Mit seinen Spielmobilen besucht der Spieltiger-Verein regelmäßig Wohnunterkünfte, um mit Flüchtlingskindern zu spielen. „Mittendrin“ war in Billbrook dabei.
Ein Vater führt einen kleinen Jungen an der Hand die Bille entlang, auf der Schwäne mit Schwanenkinder schwimmen. „Ich bin ein Tiger“, ruft der Junge Richtung Schwäne, faucht und schaut zu seinem Vater auf: „Ein Tiger kann ich nicht werden. Aber vielleicht Dompteur?“ Der Vater nickt amüsiert, und die beiden eilen weiter. Gleich kommt der SpielTiger mit seinem Spielmobil, einem LKW voller Spaß, wie jeden Donnerstagnachmittag in den Billstieg. Die Sonne scheint.
Ein Mädchen mit einem Shirt, auf dem „Smile at Me“ steht, wartet erwartungsfroh in der Einfahrt zum Innenhof. Der strahlend blaue LKW fährt ein. Ein paar Kinder jubeln, springen, winken, singen, als Jan, Dietlind und Rico vom SpielTiger-Verein aussteigen. Dietlind holt aus dem geräumigen Innenraum des Mobils einen großen Ball, der wie die Welt gestaltet ist. Bea, ein Roma-Mädchen mit Down-Syndrom, juchzt und greift nach Dietlinds Hand. Ferdi, Melek, Samira, Egano, Remzi und Sari greifen nach dem Ball und lassen die Spiele beginnen. Der SpielTiger hat viele Spiele im Repertoire. Es gibt eins, das „Kotzendes Kängaruh“ heißt, eins namens „Ebbe und Flut“ und viele mehr. Nach dem gemeinsamen Spiel mit dem Welt-Ball werden weitere Geräte aus dem Spielmobil geholt: Trampolin, Schaukeln, Seile, selbstkonstruierte Bretter mit Rädern drunter, auf denen die größeren Kinder jodelnd die abschüssige Straße in den Innenhof runterbrettern.
Woher? – „Nach Deutschland!“
Rico, der sein Freiwilliges Soziales Jahr beim SpielTiger e.V. macht, legt Matten auf dem Rasen aus und bringt eine Kiste Stifte und einen Stapel Papier. Immer mehr Kinder kommen hinzu; mittlerweile sind es fast fünfzig. Einige lassen sich zum Malen nieder. Die neunjährige Ronida zeichnet einen Tiger. Sie schaut nicht hoch, als sie erzählt: „Syria nicht gut. Viele tote Menschen.“ Ihre Stimme klingt forsch, und im nächsten Moment ergreift sie Partei für ihren kleinen Bruder, dem jemand das Radiergummi wegnehmen will. Ronida geht in die dritte Klasse der Billbrookdeich-Schule, auf der der Migrantenanteil bei fast 100 Prozent liegt. Sie geht gern zur Schule, und gern will sie bleiben. Mohammed ist noch nicht lange hier. Auf die Frage „Woher kommst du?“, antwortet er: „Nach Deutschland.“ Dietlind grinst und antwortet: „Die meisten Kinder kommen aus Syrien oder Serbien, wir haben besonders viele Roma-Kinder hier.“
Miteinander
Seit fast 25 Jahren betreut der Hamburger SpielTiger e.V. mit seinen Spielmobilen Flüchtlingskinder in Wohnunterkünften, berichtet Dietlind weiter. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben zumeist Sozialpädagogik oder Sport studiert. Der Verein wurde am sportwissenschaftlichen Fachbereich der Universität Hamburg gegründet. Mittlerweile habe man vier Spielmobile, die zu festgelegten Zeiten unterschiedliche Unterkünfte besuchen. Ein Spielfahrrad gibt es auch, schon ziemlich lange, manchmal komme es spaßeshalber zum Einsatz, berichtet Dietlind, denn viel Spielbedarf kann das Rad mit Hänger nicht transportieren. Der SpielTiger nimmt auch an Spielmobilkongressen teil und tauscht sich jenseits der Alpen mit ähnlichen Projekten aus, tourt durch die Republik, hat ein eigenes Ferienprogramm und gewann 2002 den Deutschen Kinderkulturpreis.
Besonders über Bewegungsspiele lernen Kinder Selbsteinschätzung und Wertschätzung, sagt Jan, der eines der Gründungsmitgleider ist. Auf die Frage, was das große Ansinnen des SpielTigers sei, die Utopie, antwortet er: „Ein einiges Miteinander zu gestalten. Kinder lernen über Spiele zu kooperieren, auch indem sie Spielregeln akzeptieren. Wir wollen das Zusammenspielen fördern … für ein interkulturelles gewaltfreies Miteinander.“
Peng, peng
Ein kleines Mädchen hüpft barfuß im Prinzessinkleid auf dem Trampolin und gibt nach einiger Zeit ihren Platz frei. Ein paar Meter weiter gibt es Gehaue um die Schaukel. Ronida kämpft mit heiserem Geschimpfe und ungezielten Fäusten darum, dass ihr kleiner Bruder an der Reihe ist. Zetern, Brüllen, Tränen. Jan beobachtet die Situation eine Weile, eilt dann herbei und schlichtet. Anschließend holt er eine Kiste Obst aus dem LKW. Der Nachmittag neigt sich zum Abend, die Schwäne auf der Bille laben sich an Brotkrumen. Jan weist einige Kinder an sich die Hände zu waschen, um ihm bei der Zubereitung von Obstspießen zu helfen. Allgemein wird gern Folge geleistet. Nur Melek hat keinen Bock. Er schießt indes – Peng, peng – mit seiner Plastikpistole auf das Spielmobil und verkündet dazu: „Ich schieße euch die Reifen platt!“ Damit das Spielmobil nicht wieder wegfahren kann. Dietlind mahnt: „Melek, wir haben hier eine waffenfreie Zone!“ Nur Obstspieße sind erlaubt und werden fröhlich von Kindern und Eltern gekaut beziehungsweise mit einem Lächeln und Zähnen zermalmt.
Daniela Chmelik stellt in ihrer Reihe Mittendrin Dabei! den Sommer über engagierte Projekte vor, die innovativ und nachhaltig sind, Menschen vom Rand in die Mitte holen und Hamburg und die Welt besser machen.
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