Kultur

Als die Queen Hamburg regierte

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Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Nach einer Vorlesung an der Universität geht es durch die Oxford Street in Richtung Binnenalster. Ein kurzer Spaziergang entlang des Ufers führt zum Picadilly Circus. Den Abend kann man ruhig im Garisson-Theater direkt gegenüber dem Hauptbahnhof verbringen. Das jüngere Publikum zieht es zum Globe-Cinema in der Mönckebergstraße. Als sich die Sonne langsam hinter den Horizont senkt, werfen ihre Strahlen gespenstische Schatten auf die Schutthaufen überall in der Stadt. Zwischen den Trümmerbergen stehen vereinzelte Häuserwände. Hier und da stehen noch unversehrte Gebäude. Fenster sucht man in Ruinen und Halbruinen vergebens. Hamburg im Jahre 1945. Am 3. Mai haben britische Truppen die Stadt friedlich besetzt. Zur Orientierung in der zerstörten Stadt werden Gebäude und Straßen nach Vorbildern aus der Heimat benannt. Die Besucher des Kultwerk West wurden am Dienstagabend auf eine spannende Zeitreise in die Jahre der Besatzung mitgenommen.

In der ersten Woche kommt es zu Plünderungen und Vergewaltigungen. Auch sonst ist der Start der ersten Besetzung der Stadt seit den Napoleonischen Kriegen chaotisch. Mehr als die Hälfte des Wohnraums ist durch den Bombenkrieg zerstört. Dennoch leben rund eine Millionen Menschen weiterhin in Hamburg. Trotz der unsanften Anfänge haben die Hamburger ein besonderes Verhältnis zu ihren Besatzern. Als die ersten Panzer über den Jungfernstieg rollen, steht an den Hauswänden „We salute our Liberators“. Die Briten werden als Befreier begrüßt. Nach kurzer Zeit zeigt sich, dass die neuen Herren im Rathaus einen fairen Umgang mit den ehemaligen Gegnern pflegen.

Neue Einblicke in den Besatzungsalltag gibt Dr. Michael Ahrens. Der Historiker hat sich in seinem neuen Buch „Die Briten in Hamburg“ ein detailliertes Bild der Zeit zwischen 1945 und 1958 gezeichnet. „Schon als Student habe ich mich immer gewundert, dass es so wenige Informationen über die britische Besetzung von Hamburg gibt“, sagt Ahrens. Insgesamt sechs Jahre hatte der Historiker an seinem Werk gearbeitet. Dabei forschte er insgesamt drei Monate in den National Archives in London und fand historische Dokumente, die bereits in Vergessenheit geraten waren. Ergänzt wurde seine Arbeit durch viele private Dokumente, wie Tagebücher von Soldaten und den persönlichen Erzählungen von Zeitzeugen. Auch der Moderator des Abends Dr. Dieter Putzier kann von der Nachkriegszeit erzählen. Der damals 7-Jährige erlebte Kriegsende und Besatzungszeit in Hamburg und hat viele eigene Erfahrungen mit den Briten gemacht. „Wer diese Zeit selbst erlebt hat, der hat viele persönliche Erinnerungen. Daher vergisst man sehr leicht nach den Erfahrungen der Briten mit den Hamburgern zu fragen“, sagt Putzier.

Michael Ahrens hat sich dieser Herausforderung gestellt. Herausgekommen ist eine mitreißende Erzählung über ehemalige Feinde, die plötzlich den Alltag einer Besatzung zu bewältigen haben. Den Besuchern im Kultwerk West wird an diesem Abend ein kleines Fenster in die Vergangenheit geöffnet. Der Raum ist bis auf den letzten Platz besetzt. Mit gespitzten Ohren lauschen die Zuhörer den Worten des Historikers. „Die Besatzung wurde schnell zur Normalität“, berichtet Ahrens. Dreizehn Monate nach dem Ende des Krieges ziehen viele britische Familien zu ihren Vätern und Ehemännern, die in Hamburg stationiert sind. Ahrens weiß jedoch auch, dass zu dieser Zeit viele Mütter und Ehefrauen in der Stadt ihren Dienst verrichten. „Zehn Prozent des Besatzungspersonals waren Frauen“, sagt der Historiker. Um den Bedarf an Wohnraum zu decken werden insgesamt 1500 Häuser und 15.000 Wohnungen beschlagnahmt. Der Großteil der Briten lebt jedoch in einfachen Verhältnissen. Die Soldaten wohnen überwiegend in ehemaligen Kasernen der Wehrmacht. Nur hohen Offizieren steht das Privileg zu, ein großes Haus zu beziehen.

Auch die Besatzer leiden unter den Zerstörungen in der Stadt. Im Hungerwinter 1946/47 sind auch die britischen Amtsstuben unbeheizt. Die Tinte gefriert im Glas. Der Tee wird noch in der Kanne zu einem Eisklumpen. Zur Verbesserung der Lage wird aus London Unterstützung angefordert. Dabei vergisst man nicht auch den Hamburgern so gut es geht zu helfen. Aus den Feinden sind längst Freunde geworden. Das Verbot Kontakt aufzunehmen wird schnell umgangen. Besonders den Kindern machen die Soldaten mit Schokolade eine kleine Freude. Aber auch den erwachsenen Hamburgern ist man freundlich gesinnt. Manchmal auch ein bisschen mehr. Als im September 1946 Ehen zwischen Deutschen und Briten erlaubt werden, heiraten kurz darauf bis zu dreißig Paare pro Woche. „Ich nenne das die sanfte Art der Völkerverständigung“, sagt Ahrens. Rund 1000 Ehen werden zwischen Deutschen und Briten geschlossen. Viele der Ehen haben bis heute gehalten. „Ich war sehr überrascht bei meiner Recherche Nachrichten von Hamburgerinnen aus England, Australien und Neuseeland zu erhalten“, sagt Ahrens.

Viel zu schnell verfliegt die Zeit im Kultwerk West. So vieles gäbe es noch zu erzählen. „Ich habe in meinem Buch noch einige Kapitel zu Themen auf die ich heute leider nicht mehr eingehen kann“, sagt Ahrens. Im Frühjahr 1958 verlassen die letzten Briten Hamburg. Durch sie wurde die Anfangszeit der Stadt nach dem Krieg geprägt. Viele ältere Besucher im Publikum können selbst noch aus dieser Zeit berichten. „Ich habe die Engländer immer nur freundlich erlebt“, sagt eine ältere Dame. Die britische Besatzung in Hamburg hat viele persönliche Lebensgeschichten bestimmt. „Es gibt viele tragische Erlebnisse“, sagt Ahrens. „Aber ich habe während meiner Arbeit auch häufig lachen müssen“.

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