Ganz Hamburg debattiert über den Umgang mit Flüchtlingen: Nicht nur die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ zieht dabei die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Viele andere Hilfesuchende, die seit Jahren auf eine Aufenthaltsgenehmigung warten, melden sich immer wieder zu Wort und beklagen schlechte Zustände in den Flüchtlingsunterkünften.
Das Lager sei der phänotypische Ort unserer heutigen Zeit, glaubt der italienische Philosoph Giorgio Agamben. In ihm herrsche der Ausnahmezustand, der in unserer heutigen Gesellschaft mehr Regel denn Ausnahme sei. Ein Ausnahmezustand herrscht offenbar auch vor den Toren Hamburgs in der Flüchtlingsunterkunft in Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Davon erzählen seine Bewohner, die unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Aber nicht nur in der Unterkunft in Horst, dass für die Hamburger Behörden als Erstaufnahme für die Flüchtlinge fungiert, seien die Zustände katastrophal. Auch von weiteren Flüchtlingsunterkünften in Hamburg wird berichtet.
„Ein System, das sich gegen Menschen aus anderen Ländern richtet“
Der Flüchtlingsrat Hamburg und die Antira Horst AG beklagen immer wieder, dass die Lebensumstände in den öffentlichen Unterbringungen katastrophal seien. Besonders die Zustände in der Flüchtlingsunterkunft Horst werden kritisiert: Die ehemaligen und aktuellen Bewohner erzählen durchweg Erschreckendes. So berichtet eine Familie aus Serbien, dass ein Arzt anstatt zu behandeln nur Schmerzmittel verteile. Um einen Facharzt aufzusuchen, müsse hingegen die lange Reise nach Hamburg auf sich genommen werden. Auch die Kosten für die Fahrten müssten selbst getragen werden. Trotz des eintönigen Essens dürften in den ersten drei Monaten weder eigens erworbene Lebensmittel im Flüchtlingsheim verzehrt, noch zubereitet werden. Die Flüchtlinge leben nach eigenen Angaben auf Zimmern, die lediglich 10 Quadratmeter groß sind. Fernsehen und Radio gebe es nicht.
Die Erstaufnahme in Horst sei „pures malträtieren“ der Bewohner um in Deutschland nicht bestehen zu können, sagt Franz Forsmann vom Flüchtlingsrat Hamburg. Die Flüchtlinge seien abgeschottet von jeglicher Hilfe, sei es juristisch, menschlich oder einfach auf emotionaler Basis. Das Heim, so sagt der Flüchtlingsrat sei deshalb bewusst in Horst gelegen – weit weg von den Augen der Öffentlichkeit.
Die Stadt argumentiert mit Wirtschaftlichkeit
Die Stadt Hamburg wiederum behauptet, dass „diese Vorwürfe über die angeblichen Zustände in der Wohnaußenstelle seit Jahren wiederholt werden, ohne dass sie dadurch richtiger werden“. Es gebe schlicht keine Alternative zu Nostorf-Horst: Aufgrund der geringeren Fläche eines Stadtlandes zu einem Flächenland, wäre eine Unterbringung außerhalb der Stadt völlig normal, die Zusammenarbeit mit einem angrenzenden Bundesland zudem wirtschaftlicher, argumentiert die Behörde. Zwar seien andere Optionen geprüft worden, aber „hierbei zeigte sich, dass im Jahr 2012 in noch geringerem Umfang Unterbringungskapazitäten und geeignete Liegenschaften zur Verfügung standen als vor einigen Jahren“. Eine Aufstockung der Plätze in der Außenwohnanlage im Jahr 2012 wird mit der generellen Zunahme von Flüchtlingen in Deutschland begründet. Im Moment plant der Senat mit circa 270 Plätzen für die Erstaufnahme von Flüchtlingen in ganz Hamburg. 200 davon sind für das Flüchtlingsunterkunft Horst eingeplant. Vor zehn Jahren waren es noch 30 Plätze.
Manche Bewohner würden deshalb bis zu zehn Jahren in den Unterkünften leben und seien somit gezielt aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegliedert. Es sei „ein System, was sich gegen Menschen aus anderen Ländern richtet“ sagt Forsmann. Tatsächlich werden in der Regel rund 70 bis 90 Prozent aller Asylanträge in Hamburg abgelehnt. Im letzten Jahr bekamen in Hamburg knapp 81.000 Flüchtlinge eine Ablehnung erteilt. 127.023 Flüchtlinge stellten einen Antrag.
Eine Geschichte von vielen
Ein Flüchtling, der immernoch auf die Entscheidung seines Antrages wartet ist Hüseyin. Er ist 29 Jahre alt. Gemeinsam mit seinen Eltern floh er aus Syrien, vor dem Bürgerkrieg. Das Flüchtlingslager Horst, so berichtet auch er, sei isoliert: Mitten im Nirgendwo. Jeden Tag gebe es dort dasselbe zu essen: Kartoffeln, Nudeln und Reis. Aber selbst dafür müsse man teilweise eine halbe Stunde lang anstehen. Manchmal komme es dann zu Streitereien. Vor zwei Jahren sei es dabei sogar zu einem Todesfall gekommen, als ein türkischer Bewohner vor den Augen der anderen Flüchtlinge mit einem Messer auf zwei Afghanen losging.
Diese Geschichte ist laut Flüchtlingsrat nur eine von vielen. Hüseyin und seine Eltern haben jedoch Glück gehabt: Vor kurzem wurde Ihnen eine Duldung erteilt – andere warten weiter Tag für Tag darauf die Unterkünfte endgültig verlassen zu können und ein neues Leben in Deutschland zu starten.
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