Seit Ende September ist die „Tonne“ in Wilhelmsburg dicht – doch es tut sich wieder was in den Räumen am Veringkanal: Am 31. Oktober eröffnet hier das „turtur“. Die Betreiber sind zwei junge Wilhelmsburger, die alles anders machen wollen.
Es ist einer dieser Tage, an denen Hamburgs Schietwetter seinem Namen alle Ehre macht. Graue Wolken hängen am Himmel, die Stadt wirkt schmutzig. Vereinzelt fallen Tropfen vom Himmel, am Veringkanal pfeift der Wind. Am Kanalufer steht ein langgezogener Kasten. Durch die großen Fenster kann man ins vollgestellte Innere schauen. Überall stehen Kisten und Stühle, ein paar Schaumstoffmatten liegen auf dem Boden. Drinnen ist es warm, es riecht nach Zigaretten und frischem Kaffee. Inmitten des Gewimmels sitzt auf einer der Holzbänke eine junge Frau im Schneidersitz und raucht eine Zigarette. Draußen über der Tür hängt ein Schild: „Tonne“ steht darauf. Ein Überbleibsel, fast schon ein Relikt.
Denn die „Tonne“ gibt es nicht mehr. Vor einigen Wochen verkündeten die Betreiber das Aus des Projekts, gingen zurück auf die andere Seite der Elbe. Dann vor wenigen Tagen die gute Nachricht: Es geht weiter. Am 31. Oktober wird unter dem neuen Namen „turtur“ Wiedereröffnung gefeiert. Treibende Kraft hinter dem Neuanfang ist Mona Michels.
Alles besser machen
„Ich bin da irgendwie so reingerutscht“, sagt Michels schmunzelnd. Seit 2011 arbeitet die 28-Jährige in der Tonne. Zuerst half sie im Service, später war sie als Bookerin und Veranstalterin aktiv, begründete die „All Of Us!“-Parties am Donnerstag. Doch unter den alten Betreibern konnte sie sich nicht frei entfalten, immer wieder seien ihre Ideen abgelehnt worden. „Jetzt bin ich mein eigener Chef“, sagt sie. Der neue Name war ihre Idee. „turtur“, wie der Scheinriese aus „Jim Knopf“. „Ich finde, das passt“, sagt sie und lächelt. Ihre Prämisse: es besser machen als ihre Vorgänger. „Die Tonne ist nicht daran gescheitert, dass der Stadtteil doch nicht so gentrifiziert ist, wie mancher es gern hätte“, sagt Michels. Aus ihrer Sicht fehlte vor allem eine klare Linie.
Nun soll alles ganz anders werden und irgendwie doch nicht. Gemeinsam mit Bassi Lichtenberg, 25, als Barchef und Teil der Geschäftsleitung, hat Michels ein neues Konzept ausgearbeitet. „Alle sollen fair bezahlt werden, die Preise sollen fair sein und wir wollen davon leben können. Mehr muss nicht dabei rumkommen“, sagt Mona Michels. Ihr Konzept: „Im Winter machen wir von Mittwoch bis Sonntag auf. Mittwochs kann gekickert werden, es soll kleine Konzerte, Lesungen und Poetry Slam geben. Sonntags wollen wir den „Tatort“ zeigen und jeden Donnerstag läuft ‚All Of Us!’.“ Freitags und samstags solle Raum für größere Konzerte und Partys abseits des Mainstreams sein. Auch Ausstellungen können sich Michels und Lichtenberg vorstellen, zudem wollen sie die Räumlichkeiten im Sommer für Hochzeitsfeiern vermieten. „Das ‚turtur’ soll immer ab 20 Uhr geöffnet haben. Wer will, kann hier also auch weiterhin sein Feierabendbier trinken.“ Nur bei Veranstaltungen am Wochenende soll ein geringer Eintritt verlangt werden.
Konzept als Gegenentwurf zur Gentrifizierung
Das Image der alten Tonne soll sich mit der Neueröffnung zum Positiven ändern. „Die Tonne hatte hier keinen leichten Stand. Im Konflikt um IBA und IGS wurde auch immer wieder gegen die Tonne gewettert.“ Der Laden galt vielen als Symbol der Gentrifizierung des Stadtteils. Das neue Konzept soll ein Gegenentwurf zur Kommerzialisierung sein, die in Hamburg vielerorts zu sehen ist. „Wenn es heißt, ein Stadtteil sei im Kommen, weil dort viele Studenten wohnen, kommen Leute und denken, sie könnten den großen Reibach machen. Das funktioniert hier aber nicht“, sagt Mona Michels. Im ‚turtur’ solle es darum gehen, gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Sie wollten etwas schaffen, das nachhaltig für Wilhelmsburg und die Menschen im Stadtteil wirke. Das bedeute natürlich nicht, dass Gäste aus anderen Stadtteilen nicht willkommen seien, sagt Lichtenberg. Doch der Fokus der beiden liegt ganz klar auf ihrem Stadtteil.
Von Wilhelmsburgern für Wilhelmsburger
Als feststand, dass die Tonne verkauft werden sollte, habe sie nach Möglichkeiten gesucht, um den Fortbestand zu sichern, sagt Michels. „Wir haben hier so viel Zeit und Herzblut reingesteckt, das konnte nicht einfach so vorbei sein. Aber die Resonanz war unglaublich. So viele Menschen haben ihre Hilfe angeboten.“ Dennoch wäre all das nicht ohne Investor möglich. Immerhin muss ein Abschlag für die Immobilie gezahlt werden. Michels wurde fündig und so konnte das Projekt „turtur“ starten.
Dabei wollte Mona Michels vor einigen Jahren schon weg aus Hamburg. „Ich habe in der Schanze und in Altona gewohnt, hatte die Stadt satt“, sagt die gelernte Erzieherin. Als sie vor sieben Jahren wegziehen wollte, fand sie durch Zufall eine WG in Wilhelmsburg Seitdem lebt sie auf der Elbinsel. „Ich mag das Viertel, es erinnert mich manchmal an Zuhause“, sagt Michels, die im Wendland aufwuchs. Sie schätzt den Zusammenhalt unter den Menschen. „Ich mag das dörfliche in Wilhelmsburg. Man kennt sich, es ist ein schönes Miteinander.“ Dieses Miteinander soll nun auch im „turtur“ Platz finden. „Wir wollen vor allem Wilhelmsburger Künstlern und Musikern eine Plattform bieten und für die Menschen hier im Stadtteil eine Anlaufstelle sein“, sagt die gelernte Erzieherin. „Das ‚turtur’ ist von Wilhelmsburgern für Wilhelmsburger.“
Am 31. Oktober wird Neueröffnung gefeiert
Bis zur Eröffnung ist noch einiges zu tun. Die Wände müssen gestrichen, Boxen repariert, alte Möbel rausgeschaft und der Laden umgebaut werden. „Wir kommen gut voran, haben schon einiges geschafft“, sagt Lichtenberg. „Selbst wenn noch nicht alles fertig sein sollte, werden wir am 31. Oktober eröffnen.“ Dann wird der neue Laden mit einer Halloween Trash Party eingeweiht, bei der ausschließlich Wilhelmsburger DJs auflegen werden. Einen Tag später, am 1. November, läuft dann mit „Oskar treibt’s bunt“ die erste richtige Veranstaltung im „turtur“.
Mona Michels und Bassi Lichtenberg blicken optimistisch in die Zukunft. „Ich würde mir wünschen, dass die Antihaltung gegenüber der Tonne sich nicht auf das „turtur“ überträgt. Ich hoffe, dass die Leute gerne herkommen“, sagt Michels. Dann könne dort, direkt am Veringkanal, in unmittelbarer Nähe zu den Zinnwerken, der Honigfabrik und der ehemaligen Soul Kitchen Halle, ein weiterer kreativer Raum für Subkultur entstehen. „Und etwas Schöneres gibt es doch nicht.“
Foto: Marvin Mertens
Claire
18. Oktober 2014 at 00:56
Whoohoo!