Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei Rückgrat und eine Freakshow wider Willen gefunden.
Na, das war doch endlich mal ein hörbarer Aufschrei, der da vorige Woche durch Fernsehland fegte. Als eine Religion offen kritisiert wurde, hagelte es Tiraden über die eindimensionale Verunglimpfung im Umgang mit Gläubigen einer bedeutsamen Glaubensgemeinschaft. Gut so! Bürgerlichen Widerstand gegen antireligiöse Vorurteile haben sich aufgeklärte Gemüter schließlich schon längst mal im Umgang mit dem Islam und seiner Pauschalverteufelung als Islamismus gewünscht. Nur – dummerweise klagte der Okzident da nicht auf unfaire Behandlung einer orientalischen Konfession. Nein, die ARD hatte sich erdreistet, in ihrer Dokumentation „Mission unter falscher Flagge“ die Protagonisten des Untertitels anzugreifen: „Radikale Christen in Deutschland“.
Der verantwortliche NDR zählte Tausende von Zuschriften, die – wahrscheinlich mit Blut auf Büttenpapier geschrieben – zum Beispiel heimliche Aufnahmen von Gottesdiensten anprangerten. Ob die alle das in Moscheen wohl auch so schlimm fänden? Passend zur offensiven Stellungnahme, mit der die ARD vorige Woche eine Lanze für die Autoren des Films brach, wiederholte sie ihre Sendung Freitagabend, statt alles öffentlich zu bereuen. Das war dann mal Rückgrat im Hause jener, die ansonsten zusehends ihre Fahnen in den Wind des Publikums hängen.
Streit beim Spiegel
Dass Wolfgang Büchner die Fahnen in irgendjemandes Wind hängt, kann man hingegen nicht behaupten. Alle Ressortleiterstellen umzubesetzen und zugleich die strikt getrennten Redaktionen von gedrucktem „Spiegel“ und „Spiegel-Online“ enger verzahnen zu wollen – damit machte sich der Chefredakteur reichlich Feinde im eigenen Haus. Und bekam doch eine Mehrheit zusammen. Eigentlich ein Thema für Fachleute; das mächtige Medienecho auf die Affäre aber zeigt abermals: Noch ist seriöser Journalismus gesellschaftlich bedeutsam.
Er wird sich künftig nur völlig neu darstellen. Das konstatiert der gut recherchierte Dokumentarfilm „Die virtuelle Feder“, mit dem Arte Dienstag (21.30 Uhr) nach der Zukunft analoger Publizistik im digitalen Sperrfeuer fragt. Antwort: Sofern sie sich ihrer Stärken besinnt, gibt es eine. Etwa lückenlose, umfassende, intensive Recherchen wie in der investigativen Gemeinschaftsredaktion von „Süddeutscher Zeitung“ und NDR. Die dürfen allerdings nicht nur informativ serviert werden, sondern unterhaltsam.
Ersteres ist jetzt nicht grad eine Stärke des „Markenchecks“, der Montag mit dem Möbelhaus IKEA in die neue Staffel geht. Trotz inhaltlicher Schwächen ist die Reportagereihe ein lobenswertes Beispiel dafür, wie man mit seriösen Sachthemen selbst zu allerbesten Sendezeit nach der „Tagesschau“ ein größeres Publikum gewinnt. Dass sie in Sound und Bildsprache zuweilen etwas populistisch gerät – geschenkt. Denn in der Tat: Eine Dokumentation, die drei Stunden später auf gleichem Kanal läuft, mag dramaturgisch glänzen; wie „AGFA 1939“ 120 Fotos und Filme aus dem 2. Weltkrieg, die sich auf dem Dachboden eines damaligen Amateurfilmers gefunden haben, zum deutsch-polnischen Geschichtskrimi verwebt, ist vielleicht doch arg vertrackt für die Primetime im Ersten.
Freakshows und ein neuer Tatort
Ein bisschen zu schlicht für Arte ist dagegen „Schöner kann jeder“, wo sich der Kulturkanal mit dem Charme des Hässlichen beschäftigt, die Chance, allzu glatte Oberflächen mal gründlich aufzurauen aber seltsam eindimensional vergeigt. Anstatt dieses wichtige Thema in all seinen Facetten anzugehen, konzentriert sich Jan Tenhaven nämlich allein auf die „Misfit Models“, eine Agentur für Unansehnliche. So bleibt die Sendung das, was sie eben nicht sein will: eine Freakshow.
In die würde auch das verschrobenste Exemplar der französischen Gegenwartsliteratur passen, was nichts besser belegen könnte als „Die Entführung des Michel Houllebecq“. Der Berlinale-Film verknüpft am Mittwoch ebenfalls auf Arte die Tatsache, dass der Bestsellerautoren („Elementarteilchen“) gern mal spurlos vom Erdboden verschwindet, mit der Fiktion, dies werde jetzt auf kriminelle Weise Wirklichkeit. Ungewöhnlich, skurril, wunderbar. All dies ist Peter Weir nicht. Dennoch gilt der australische Regisseur als Erneuerer des Kinos der Achtziger, anspruchsvoll und massenkompatibel zugleich. Nun zeigt Arte drei seiner Filme. Angefangen mit „Der Einzige Zeuge“, der es am Sonntag jedoch mit starker Konkurrenz zu tun hat: Der „Tatort“ ist zurück aus der Sommerpause – und legt mit der Wiener Version gleich mal das Top-Team der vorigen Saison vor. Zeitgleich zum Beginn des neuen TV-Labs, mit dem ZDFneo Donnerstag um 21.45 Uhr diesmal wieder drei Serien in den Testlauf für höhere Aufgaben schickt, läuft parallel auf Arte der „Tipp der Woche“: „Unsere Mütter, unsere Väter“.
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