Viele Jahre galt Wilhelmsburg als Problemstadtteil. Die Internationale Bauausstellung und die Internationalen Gartenschau 2013 sollen das Image des Stadtteils verändern. Die Augen der Stadt richten sich im Sommer auf den Hamburger Süden. Dabei bleibt jedoch unklar, in welche Richtung sich der Stadtteil nach dem Hype entwickeln wird. Insbesondere die Situation auf dem Wilhelmsburger Wohnungsmarkt wird richtungsweisend für den Stadtteil sein.
Das Gesicht Wilhelmsburgs verändert sich. Besonders im Zentrum des Stadtteils reiht sich eine Baustelle an die nächste. Überall wird gehämmert, gesägt und geschraubt. Rasant nehmen die Vorstellungen der IBA- und igs-Planer Gestalt an. Die Großprojekte sind jedoch nur Ausdruck eines Wandels, der bereits seit einigen Jahren seinen Lauf nimmt. Die Bevölkerung der Elbinseln wächst schnell. Waren es 2002 noch 46.000 Einwohner, so leben jetzt bereits rund 50.000 Menschen in Wilhelmsburg. Der Stadtteil ist besonders für Studenten und Kreative attraktiv, die sich die hohen Mieten im Zemtrum nicht länger leisten können. Unter dem Slogan „Sprung über die Elbe“ soll der Stadtteil bewusst ein neues Image bekommen. „IBA und igs haben den Stadtteil bereits verändert. Im Reiherstiegviertel eröffnen neue Kaffees, es gibt nach Jahrzehnten wieder einen Vollsortiment-Supermarkt“, sagt Sonja Lattwesen, Sprecherin der Grünen-Fraktion im Regionalausschuss Wilhelmsburg-Veddel. Auch Jörn Frommann, Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bezirksversammlung, sieht die aktuelle Entwicklung in Wilhelmsburg als positives Signal: „Endlich bekommt die Wilhelmsburger Mitte ihre seit über hundert Jahren zugedachte Bedeutung. Neue Bevölkerungsschichten sind in den Stadtteil gezogen und prägen das Bild einer modernen Gesellschaft.“ Die Veränderungen im Stadtteil haben jedoch auch eine Schattenseite. Kritische Stimmen warnen bereits vor Gentrifizierung und Verdrängung alteingesessener Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger. Für sie gleicht die Entwicklung südlich der Elbe der Aufwertung der sogenannten Szenestadtteile St. Georg und St. Pauli. Hier wehren sich Bürgerinnen und Bürger bereits seit Jahren gegen steigende Mieten und die Verdrängung sozial schwächerer Menschen.
In Wilhelmsburg sollen die Einwohnerinnen und Einwohner in die Aufwertung ihres Stadtteils eingebunden werden. Stadt und Bezirk haben angekündigt die weitere Entwicklung in enger Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern voranzutreiben. Mit Workshops zu dem Thema „Zukunft Elbinseln 2013+“ sollen gemeinsam mit Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburgern Ideen und Konzepte gesammelt werden, wie der Stadtteil auch nach den Großveranstaltungen IBA und igs weiter gestaltet werden kann. Bezirksamtsleiter Andy Grote betont, dass der Bezirk die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger sehr ernst nimmt. „Wir als Bezirk fühlen uns dem Prinzip der Bürgerbeteiligung verpflichtet“, sagt Grote. Fraglich ist, ob mit der Zukunftswerkstatt tatsächlich alle Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils erreicht werden.
Insbesondere in Quartieren, die zu großen Teilen aus sozialem Wohnungsbau mit günstigen Mieten bestehen, fürchtet man sich vor den Folgen der Stadtteilaufwertung. „Der Stadtteil erlebt einen Imagewandel, dieser ist jedoch noch nicht überall spürbar. Es bestehen Sorgen in Bezug auf Gentrifizierung und Verdrängung, daher sollte die weitere Entwicklung behutsam gesteuert werden“, sagt Roswitha Düsterhöft von Düsterhöft Architektur und Stadtplanung, die bei den Workshops „Zukunft Elbinseln 2013+“ als Expertin mitarbeitet. Besonders im Präsentationsjahr der Interantionalen Bauausstellung soll Wilhelmsburg als Beispiel für soziale und innovative Stadtteilentwicklung dargestellt werden. Die Organisatoren der IBA versprechen: „Aus Wilhelmsburg wird kein neues Eppendorf“. Die günstigen Mieten im Stadtteil seien durch Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA GWG dauerhaft gesichert. Zudem wolle man gezielt Neubau im höherklassigen Bereich betreiben, um so die Verdrängung aus bestehenden Quartieren zu verhindern.
Auch wenn sich das Bild von Wilhelmsburg derzeit wandelt, so ist der Stadtteil weiterhin von einem großen sozialen Gefälle geprägt. „Wilhelmsburg ist immer noch ein Stadtteil, in dem ein großer Prozentsatz an armen oder arbeitslosen Menschen lebt, das zeigt auch das aktuelle Sozialmonitoring. Diese Menschen dürfen nicht verdrängt werden, wenn durch Nachverdichtung Wohnraum in Wilhelmsburg geschaffen wird“, sagt Sonja Lattwesen (Grüne). Die Arbeitslosigkeit in Wilhelmsburg hat sich in den vergangenen zehn Jahren nur geringfügig verändert. Waren 2002 11,6 Prozent der Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger ohne Arbeit, so fiel dieser Wert bis 2011 nur auf 11,1 Prozent. Zum Vergleich: Im Bezirk Hamburg-Mitte lag die durchschnittliche Arbeitslosigkeit 2011 bei 8,6 Prozent. Weiterhin ist ein Viertel der Menschen in Wilhelmsburg auf Unterstützung durch Arbeitslosengeld II angewiesen. Die Wohnungssituation trägt der nahezu unveränderten sozialen Situation keine Rechnung. Die Zahl der Sozialwohnungen in Wilhelmsburg nimmt stetig ab. Waren 2002 noch 38 Prozent aller Wohnungen im Stadtteil Sozialwohnungen, so sank dieser Wert bis 2011 auf rund 29 Prozent. Von dem verbliebenen sozialen Wohnungsbau werden nach Angaben des Statistikamtes Nord bis 2016 weitere 28 Prozent aus der Sozialbindung herausfallen. Beschränkungen in der Miethöhe bestehen dann für diese Wohnungen nicht länger. Für die Initiativen des Netzwerkes „Recht auf Stadt“ kann auch die SAGA diese Entwicklung nicht verhindern. Laut Angaben des Netzwerkes erhöht die städtische Wohnungsbaugesellschaft seit Jahren die Mieten in einem höheren Ausmaß als der Durchschnitt der Hamburger Mieterhöhungen insgesamt.
Die Bezirkspolitik will sich jedoch bisher nicht auf Maßnahmen wie einer sozialen Erhaltensverordnung festlegen, die zum Beispiel bereits für Stadtteile wie St. Georg und St. Pauli besteht. Durch die Erhaltensverordnung wird unter anderem die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verhindert. Weiterhin bestehen zusätzliche Auflagen, die Mieterhöhungen auf der Grundlage von Modernisierungsmaßnahmen erschweren. „Es gibt handfeste Gerüchte, dass die wenigen privaten Immobilienbesitzer den Aufschwung in Wilhelmsburg als Anlass für astronomische Mieterhöhungen nehmen. Zur Zeit ist aber noch nicht abzusehen, ob eine soziale Erhaltensverordnung als Instrument sinnvoll ist“, sagt Sonja Lattwesen (Grüne). Die CDU sieht derzeit keinen Handlungsbedarf, weist jedoch auch darauf hin, dass die weitere Entwicklung derzeit nicht absehbar sei. „Es gibt ausreichend gebundenen Wohnraum, der dies nicht notwendig macht. Dies haben auch die Gutachten gezeigt. Was in zwanzig Jahren sein wird, kann man heute nicht beurteilen“, sagt Jörn Frommann.
Bezirksamtsleiter Grote will sich ebenfalls noch nicht auf konkrete Maßnahmen für die Zukunft festlegen. „Eine soziale Erhaltensverordnung ist kein Präventivinstrument. Man muss die Entwicklung genau beobachten und dann die entsprechenden Entscheidungen treffen“, sagt Grote. Für den Bezirksamtsleiter ist die Entwicklung in Wilhelmsburg bisher eine Erfolgsgeschichte, die sich auch nach den Großveranstaltungen im Sommer fortsetzen wird. „Es gibt großes Potential in Wilhelmsburg und auf der Veddel. Derzeit gibt es mehrere große Stadtentwicklungsprojekte, wie die HafenCity, die ohne IGS und IBA funktionieren. Wilhelmsburg ist ebenfalls ein solches Großprojekt“, so Grote weiter.
Die Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger haben einen ereignisreichen Sommer vor sich. Es bleibt abzuwarten, wie die Entwicklung des Stadtteils im Anschluss an igs und IBA verläuft, wenn es wieder still wird in Wilhelmsburg. Die Weichen für den Szenestadtteil Wilhelmsburg scheinen jedoch längst gestellt.
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