Die „Szene Hamburg“ ragt wie ein Leuchtturm aus dem Mainstream der Wohlfeilen und Eventstadt Hamburg – und kämpft ums Überleben. Deshalb darf die Subkultur auf Papier auch etwas kosten, findet Jan Freitag.
1973 war ein aufregendes Jahr. Pinochet putscht sich an Chiles Macht, Watergate erschüttert Amerika, in Israel herrscht wieder Krieg, der Ölschock legt unsere Autobahnen lahm, Elvis feiert sein Comeback auf Hawaii, Alcedo atthis wird Vogel des Jahres und dann erscheint drei Monate nach Fatih Akins Geburt eine Zeitschrift, die seiner Stadt fortan neue Struktur gibt: Szene Hamburg. Nun muss man zur Nullnummer des zweitältesten Stadtmagazins der Republik eine letzte Meldung jener Tage vermelden: 1973 haben acht von zehn Haushalten täglich eine Zeitung auf dem Küchentisch, dazu im Schnitt zwei Wochenjournale und nun kommt’s: auf Papier. Gedruckt. Nicht online, geblogt, auf dem Tablet, sondern stofflich, greifbar, aus Bäumen gemacht.
Underground statt Hochkultur
Es waren halt irre Zeiten, als kaum ein Fisch durch die dreckige Alster schwamm, aber Milky Way in Milch. Kein Wunder also, dass die Leute auch irre Dinge taten. Etwa für einen festen Betrag in Mark und Pfennig den Gegenwert in gepressten Pflanzenfasern mit Buchstaben zu erwerben. Zu Worten verfügt, in denen die kulturelle Vielfalt des Lebensmittelpunktes zum Vorschein kam. Kulturberichterstattung war seinerzeit nämlich Hochkulturberichterstattung. Wenn sich die Feuilletonisten der Hansestadt mal aus Kunsthalle, Schauspielhaus oder Staatsoper wagten, dann allenfalls für richtig dicke Popstars. Off-Art, Underground? Fanden nicht mal am Rande statt. Außer in der Szene Hamburg.
An die Wand gefahren
Nun aber ist sie pleite. Gediegener ausgedrückt müsste es „insolvent“ heißen, aber da fast schon kriminelle Energie in ihren Niedergang investiert wurde, passt „bankrott“ am besten. Denn seit der goldenen Ära in den Neunzigern, als ihr zunächst kostenlose Eventpostillen wie Prinz den Garaus machten und bald darauf das Internet, wurde die frühere Perle deutscher Subkulturbetrachtung in einer bedauernswerten Kettenreaktion an die Wand gefahren. Weil die Auflage sank und sank, wurden gern mal die Verkaufszahlen geschönt (weshalb der SPD-eigene DDVG-Verlag absprang), während zum Wohlgefallen der Anzeigenkunden zusehends Gefälligkeitsjournalismus grassierte (weshalb die Kundschaft absprang).
Hoffnungsschimmer am Medienhorizont
Das Resultat wurde der schlecht bezahlten, schlicht erschöpften Rumpfredaktion im Frühjahr unter die Augenringe gerieben: Zahlungsunfähigkeit! Abwicklung! Der Insolvenzverwalter verschickt gerade fleißig Briefe an Empfänger säumiger Honorare und Rechnungen, die wohl überwiegend vergebens auf ihr Geld warten. Das Ende? Noch nicht! Was wirklich ein Hoffnungsschimmer ist im Zeitalter der Miesepetrigkeit alter Medien. Offenbar will das eingesprungene Verlagskontor für Medieninhalte, dem eine Nähe zum Bausektor nachgesagt wird, weitermachen. Mit noch rigiderem Sparkurs, versteht sich, bei dem die Grenzen zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung weiter verwischen dürften. Anscheinend aber geben renditeorientierte Unternehmer dem klassischen Stadtmagazin auf echtem Papier noch eine Chance.
Mehr als Großhallen-Exzesse und Kiez-Chronistik
Und das ist nicht nur für Nostalgiker eine gute Nachricht. Neben der Oxmox (Bj. 77) ragt Mama Szene ja wie ein independenter Leuchtturm aus dem Mainstream der Wohlfeilen und Eventstadt Hamburg. Trotz aller Kundenkompromisse wollen beide dem lokalen Entertainment etwas mehr abtrotzen als Großhallen-Exzesse und Kiez-Chronistik. Das hat seinen Preis, keine Frage. Aber Bier, Brot und dieses schicke Oberteil mit den Glitzersternen kann man sich auch nicht im Netz streamen. Noch nicht. Bis dahin darf auch Subkultur ruhig was kosten. Damit die Top-News 2023 lautet: Szene Hamburg feiert 50. Geburtstag!
SZENE HAMBURG
27. Mai 2015 at 15:47
Ab dem 28. Mai kann man wieder Geld für „Subkultur auf Papier“ ausgeben. Dann gibt es die Juni-Ausgabe von „Mama SZENE“ im Handel: http://szene-hamburg.com/publikationen/