Meinungen

WM-Berichterstattung – Aber doch bitte nicht so!

Meinungen
Marvin Mertens
@MarvMertens

Ressortleitung Stadtgespräch | Kontakt: mertens@hh-mittendrin.de

Ich habe in diesen Tagen einen Wunsch, nur einen. Ich möchte einen ganzen Tag nichts über Ronaldo, die Selecao, Schweini, Poldi oder die WM ganz generell hören. Und vor allem keine dummen, nationalistischen oder homophoben Fußballbeiträge mehr. Bitte!

Veröffentlicht am 21. Juni 2014

Aber in WM-Zeiten scheint dies nicht möglich zu sein. Einkaufen war ich seit zwei Wochen schon nicht mehr. Aus Angst vor den Deutschlandfahnen auf den Probier-Häppchen an der Käsetheke, Gesichtswurst in Fußball-Muster und Weltmeisterschafts-Milch im Kühlregal. Jeder Bahnhofskiosk ist Schwarz-Rot-Gold gehüllt, beim Bäcker gibt es nur noch Weltmeisterbrötchen und mein Frisör möchte mir die Frisur von Michael Ballack schneiden – was auch immer der für eine Frisur hat.

Ich schaue kein TV mehr, weil mich spätestens nach einer halben Stunde doch wieder das WM-Geschehen einholt. Ob Reinhold Beckmann und Giovane Elber, die auf den Spuren des Fußballs durch Brasilien touren, Katrin Müller-Hohenstein, liebevoll KMH genannt, die im Camp der deutschen Nationalmannschaft mehr oder minder erfolgreich versucht, Infos aus Poldi, Flick und Co. herauszukitzeln – das Drumherum stört mich eigentlich am meisten. Fehlen nur noch „Wer wird Millionär“ mit Günther Jauch im Deutschlandtrikot oder ein GZSZ-WM-Spezial.

Ich dachte, es geht um Fußball!?

Ginge es tatsächlich nur um den Fußball, es wäre für mich durchaus auszuhalten. Geht es aber nicht. Nur ein ganz kleines Bisschen. Tatsächlich geht es darum, was Poldi, Schweini und Thomas „Warum hat der eigentlich keinen Spitznamen“ Müller so tun, wie das brasilianische Bier schmeckt, welche Spielerfrau am besten aussieht oder darum, wie voll es doch in brasilianischen Bussen ist. Zusätzlich gibt es im Morgenmagazin täglich drei Live-Schalten nach Brasilien, in denen irgendein Reporter erzählt, wie die Stimmung im deutschen Team sei, ohne dass auch nur ein Spieler zu Wort kommt.

Und sollte ich es tatsächlich geschafft haben, einen ganzen Tag mit geschlossenen Augen und Ohren ohne WM-Berichterstattung und alles, was nach Meinung der Fernsehmacher dazu gehört, zu überstehen, dann nur, um mich vom erstbesten Kumpel nach dem Ergebnis des Spiels Kamerun gegen Kolumbien fragen zu lassen oder wie ich denn die Leistung von „Die Maria“ im ersten Vorrundenspiel der Gruppe F fand. Ich wusste nicht einmal, dass Kamerun und Kolumbien oder Frauen bei der WM spielen. Falls dem so ist, Glückwunsch zur gelungenen Emanzipation, hatja lange genug gedauert. „Ángel di Maria heißt der. Das ist ein argentinischer Fußballer“, sagt mein Kumpel dann und schüttelt den Kopf ob meiner Unwissenheit.

Jeder ist plötzlich WM-Experte

Denn jeder, wirklich jeder ist WM-Experte. In sozialen Netzwerken diskutieren Menschen, die sich vier Jahre lang keinen Dreck um Fußball geschert haben, über Schiedsrichterentscheidungen, Abwehrverhalten und Chancenverwertung (ich gebe zu, diese Begriffe habe ich aus dem Fußball-Lexikon). Und auch die „Nachrichten-Websites“ nutzen den Hype um das Fußballturnier immer gerne für lustige Anekdoten und selten dämliche Beiträge. Gleich zwei unvergleichlich blöde WM-Posts gabs vom „Nachrichtensender“ N.tv am Freitag: Unter dem Titel „Iros, Afros, Zottelköpfe“ verglich man dort die Frisuren der Spieler bei der Weltmeisterschaft. Eigentlich eher das Niveau von Stern.de, wo allerdings lediglich die Gesichtsbehaarung der Fußballer unter dem Titel „Willkommen in Bartsilien“ unter die Lupe genommen wurde. Aber halb so wild.

Die Krone der unnötig-dummen WM-Berichterstattung möchte ich jedoch Kai Butterweck, ebenfalls N.tv, aufsetzen. Butterweck schreibt in der „WM-TV-Kolumne Zapp Maier“ über die Schuhe der Fußballer bei dieser Weltmeisterschaft und liefert damit einen konservativen, ja sogar homophoben Beitrag zum WM-Geschehen, der auch aus der Zeit um 1900 stammen könnte.

„Hallo? Geht’s noch?“

Screenshot, gehts noch

Schon die Titelzeile lässt das Herz des „wahren“ (männlichen) Fußballfans höher schlagen: „Helden in Pink – geht’s noch?“ fragt Butterweck und ich bin geneigt, die Frage nach Lektüre des Textes zurückzugeben. Butterweck moniert, dass „muskelbepackte, teilweise ganzkörpertätowierte Profis in pinkfarbenen, hellblauen und neongelben Tütü-Schuhen“ spielen und fügt hinzu „Hallo? Geht’s noch?“. Für Butterweck geht es wohl nicht mehr, denn es folgt die Frage, ob Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister mit einem plüschüberzogenen Bass spiele, oder Mickey Rourke seine „Harley Davidson mit H-Milch zum Laufen“ bringe. Frei nach dem Motto: „Ich entscheide was männlich ist; und bunte Fußballschuhe sind es auf keinen Fall.“

Was in der „Kolumne“ des N.tv-Reporters nicht fehlen darf: ein nostalgischer Blick in die Vergangenheit und Kindheit des Autoren. Dieser offenbart dann auch gleich am Anfang des Textes die geistige Gesinnung des Herren Butterweck. Die guten schwarzen Fußballschuhe müssten es sein, so wie Rummenigge einst. Zwischendurch spricht er davon, dass die heutigen Profis „ungesühnt in abschreckender Schuhgarderobe“ spielten, von „sockenähnlichen Barbie-Schuhen“ und „neonfarbenen Ballet-Stollenschuhen“. Das hätte ja bei Netzer und Co. auch nicht ausgesehen. Und Butterweck ist sich sicher, dass dieses bunte Schuhwerk den Nachwuchskickern ganz sicher den Spaß am Fußball vermiesen wird. Ja ne, ist klar.

Lieber Herr Butterweck,

Lieber Herr Butterweck, von allen selbsternannten WM-Experten der Welt, sind Sie der schlimmste. Nicht nur, dass Ihre „WM-TV-Kolumne“ überhaupt nichts mit Fußball zu tun hat, Sie nutzen diese auch, um ihre erzkonservativen und homophoben Meinungen zu publizieren. Für Sie ist ein Mann kein richtiger Mann, wenn er bunte Schuhe trägt. Für Sie ist ein Fußballer, der bunte Schuhe trägt scheinbar ein Balletttänzer und die Farbe Pink scheint Ihnen ein ganz besonderer Dorn im Auge zu sein. Nun Herr Butterweck, Kai, ich möchte dich hiermit ganz herzlich im 21. Jahrhundert begrüßen, wo – zumindest in Deutschland und der westlichen Welt – jeder anziehen kann, was er will.

Es ist ganz sicher nicht einfach für dich in dieser sich immer weiter verändernden Welt, in der Homo- und Heterosexuelle gleich sind. Aber soll ich dir etwas sagen, lieber Kai? Du bist nicht allein. Vielen Menschen geht das alles viel zu schnell. Die wählen dann die Alternative für Deutschland, finden Jürgen Elsässer gut, schimpfen auf Conchita Wurst und wünschen sich Otto von Bismarck zurück, damit der hier mal für Ordnung sorgt. Mit denen kannst du dich gern darüber unterhalten, wie unmännlich doch die Schuhe der Fußballstars bei der WM sind. Toll, oder?

Eine Bitte noch…

Eine Bitte hätte ich allerdings noch, lieber Kai: Verschone uns in Zukunft von deinem unjournalistischen, homophoben Gezeter. Das nervt, lässt dich voll doof dastehen und zeugt auch nicht gerade von Aufgeschlossenheit. Danke!

Fotos: Erin Corey (Wikimedia Commons)/Screenshot von www.n-tv.de

Klicken um Kommentar zu schreiben

Artikel kommentieren

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Mehr in Meinungen

kampa

Kommentar: Lieber Senat, wie wär’s damit?

Marvin Mertens25. Juni 2016
Störte-Straße, Bild Erna Altona

Kolumne Wahnsinnsstadt: „Störtebeker“

Jan Freitag4. März 2016
Foto: Mariano Mantel, CC BY-NC 2.0

Kolumne Wahnsinnsstadt: „Hamburgs Innensenatoren“

Jan Freitag10. Februar 2016
Refugee Demo 14.11.15, Foto: Isabella David

Kolumne Wahnsinnsstadt: „Flüchtlingskinder“

Jan Freitag6. Januar 2016
Flüchtlinge Messehallen, Foto: Nadia Hafez

Gastbeitrag aus den Messehallen: „Wir sind keine wohltätige Logistikfirma“

Mittendrin22. Dezember 2015
Sicherheitskonferenz am 01.02.2014 in München. Foto: Tobias Kleinschmidt

Kolumne Wahnsinnsstadt: Helmut Schmidt

Jan Freitag2. Dezember 2015
Nolympia-Demonstration: "Weil Hamburg nur verlieren kann"

„Nein“ zu Olympia 2024: Warum das Votum richtig ist

Marvin Mertens30. November 2015
1-olympia_suedansicht_3d_a3

Kolumne Wahnsinnsstadt: „Olympia-Referendum“

Jan Freitag4. November 2015
1. Mai 2015, Never mind the papers, Foto: Henry Lührs

Kommentar: Den echten Leerstand nutzen

Isabella David8. Oktober 2015

Rund um Billstedt, Billbrook und Horn atmet die grüne Lunge der Stadt. In Hamm, Rothenburgsort, Borgfelde, Hammerbrook, St.Georg, der Alt- und Neustadt, und auf St. Pauli riecht und schmeckt man Hamburg an jeder Straßenecke. Die Hafencity glänzt und glitzert im Schatten der dicken Pötte und Kräne.

Die andere Seite der Elbe auf der Veddel, in Wilhelmsburg, auf dem Kleinen Grasbrook, in Steinwerder, Waltershof, Finkenwerder und auf der Insel Neuwerk lässt hanseatische Tradition spürbar werden.

Das ist Hamburg-Mitte, unser Bezirk inmitten einer lebhaften Stadt. So vielfältig wie seine Bewohner sind die Geschichten, die wir erzählen.

Mittendrin ist Name und Programm – täglich sind wir unterwegs und bringen euch spannende Reportagen, aktuelle Lokalnachrichten und ausdrucksstarke Bilder und Videos aus Hamburgs bunter Mitte.

Hamburger Geschichten

© 2012 - 2015 Mittendrin | Alle Rechte vorbehalten. Impressum - Umsetzung Politikwerft Designbüro.