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Trinkraum am Hauptbahnhof: Eine Schnapsidee?

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Isabella David
@isabelladavid89

Chefredakteurin | Studentin der Politikwissenschaft an der Universität Hamburg | Kontakt: david@hh-mittendrin.de

In der letzten Sitzung der Bezirksversammlung im Dezember 2012 wurde beschlossen, dass Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) sich für die Einrichtung eines Trinkraums am Hauptbahnhof einsetzen soll. Als Vorbild für einen Trinkraum in der Innenstadt wird immer wieder das Konzept in Kiel herangezogen. Eine Kopie des Kieler Modells in Hamburg ist nicht unumstritten.

Der Hauptbahnhof ist für viele Menschen ein zentraler Treffpunkt. Gerade für viele Obdachlose, Arbeitslose und Punks ist der Hauptbahnhof das Wohnzimmer der Großstadt Hamburg. Hier werden Informationen ausgetauscht, soziale Kontakte gepflegt und auch gemeinsam Alkohol konsumiert. Seit vergangenem Herbst gilt ein Vertrag der Stadt mit der Deutschen Bahn, der das Hausrecht auf dem Hachmannplatz an die Bahn überträgt (Mittendrin berichtete). Viele der genannten Personengruppen werden seitdem vom Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn aufgefordert den Hachmannplatz zu verlassen. Zusätzlich zu dem Vertrag, der vor allem in St. Georg und vom Netzwerk Recht auf Stadt massiv kritisiert wird (Mittendrin berichtete), will die SPD in Hamburg-Mitte nun einen Trinkraum einrichten. „Um die Szene der Alkoholkonsumenten im Bereich des Hauptbahnhofs und des Hansaplatzes zu entspannen, hat sich die SPD-Fraktion schon in der Vergangenheit dafür eingesetzt, eine kommunal finanzierte niederschwellige Aufenthalts- und Beratungseinrichtung für Personen aus alkoholkonsumierenden Straßenszenen nach Kieler Vorbild einzurichten“, heißt es in dem Antrag der SPD-Fraktion in der Bezirksversammlung im Dezember 2012. Schon der ehemalige Bezirksamtsleiter Markus Schreiber forcierte Ende 2010 die Einrichtung eines Trinkraums am Hauptbahnhof.

Nach Kieler Vorbild soll in der geplanten Einrichtung der Konsum von mitgebrachtem niedrigprozentigem Alkohol erlaubt sein. Laut Antrag der SPD sei dies notwendig, um eine hohe Akzeptanz unter den Szeneangehörigen für die Einrichtung zu erlangen. Weiterhin habe der Trinkraum den Zweck eines niedrigschwelligen Einstiegs in Hilfeketten, sowie die sozialen Kontakte der Zielgruppe zu verbessern. Nur beiläufig ist in betreffendem Antrag die Rede von dem „positiven Nebeneffekt“ der Entlastung der „öffentlichen Plätze von den negativen Folgen des Alkoholkonsums“. Mit dem Antrag wird Bezirksamtsleiter Andy Grote dazu aufgefordert sich dafür einzusetzen, dass der Senat und die zuständigen Fachbehörden einen Trinkraum in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof einrichten. „Die Bezirksversammlung, die Sozialträger und die Bürgerinnen und Bürger der unmittelbar betroffenen Stadtteile St. Georg und Innenstadt werden eng in die Entwicklung eines tragfähigen Konzepts eingebunden“, heißt es in dem Antrag weiter.

Das Kieler Konzept

Arne Leisner, Abteilungsleiter des Amts für Wohnen und Grundsicherung in Kiel, ist zuständig für die beiden Trinkräume in Kiel. Sein Vorgänger, Christoph Schneider, hat das Konzept des Trinkraums in Kiel etabliert. Seit 1999 gibt es einen Trinkraum in der Kieler Innenstadt, seit 2010 einen zusätzlichen im Stadtteil Kiel-Gaarden. An beiden Standorten gab es vor der Einrichtung der Trinkräume gut besuchte Treffpunkte der Szene. Bürgerbeschwerden aufgrund der Lautstärke und auch des Vorwurfes der Belästigung häuften sich. „Die Polizei hat dabei kaum eine Handhabe, wenn die Stimmung bunter wird“, sagt Leisner. Da es keine Trinkersatzungen mehr gäbe, könne der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit kaum eingegrenzt werden. „Die Stadt Kiel reagierte nicht mit politischen Vertreibungsmaßnahmen, sondern mit einem Angebot“, sagt Leisner. Ziel der Einrichtung sei es gewesen, die Szenerie abzuflachen. Zusätzlich zu den Trinkräumen geschehe dies jedoch auch durch Straßensozialarbeit. Die Trinkräume werden zusammen mit HEMPELS, dem Straßenmagazin für Schleswig-Holstein, betrieben. Der Trinkraum hole die Menschen dort ab, wo sie sind. „Es herrscht in der Einrichtung kein Beratungszwang“, sagt Leisner. Die Menschen könnten kommen, müssten sich aber nicht beraten lassen. „Wir wollen die Menschen nicht belehren, können aber ein alternatives Angebot schaffen und bei Bedarf auch Handlungsalternativen aufzeigen“, sagt Leisner weiter.

Die Trinkräume haben an den Wochentagen von 9 bis 15 Uhr geöffnet. Jeden Tag besuchen jeweils etwa 30 Personen die beiden Einrichtungen. Die Menschen hinter dem Tresen besitzen selbst ähnliche Biografien wie die Besucherinnen und Besucher der Trinkräume und wurden für ihre Arbeit im Trinkraum forgebildet. So ist es möglich bei Problemlagen wie der Wohnungslosigkeit weiterzuhelfen. Für weiteren Beratungsbedarf stehen Schuldner- und Gesundheitsberater zur Verfügung. Beispielsweise können sich die Besucherinnen und Besucher so ein Treuhandkonto einrichten lassen, um ihre Ausgaben zu kontrollieren. „Das Angebot wird von der Szene gut angenommen“, sagt Leisner. Besonders wichtig sei es jedoch, dass kein Druck aufgebaut wird. „Sobald das Gerücht umgeht, dass es in der Einrichtung einen Beratungszwang oder sogar Polizeikontrollen gibt, wird keiner mehr den Trinkraum besuchen“, sagt Leisner, „Ein Konzept, dass auf Zwang aufbaut ist zum Scheitern verurteilt.“ Wichtig für den Erfolg einer solchen Einrichtung sei insbesondere die Zielsetzung des Projekts. „Man kann die gesamte Straßenszene nicht auflösen. Es werden nie alle mit einem solchen Projekt einreicht“, sagt Leisner. In der Konsequenz könne man auch nie erreichen, dass die Szene ganz aus dem öffentlichen Raum verschwinde. „In Hamburg hat die Straßenszene andere Ausmaße“, sagt Leisner, „Außerdem muss ganz klar sein – ohne Sozialarbeit geht es nicht!“

Kritische Stimmen aus Hamburg

„Ein Trinkraum macht nur in kleinen, sehr lokal begrenzten Gebieten einen Sinn“, sagt Andrea Hniopek, Abteilungsleiterin der Beratungsstelle für arme und obdachlose Menschen beim Caritasverband für Hamburg. „Die Szene am Hauptbahnhof ist sehr verteilt. Ich halte die Einrichtung an dieser Stelle nicht für förderlich. Ich bin gegen einen Trinkraum“, sagt Hniopek weiter. Stattdessen solle man das Geld den Ausbau lokaler Hilfsangebote investieren. „Insbesondere das Tagesangebot in der Innenstadt und in Hauptbahnhofnähe sollte ausgebaut werden“, so Hniopek, „In Kiel und Hamburg unterscheidet sich außerdem die Quantität der Hilfsbedürftigen.“ Das Konzept ließe sich nicht ohne weiteres übertragen. Auch aus St. Georg melden sich kritische Stimmen. „Ich sehe das skeptisch“, sagt Michael Joho, Vorsitzender des Einwohnervereins St. Georg. „Der öffentliche Raum ist für alle da. Bei Problemen kann man sich zusammensetzen und diese lösen. Derartige Maßnahmen dürfen nicht von oben diktiert werden, sondern müssen unter Einbezug der Betroffenen und der Bürgerinnen und Bürger entwickelt werden.“

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