Heute enden im Thalia Theater die Lessingtage zum Thema Europa. Am Dienstag wurde das ganze Thalia Theater zur Bühne für Schülergruppen und Hamburger Künstlerinnen und Künstler. Vom Eingangsfoyer bis zum Nachtasyl des Thalia Theaters wurden kurze Stücke, Szenenfolgen und Performances rund um das Thema Europa gezeigt. Herbert Enge, Leiter der Theaterpädagogik am Thalia, moderierte den Abend.
„Ich hab von Europa geträumt. Was ist das eigentlich?“
Kein Vorhang, keine Requisiten, einzig das Eingangsfoyer des Thalia Theaters genügte den Schülerinnen und Schülern des Klasse 6b des Helene Lange Gymnasiums für ihre Performance zum Thema Europa. Auf dem Boden des Foyers verteilt liegen die Schülerinnen und Schüler, alle bekleidet in blau. Das Stück hat bereits begonnen, als die Zuschauer das Foyer betreten dürfen. „Ich hab von Europa geträumt. Was ist das eigentlich?“, fragt einer der Schüler und erweckt die Darstellerinnen und Darsteller des Stückes damit zum Leben. „Europa ist Heimat“, „Nein, Europa ist ein Würstchen!“. Ein Würstchen? Ja, und gleichzeitig Käse und Pizza, sind sich die Kinder einig. In einer Collage von verschiedenen Szenen zeigen die Schülerinnen und Schüler ihre Eindrücke von Europa. Dabei schlagen die Kinder den Bogen von Klischees und Vorurteilen kultureller und religiöser Natur bis hin zur Finanzkrise und der politisch-ideellen Daseinskrise Europas. Durch Kinderaugen betrachtet sind wir alle auf der „MS Europa“ und „einer Fahrt ins Ungewisse“. Ein Sturm kommt auf. „Die Griechen kommen“, schreien die Kinder. Das gemeinsame Boot gerät ins Wanken. „Kann Europa jemals nur noch ein Land sein? Eine Regierung? Eine Sprache?“ Piraten überfallen das Boot. Nur Bob der Baumeister kann die MS Europa vor dem Untergang bewahren. Denn laut „Guido Westerwave sind wir am Ende alle reich!“. Die Kinder machen keinen Halt vor den Grenzen der politischen Korrektheit, halten den erwachsenen Zuschauern einen Spiegel vor. Viele müssen herzlich lachen bei der Europa-Satire der jungen Künstlerinnen und Künstler – vielleicht gerade weil die Wahrheit so nah dran ist. „Der Text und die Ideen stammen zu mehr als 90 Prozent von den Kindern“, sagt Lehrer Olav Herold, der die Entwicklung der Perfomance innerhalb einer Projektwoche begleitet hat. Unterstützt wurde er dabei von Robin Kiso und Jessica Storck. Das Helene Lange Gymnasium hat einen Theater Schwerpunkt. Bereits im vergangenen Jahr stellten Schülerinnen und Schüler ein Projekt in Kooperation mit dem Thalia Theater auf die Beine.
Kalte Füße, Religion & Grenzen
Im Mittelrangfoyer konnten die Zuschauer unter den EUtopien von 1000 Hamburger Schülerinnen und Schülern Platz nehmen (Mittendrin berichtete). Gleich drei künstlerische Einlagen erwarteten die Zuschauer auf der zweiten Station ihrer Reise durch das Thalia Theater und Europa. Zunächst ging die Hamburger Künstlergruppe „brotlosekunst“ mit Esther Schartz, Chari Brüning, David Edwards und Yasin Özen auf die verzweifelte Suche nach dem richtigen Paar Socken. Die Suche nach der Fußtextilie führt zu allerhand Streit, denn die richtigen Strümpfe sind einfach nicht aufzufinden. Die zahlreichen einzelnen Socken, auf dem Boden des Mittelrangfoyers verteilt, wollen einfach nicht passen. Bei der Performance „Bekommt Europa kalte Füße?“ nimmt das kleine Ensemble kein Blatt vor den Mund.
Kaum ist der Applaus des Publikums verstummt betritt eine weitere Schülergruppe die Bühne. Die 11c der Baltic-Schule in Lübeck präsentiert unter der Leitung von Marlis Jeske ihre Version der Ringparabel aus Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“. Im ersten Teil ihres Stückes „Mitten unter uns“ präsentieren die Schülerinnen und Schüler die Ringparabel mit chorischem Sprechen und Formationen. Die Ringe der Ringparabel stehen für die drei großen Weltreligionen – Christentum, Judentum und Islam. Im zweiten Teil des Stückes zeigen die jungen Darstellerinnen und Darsteller, wie sie religiöse Konflikte heute wahrnehmen. Drei szenische Beiträge werden dazu gespielt. Szene eins; Berlin kurz vor 12, Unterricht in der Schule, ein Schüler rollt seinen Gebetsteppich aus und will mit dem Gebet beginnen. Am Ende landet er beim Schulleiter. Szene zwei; ein Mädchen will auf den Geburtstag ihrer besten Freundin, doch ihre Eltern – Zeugen Jehovas – erlauben es nicht. Die dritte Szene zeigt die Vision der Schülerinnen und Schüler von Europa – Miteinander statt Gegeneinander ist die Botschaft. Dazu dröhnen aus den Boxen die Klänge Beethovens Neunter Symphonie, erst in der klassischen, dann in einer Rockversion, welche die jungen Europäerinnen und Europäer auf der Bühne zu einer gemeinsamen, ausgelassenen Party animiert.
Zuletzt wird es still im Mittelrangfoyer. Zwei Darsteller stehen im Mittelpunkt der letzen Performance „Eine Welt – Zwei Wege“. Bora Cem Celik und Faissal Ahmadzy erzählen zwei Geschichten für die sie keine Verkleidung und auch kein Bühnenbild benötigen. Die Kraft ihrer Worte genügt, um die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen und mitzunehmen auf zwei Lebensgeschichten. Die erste Geschichte erzählt vom Leben in Hamburg, dem Verlust der eigenen Mutter im Alter von sieben Jahren und den Konflikten mit der Stiefmutter und dem eigenen Vater. Die Geschichte erzählt von einer Freundschaft und ihrem Ende, vom Alleinsein und der Flucht in Alkohol und Drogen. Und davon die Kurve gerade noch so zu bekommen. Die zweite Geschichte findet ihren Anfang viele tausend Kilometer entfernt in Afghanistan. Diese Geschichte erzählt vom Krieg, dem Verlust der Eltern und einer gefährlichen Flucht nach Europa, die schließlich in Deutschland endet. Beide Geschichten erzählen über Grenzen. Über unsere eigenen und über die Grenzen des europäischen Kontinents. Inszeniert wurde „Eine Welt – Zwei Wege“ von Theaterregisseur Branko Simic.
Ohne Worte und mit viel Musik
Im Nachtasyl zeigte Özlem Demirci die Performance „Bäume in den Wald tragen“. Dabei kommt die Künstlerin ohne ein einziges Wort aus. Immer wieder wiederholt sie dieselben Bewegungen. Sie wäscht ihre Hände, einmal, zweimal, zehnmal. Dem Zuschauer erscheint die ständige Wiederholung dieser Waschhandlung schnell völlig überflüssig. Die Bewegungen von Özlem Demirci gehen zurück auf die Beobachtung von Wasch- und Gebetsritualen bei streng gläubigen Musliminnen. Die Performance ist der Versuch den rituellen Bewegungsabläufen nachzustellen und zu verstehen, wie sich Menschen in diesen vorgeschriebenen und von der Umgebung vorgelebten Strukturen finden und verlieren können, ohne sie jemals in Frage zu stellen. Den Abschluss der Abends bildete ein Kurzkonzert der EisenhansBand Bitte Lächeln! Die Eindrücke der Lessingtage verpackt in Blues, Reggae, HipHop und Rock. Es spielten Dennis Reinhardt am Piano, Florian Blumenhagen am Cajon (Kistentrommel), Mirko Frank an der Gitarre. Für den Gesang sorgte Lukas Johanssen sowie Mirko Frank.
Am Sonnabend gehen die Lessingtage 2013 am Thalia Theater zu Ende. Auch zum Abschluss sind es noch einmal Schülergruppen, die ihre Projekte zum Thema Weltreligionen an unterschiedlichen Orten im Thalia Theater vorstellen und damit die „Nacht der Weltreligionen“ einleiten. Los geht es heute um 16:30 Uhr. Mehr dazu hier. (Foto der Band: Joerg Boethling/agenda)
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