Während man als Hamburger eine Großveranstaltung nach der anderen hinnehmen muss, stoßen selbstorganisierte Straßenfeste oft an bürokratische Hürden. Nicht mehr lange, dann ist die Innenstadt für Bewohner ganz gesperrt, meint Kolumnist Jan Freitag.
Schon richtig, angesichts des engmaschigen Netzes an Radwegen, Bus- und Bahnverbindungen braucht in einer Stadt wie dieser niemand, den weder körperliche Handicaps, noch materielles Geltungsbewusstsein an die Straße fesselt, ein Automobil. Manchmal jedoch geht es selbst im örtlichen Dauerstau nur eigenmotorisiert voran. Wenn man was Untragbares transportieren muss, zum Beispiel, sagen wir: eine zentnerschwere Musikanlage nebst Platten und DJs. Theoretisch. Praktisch jedoch wird den Bewohnern innerstädtischer Quartiere tendenziell an jedem zweiten Sommerwochenende die Zufahrt verweigert. Nachhause, wohlgemerkt. Wie ein mittelalterlicher Bann, wenngleich begrenzt auf halbe Tage.
Alles „was dumm und scheiße ist“
Der Grund sind, klar, Hamburgs Großveranstaltungen. Pardon: Events. Pardoner: Megaevents. Harley Days und Hanse-Marathon, Hamburg-Triathlon oder Schlager Move, Alster-, Hafen-, Ballermannvergnügen und nächstes Wochenende, notwendig wie eine nordkoreanische Militärparade: Das dreckschleudernde Urlaubsschlachtschiffmanöver Cruise Days.
Zwischen Alster und Elbe finde nun mal, Zitat Rocko Schamoni, alles das statt, „was dumm und scheiße ist“. Was man als Bewohner offenbar klaglos hinzunehmen hat. Denn Hamburg, Zitat eines Polizisten, der den Ring 2 mithilfe hunderter Kollegen unlängst wieder einen Dreiviertel Augustsonntag lang zur Sperrzone für all jene verriegelte, die nicht an den Cyclassics teilnahmen, sei nun mal eine „Entertainment-Metropole“. Oje!
Nachbarschaftsparty statt Hochglanzevent
Blättern wir doch mal kurz im Duden. Entertainment, steht da, ist „berufsmäßig gebotene leichte Unterhaltung“. Abgesehen davon, dass die Teilnehmer, Tagesgäste und sonstwie touristisch Angereisten einwohneraussperrender Entertainmentmetropolenmegaevents zusammenaddiert spielend das Gewicht des jährlichen Warenumschlags im Hamburger Hafen erreichen, ist das eine schallende Ohrfeige ins Gesicht all jener Einwohnenden, die sich unter Unterhaltung doch etwas mehr vorstellen, als berufsmäßig gebotene Leichtigkeit.
Ein wenig mehr Schwere, ohne belastend zu sein, konnte man zum Beispiel kurz nach den Cyclassics in der Bernstorffstraße erleben, wo Menschen mit Bezug zum Umfeld ein Straßenfest auf die Beine stellten, dass des nachts ebenfalls das Vorankommen blockierte – allerdings nicht mit grimmiger Polizeigewalt, sondern einem Gratiskonzert des Lokalmatadors Nico Suave, der in seinem Hood für lau rappte, dass der laue Abend zum helllichten Tag geriet.
Bürokratische Hürden im Bezirk
Im Gegensatz zu anwohnerfeindlichen, aber fremdenverkehrsfreundlichen Hochglanzevents sind manchmal laute, aber stets liebenswerte Nachbarschaftspartys wie diese allerdings vom Wohlwollen störrischer Bezirksbürokraten abhängig, die dem nachfolgenden Wohlwillstraßenfest zwei Wochen später die Zustimmung verweigern.
Der Grund: die Anmeldefrist habe sich verlängert, sei also diesmal überschritten. Punkt. Einspruch abgelehnt. Allenfalls eine Duldung sei drin. Dann aber ohne polizeiliche Ordnungsmaßnahmen, weshalb sich Menschen, Musik und Stände den knappen Raum am Samstag mit allerlei parkenden Autos teilen dürfen.
„Bewohner bitte draußen bleiben“
Auf derlei Festen, die nicht grad im stinkreichen Eppendorf stattfinden, gibt’s halt nix zu verdienen außer ein Stück stimmungsvoller Atmosphäre, die dem zügig zur Unkenntlichkeit gentrifizierten Wohnraum altbauverzierter Stadtteile ein klein wenig über den Weltschmerz glasstahlbetonierter Lebensfreude hinweghilft – und für einen Moment vergessen macht, dass der Kreislauf übersteigerter Monsterveranstaltungen im Werbegewitter von Red Bull bis Beck’s im nächsten Jahr aufs Neue startet. Bewohner bitte draußen bleiben. Die Innenstadt ist leider gesperrt. Für Konsumenten statt Menschen.
ghtr
10. September 2015 at 07:24
Oh nein, man lebt in der Stadt und muss es hinnehmen, dass Veranstaltungen stattfinden. Womöglich lebt man sogar zentrumsnah und dies kommt paar Mal häufiger im Jahr vor. Ja, ich lebe auch im Zentrum und möchte freie Straßen, keinen Lärm, keinen Dreck und auch nicht von den einfallenden Touristenströmen überrollt werden. Da bliebe mir noch immer die Option, in Wohnquartiere zu ziehen. Es gibt kein Recht auf Großstadt nach eigenen Regeln!
Und dann noch ankommen, weil eine Anmeldefrist verpennt wurde?! Tja, dumm gelaufen – wieso kümmert man sich nicht vorher drum? Schade für den Einzelfall, aber wenn man beispielsweise mit Kunden zusammenarbeitet, die immer wollen, dass trotz verpasster Fristen alle anderen Beteiligten doch alles möglich machen, nur sie selbst sich mit Entscheidungen und Abgaben bis aufs letzte Zeit lassen, kann auch solch eine Reaktion der Behörde nachvollziehen.
Lois-Gulot
11. September 2015 at 19:26
Ne, eine Hossahossa GmbH aus SH oder ein Kreuzfahrtriese aus D., ebenfalls GmbH, hat kaum Probleme in unserem Viertel Krach zu machen. Wir selber sollen schön ruhig bleiben. Oder glaubst’e ernsthaft, die Mercedes Benz Erlebniswelt der Cruisedays wird unser Viertel kulturell bereichern. Was gerade abläuft ist ein Verschachern der letzten lebendigen Viertel. Am Ende gibt’s Seemannsballermann mit Harleyopa. Und der arme Senat hat dazu noch die europäische Verordnung für lebenwerte Städte gegen sich.