestaltet. Von ihnen werden auch am Sonntag einige dabei sein — darunter Mitglieder der Lampedusa-Gruppe, die sich der Ausländerbehörde bisher noch nicht gestellt haben. Falls die Polizei die Gelegenheit nutzt, um die Männer aufzugreifen, könnte es wohl doch zu Auseinandersetzungen kommen. Mitorganisator Florentin sagt: “Rassistische Kontrollen werden wir nicht dulden und uns dagegen wehren, das ist sicher.”  In einer Pressemitteilung sagen die Veranstalter jedoch auch, dass sie „besonnen auf die Sicherheit von Teilnehmenden ohne Pass oder traumatisierten Menschen achten“ wollen, denn: Stärke entstehe nicht durch „Heldentum und Männlichkeitsrituale“.

 

 

 

Titelbild: Isabella David / Foto Schanzenfest 2009: Schanzenfest 2009 | von fourfaces (IMG_0726.JPG) [CC-BY-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

 

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1 Kommentar

  1. jörn

    27. September 2014 at 12:46

    das ist entweder nicht recherchiert oder absichtlich mißverständlich formuliert.. die brandstifter kamen vermutlich aus der rechten szene oder waren zumindest der flora und dem anliegen des schanzenfests nicht freundlich verbunden.. die nierdergestochenen waren allerdings aus dem flora umfeld. also: was soll diese darstellung? und welchen grund hat die infragestellung der ernsthaftigkeit des anliegens (weniger event und halligalli, mehr politischer inhalt, keine konzentration auf die flora als abschlusspunkt) der organisierenden? bitte mal eine erklärung..

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