Schwermut liegt über dem Hansaplatz. Tief und traurig klingen die Stimmen eines russischen Chors durch den Stadtteil. Schwermut liegt in der Luft. Der Himmel ist in dunkles Grau getaucht. Passanten eilen über den Platz. Vergraben die Hände tief in den Taschen und ziehen ihre Mützen tief in das Gesicht. Dann unterbrechen einige ihre Flucht vor Wind und Wetter. In der Mitte des Hansaplatzes, gleich neben dem Chor, durchbrechen bunte Farben das triste Grau. Auf Wäscheleinen zwischen den kargen Bäumen, die bereits befreit sind von ihrer Blätterpracht, hängen farbig bemalte Bettlaken. Kunstvoll schlängeln sich die Buchstaben in rot, grün, blau und gelb über den weißen Hintergrund. Es sind kleine Sprüche, Lebensweisheiten und Gedichte, die hier über den Platz strahlen. Für einen Moment ist das triste Grau des Alltags verdrängt. Es ist die „Straße der Poesie“, die Schülerinnen und Schüler der Klosterschule hier in Zusammenarbeit mit zahlreichen Einrichtungen aus dem Stadtteil präsentieren. Koordiniert wird das Projekt durch die Initiative „Vielfalt St. Georg-Borgfelde“. Die Idee stammt von der Schauspielerin Viola Livera.
Die traurig schönen russischen Melodien weichen heiterem, beschwingtem türkischen Gesang. Die umstehenden klatschen im Takt mit. „Die Schüler haben es geschafft aus dem Hansaplatz etwas neues zu machen“, sagt Dieter Lünse, Koordinator für die Initiative „Vielfalt St. Georg-Borgfelde“. Ebenso vielfältig, wie die Musik, sind die poetischen Schriftzüge hoch oben in den Bäumen. In verschiedenen Sprachen, darunter Koreanisch, Französisch und Englisch, stehen die kleinen Texte. „Der Stadtteil soll vielfältig und bunt bleiben. Das ist die Botschaft“, sagt Klassenlehrer Tonio Kempf. Für insgesamt zwei Wochen werden die lyrischen Laken auf dem Hansaplatz zu sehen sein.
Die Musik wechselt erneut. Ein Cellospieler lädt die Besucher ein beim Lesen der Werke ins Träumen zu kommen. Sanft und ruhig geben die Klänge des Streichinstrumentes den Rhythmus auf dem Platz vor. Ein Fluss aus blauem Samt schlängelt sich zu Füßen der Passanten. Wie kleine Boote schwimmen zahlreiche Bücher darauf. Jeder kann sich kostenlos ein Stück Poesie aus dem „Bücherfluss“ fischen. „Man soll die Welt etwas schöner machen und anderen etwas schenken“, erklärt Kempf das Projekt. „Die heutige Aktion soll ein Geschenk an den Stadtteil St. Georg sein“.
Zum Abschluss tragen die Schülerinnen und Schüler ein Stück über St. Georg vor. Bunt, lebhaft und vielfältig ist für sie der Stadtteil. „Hier spielt die Musik“, rufen sie über den Hansaplatz. Zufrieden schaut Svenja Alsleben dem Treiben zu. Lange haben die 16-jährige und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler diesen Tag vorbereitet. „Eins habe ich heute gelernt. Wenn man etwas machen will, dann kann man das auch schaffen“, sagt Svenja.
Das Projekt ist ein Geschenk an St. Georg. „Wir schenken euch: Freude, Lachen, Freiheit, einen Nachmittag, den Himmel über der Stadt…“, rufen die Schülerinnen und Schüler den Menschen auf dem Hansaplatz zu. Jeder hält ein weiteres Bettlaken in den Händen. Auf einem der Laken steht: „Am Ende ist alles gut und wenn nicht, dann ist es nicht das Ende“.
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