Wut und Trauer dürfen nicht zu vorschnellen Spekulationen führen – dennoch brauchen wir heute mehr denn je eine kritische Gesellschaft und deutliche Zeichen gegen Rassismus, findet unsere Autorin.
Zwei Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren und ihre Mutter kommen bei einem Hausbrand ums Leben, der Hintergrund ist vermutlich Brandstiftung – es ist eine Meldung, die unweigerlich Bestürzung und Fassungslosigkeit auslöst. Dann werden weitere Details bekannt: Bei den Brandopfern handelt es sich um Flüchtlinge, das Haus, um das es hier geht, wird überwiegend von AsylbewerberInnen bewohnt. Ein ohnehin schon tragisches Ereignis wird nun in neuen Kategorien gedacht, die Motivation hinter der Tat scheint klar.
Oder eben nicht: Das Unglück in der Eimsbütteler Straße macht nur allzu deutlich, wie riskant es sein kann, schnelle Mutmaßungen zu ziehen – und wie wichtig es ist, Nachrichten erst einmal mit Bedacht und Rationalität zu prüfen.
Eine Meinung bildet sich schnell, gerade in diesen aufgeregten Zeiten, in denen Begriffe wie „Asylbewerber“ und „Flüchtling“ für verschiedene Milieus zu Reizwörtern geworden sind – sei es, weil anhand dieser Statusgruppen gesellschaftliche Misstände deutlich werden oder diese genutzt werden, um rassistische Vorurteile und Plattitüden loszuwerden. Gerade in Hamburg, wo im Konflikt um die Lampedusa-Flüchtlinge nur allzu deutlich wird, dass etwas ganz und gar nicht stimmt mit der lokalen und europäischen Flüchtlingspolitik, ist die Stimmung aufgeladen.
Dass die Zivilgesellschaft nun wachsam und kritisch blieb, genau hinschaute und auch weiterhin eine lückenlose Aufklärung fordert, ist gut und richtig – ebenso wichtig wie es ist, sich niemals zu einer vorschnellen Deutung des Geschehens verleiten zu lassen. Diese Balance zu finden, mag manchmal schwierig sein und gelingt nicht immer: Ein Aufruf zu einer spontanen Demonstration am Donnerstag, der sich via SMS verbreitete und die Ursache des Brandes direkt auf einen rassistischen Anschlag zurückführte, wurde in der linken Szene jedoch angesichts der schwachen Beweislage umgehend kritisch diskutiert, schließlich versammelten sich rund 100 Menschen zu einer stillen Trauerfeier und gedachten der Menschen, die von dem Unglück betroffen waren. Am Samstag zog schließlich ein Trauermarsch durch die Stadt, der sich aus den verschiedensten Milieus, Kulturen und Generationen zusammensetzte. Keine langen Redebeiträge wurden gehalten, politisch agitierende Transparente gab es wenige und wenn doch, wurden diese ebenfalls kritisch diskutiert. Und dass zu diesem Anlass doch noch einmal ein deutliches „Refugees Welcome“ ausgeprochen wurde, auch wenn eine rassistische Motivation zu diesem Zeitpunkt offenbar bereits ausgeschlossen werden kann, ist notwendig.
Die Zahl der rassistisch motivierten Angriffe auf Unterkünfte von Flüchtlingen in Deutschland hat sich im letzten Jahr verdoppelt. Bis Ende November 2013 gab es 42 Anschläge, im Jahr 2012 waren es nach Angaben der Bundesregierung noch 24. Rassismus ist eine gesellschaftliche Realität in diesem Land und bleibt ein Reizthema. Auch während des Trauermarsches am Samstag tauchten etwa zehn Männer in „Thor Steinar“-Kleidung am Bahnhof Holstenstraße auf, die offenbar der rechten Szene zuzuordnen waren. Dieses versprengte Grüppchen stand dann jedoch fast tausend friedlich und still trauernden Menschen gegenüber.
Mit unbedachten Reaktionen und vorschneller Agitation ist den Betroffenen aus der Eimsbütteler Straße ganz sicher nicht geholfen – viele HamburgerInnen haben mit ihrer Fähigkeit zur Empathie, Solidarität und ihrem kritischem Bewusstsein ein sehr viel stärkeres Zeichen gesetzt.
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