Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel der Woche gekämpft und dabei Schablonen deutscher Gewissensbereinigung und eine merkeleske Iris Berben gefunden.
Wenn der latente Rassismus bürgerlicher Mittelschichten mit süffiger Fernsehempathie überkleistert wird, darf er natürlich nie fehlen: Johannes B. Kerner. Benannt nach einem Heiligen und irgendwas mit Taufen, stellt sich der werbende Fan industriell gefertigten Schlachtviehs notorisch an die Bühnenkante, wenn kindliche Kulleraugen den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen sollen.
Was da allerdings am Donnerstag im als eilends anberaumte Spendengala für Flüchtlinge ins ZDF-Programm suppte, war selbst für JBK an Zynismus, Stumpfsinn und Banalität kaum zu übertreffen. Mit debilem Floskelmüll wie „war’s hart oder ging’s einigermaßen“ lief die Emotionalisierungsmaschine dauerhaft heiß und behandelte die Betroffenen dabei so, wie sie in derlei Zusammenhängen so eben noch akzeptabel sind: als kurzzeitig tolerable Schablonen deutscher Gewissenbereinigung, die den Kauf von Billigkleidung aus Bangladesch oder Kerners Foltergeflügel tags drauf ein bisschen erträglicher machen.
Verschwörungstheorien aus dem Hause Herman
Andererseits sollte man sich hüten, alles schlecht zu reden an der furiosen Welle des Mitgefühls, die sich der unbeugsamen Fremdenfeindlichkeit ringsum zum Heulen schön entgegenstellt. Wenn selbst der Boulevard jene Flüchtlinge, die er sonst als Asylbetrüger in die Armut zurückpöbelt, willkommen heißt, scheint sich tatsächlich was getan zu haben, im Einwanderungsland D. Und um nicht zu denken, alles sei nun gut, gibt‘s ja noch Gegenmodelle wie Eva Herman, die nach ihrer Eloge aufs nationalsozialistische Familienmodell eine putzige Idee ins Netz geblasen hat. Lügenpresse, Nato, Politik und IS, meint die blondeste Nachrichtensprecherin seit der Wochenschau auf dem Verschwörungstheroretikerforum Wissensmanufaktur, hätten Länder wie Libyen ins Chaos getrieben, um mit den Flüchtlingsmassen das alte Europa zu zerstören. Gut, warum diese Koalition des Schreckens das will, hat Herman sicher nur zu erwähnen vergessen.
Mehr Substanz als der deutsche Durchschnittskrimi
Umso gespannter erwarten wir da den „Flüchtlingsreport“ im Ersten, der Montag, 22.15 Uhr, darüber hoffentlich Aufschluss über gibt. Vielleicht gönnen wir uns aber zwischendurch auch eine Auszeit vom Dauerbrenner Flucht, das seit Wochen die News dominiert, als stünde die restliche Welt still. Zur niveauvollen Ablenkung ohne Einschläferungswirkung taugt da die zweite Staffel von „True Detective“, in der es ab Donnerstag auf Sky Atlantic nun Colin Farrell und Vince Vaughn mit den Abgründen ritueller Kriminalität zu tun kriegen, was kaum an ihre Vorgänger Matthew McConaughey und Woody Harrelson heranreichen dürfte, aber immer noch in jeder Minute mehr Substanz haben, als deutsche Durchschnittskrimis in ganzen Staffeln.
In diesem Sinne legen wir den Mantel des Schweigens über den schwäbischen Privatschnüffler Huck, den die ARD ab Dienstag auf Sendung schickt. Und wenden uns einer Perle öffentlich-rechtlichen Humors mit Niveau zu, die Freitag fortgesetzt wird. In „Lerchenberg“ kriegt es die wunderbar spröde Eva Löbau als verdruckstes Mainzer Büro-Tierchen Billie mit dem wunderbar schmierigen Sascha Hehn als wunderbar schmieriger Sascha Hehn zu tun, was wie 2014 wirklich witzig ist – und dafür die Sahnesendezeit um 23 Uhr kriegt, knapp übertroffen von den Folgen 2-4, die Dienstag nach Mitternacht starten.
Back to 1989
Etwas mehr Glück haben da die ARD-Großprojekte: Iris Berben als merkeleske Bundeskanzlerin, die eine Amnesie ins Jahr 1989 vergleichsweise heiter zurückwirft, was in den besseren Momenten charmanter ist als ein seifiges Happyend („Die Eisläuferin“, Mittwoch, 20.15 Uhr), das Axel Milberg als Star-Psychiater erspart bleibt, wo er neben Mario Adorf als zotteliges Über-Ich den Hamburger Woody Allen gibt, der besser seine eigenen Neurosen behandeln würde („Der Liebling des Himmels“, Freitag, 20.15 Uhr).
Alles solide, alles okay, alles nichts gegen „Happy Valley“, ein britischer Thriller, der mittwochs ab 22 Uhr im WDR sechs Teile lang die schmerzhafte Frage stellt, warum so was bei uns unmöglich ist. Antwort: hierzulande (oder in den USA) wäre die Kleinstadtpolizistin Catherine Cawood (Sarah Lancashire) auf der Jagd nach dem Mörder hübsch, cool und hochhackig im Einsatz, also nicht glaubhaft spannend, sondern klischeehaft artifiziell. Wie die farbige „Wiederholung der Woche“ von 1977: „Ein ausgekochtes Schlitzohr“ (Samstag, 1.15 Uhr, ZDF) mit Burt Reynolds als Trucker im Rennen mit der Polizei, was natürlich totaler Quatsch ist, aber so faszinierend wie die schwarzweiße Wiederholung „Zähl bis drei und bete“, einem Western von 1957 (Freitag, 22.15 Uhr, Servus) mit Glen Ford als Streiter für die Gerechtigkeit. Was direkt zum dokumentarischen Wochentipp überleitet: „Das Justizschiff“, eine Art schwimmendes Gericht auf dem Amazonas, auf dem 3sat am Mittwoch (20.15 Uhr) mitfährt.
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