Seit fast zwei Wochen versorgen Ehrenamtliche am Hauptbahnhof ankommende Flüchtlinge. Schlafplätze, Essen und medizinische Versorgung werden von den Freiwilligen in der Wandelhalle organisiert. Die Helfer appellieren an Bürgermeister Olaf Scholz, die provisorischen Strukturen durch ein städtisches Konzept zu unterstützen.
„Hamburg, wach endlich auf!“, fordern die freiwilligen Helfer der „Antira Hbf“ in einer Pressemitteilung am Mittwoch. Die Zeit des Redens sei vorbei, die Stadt müsse handeln. Seit etwa zehn Tagen versorgen die Ehrenamtlichen geflüchtete Menschen, die mit dem Zug oder Bus aus Süddeutschland am Hamburger Hauptbahnhof angekommen. Die Helfer organisieren Wasser, Essen und auch die medizinische Versorgung für die Ankommenden – alles auf eigene Faust. Für viele Geflüchtete ist Hamburg nur ein Zwischenstopp, sie wollen weiter, zum Beispiel nach Skandinavien.
Laut Angaben der Helfer kommen jeden Tag bis zu 1.000 schutzsuchende Menschen in Hamburg an. Viele sind schon mehrere Tage ohne Pause unterwegs und entsprechend erschöpft. Die Freiwilligen versuchen ihnen eine kurze Ruhepause zu ermöglichen. Wer erst am späten Abend ankommt, braucht einen Schlafplatz. Eine Weiterreise ist oft frühestens am nächsten Tag möglich. Übernachtungsmöglichkeiten bei Privatpersonen werden organisiert, Moscheen in St. Georg und angrenzende Kultureinrichtungen versuchen Schlafplätze oder Ruheräume für den Tag anzubieten. Viele Helfer am Hauptbahnhof sind Tag und Nacht im Einsatz – die provisorischen Strukturen stoßen an ihre Grenzen.
Grundversorgung am Klapptisch
Der Infostand der Helfer befindet sich unter einer Treppe in der Wandelhalle. Die Deutsche Bahn, die Bahnhofsmission und viele Geschäfte in der Wandelhalle versuchen die Freiwilligen zu unterstützen. Doch die Hilfsmöglichkeiten bleiben provisorisch. „Es gibt keinen Raum, in dem sich die Ankommenden ausruhen könnten“, kritisiert „Antira Hbf“. Den geflüchteten Menschen bleiben nur kurze Pausen vor den Geschäften in der Wandelhalle.
An einem Klapptisch stellen die Ehrenamtlichen Getränke, Obst und Butterbrote bereit. Unterstützter versuchen etwas beizutragen, bringen ein paar Wasserflaschen oder etwas Obst vorbei. Den Rest versuchen die Helfer vor Ort zu besorgen, finanziert aus Spenden von anderen Aktionen oder aus der eigenen Tasche der Ehrenamtlichen. Eine warme Mahlzeit können die Ehrenamtlichen nicht zu Verfügung stellen, zumal sie am Hauptbahnhof auch keine Möglichkeiten haben etwas zu Lagern.
Medizinische Versorgung: „Eine unzumutbare Belastung“
Nach den langen Strapazen der Flucht haben viele ankommende Menschen auch medizinische Probleme. Auch hier versuchen die Ehrenamtlichen zu helfen so gut es geht. Sanitäter, die sonst auf Demonstrationen unterwegs sind, versuchen zu unterstützten. Auf Facebook wird nicht nur zum Helfen vor Ort und Spenden von Lebensmitteln aufgerufen, sondern auch dazu Medikamente vorbeizubringen. Unterstützer berichten, dass sie versuchen größere Mengen an benötigten Medikamenten zu bekommen und fragen in den Apotheken angesichts der Situation auch nach, ob ein Rabatt möglich ist. Eine ausführliche medizinische Versorgung kann durch die provisorische Hilfe nicht ersetzt werden. „Medizinische Probleme, die angesichts der Menge nicht adäquat versorgt werden können, stellen eine unzumutbare Belastung dar“, erklären die Helfer.
Zelte erweitern das Provisorium
Am Mittwochnachmittag wurden am Hachmannplatz am Hauptbahnhof zwei Zelte aufgebaut. Vertreter der Bahn, der Wandelhalle, der Bahnhofsmission und der Polizei haben sich darauf geeinigt, dass die Lebensmittel künftig in den Zelten gelagert und ausgegeben werden können. Auch die medizinische Versorgung der Flüchtlinge sowie kurze Ruhepausen sollen zukünftig in den Zelten stattfinden.
Für die Helfer nur ein Tropfen auf den heißen Stein: „Die Situation am Hauptbahnhof ist mehr als desolat. Die engagierte Willkommenskultur der vielen freiwilligen HelferInnen kann nicht aufwiegen, was eine städtische Aufgabe ist: die Infrastruktur in dieser außergewöhnlichen Transitsituation bereitzustellen, um Katastrophen zu verhindern.“ Ganz konkret fordern die ehrenamtlichen Unterstützer Bürgermeister Olaf Scholz dazu auf, dass die provisorischen Strukturen am Hauptbahnhof städtische Unterstützung bekommen. „Am nötigsten sind Schlafplätze, medizinische Versorgung und Verpflegung“, heißt es in der Erklärung der Helfer.
„Do it yourself“ stößt an seine Grenzen
Besonders kritisieren die Helfer, dass die Stadt bisher keine Übernachtungsmöglichkeiten für die Geflüchteten auf der Durchreise zur Verfügung stellt. Die Ehrenamtlichen unterstützten die Menschen auch mit der Organisation ihrer Weiterreise, haben sich mit Helfern in anderen Städten vernetzt. Bevor die Geflüchteten die nächste Etappe ihrer Reise antreten können, müssen sie sich ausruhen. Kommen sie am späten Abend an, ist eine Übernachtung in Hamburg unausweichlich.
„Gerade für die vielen Familien mit kleinen Kindern eine unzumutbare Situation. Jede Nacht werden zur Zeit etwa 500 Menschen notdürftig untergebracht“, heißt es von den Helfern am Hauptbahnhof. Bisher sind es vor allem private Schlafplätze, die zur Verfügung gestellt werden. Aber auch örtliche Institutionen wie das Schauspielhaus, Moscheen, das Centro Sociale und das KoZe im Münzviertel öffnen ihre Türen für die Geflüchteten.
Die Ehrenamtlichen fordern die Stadt auf, zu handeln, weil sie selbst, bei dem Versuch den Geflüchteten eine Grundversorgung zu bieten, an ihre Grenzen stoßen. „Do it yourself ist an Kapazitätsgrenzen gestoßen – wir brauchen städtische Unterstützung!“, appellieren die Helfer. Auch in den kommenden Wochen ist damit zu rechnen, dass viele Menschen in Hamburg einen Zwischenstopp auf ihrer Flucht machen. Für die Ehrenamtlichen ist klar: Ein Klapptisch unter einer Treppe kann ein städtisches Konzept nicht ersetzen.
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Peter
3. November 2015 at 23:40
http://www.tagesschau.de/inland/fluechtlinge-1165.html
(Artikel vom 31.10.2015 – das Bild der dpa wurde in der Wandelhalle aufgenommen)
Abgesehen davon, daß auf dem Hachmannplatz jetzt andere Zelte stehen, hat sich in den vergangenen zwei Monaten an der Situation am Hamburger Hbf im Grunde gar nichts geändert.