Am kommenden Wochenende enden die diesjährigen Lessingtage am Thalia Theater. Ein großer Teil des vielfältigen Programms liegt bereits hinter dem begeisterten Publikum. Ein besonderes Highlight war dabei die Aufführung „Die+Wir=Europa“ – eine musikalisch-dialogische Zusammenfassung der großen Themen um die sich die Lessingtage im Kern drehen.
Endspurt für die Lessingtage: Noch bis zum 9. Februar präsentiert das Thalia Theater sein besonderes Programm. In der vergangenen Woche haben bereits zahlreiche Vorstellungen und Veranstaltungen das Publikum begeistert. Wie ein roter Faden zieht sich dabei die Frage nach dem Zusammenwachsen von Europa und der Rolle des Kontinents in der Welt durch die Lessingtage. Dabei geht der Blick auch regelmäßig über den Tellerand der europäischen Sicht hinaus und nimmt beispielsweise Afrika und das Schicksal von Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Europa in den Blick. Ein Highlight des diesjährigen Programms war die Aufführung „Die+Wir=Europa“. Das Stück fasst auf einzigartige Weise all die Themen zusammen, die während der Lessingtage im Fokus stehen sollen – wendet dabei den Blick aber nicht auf die südlichen Grenzen des Kontinents, sondern nach Osten.
Da ist Musik drin
Wesentlicher Bestandtteil der Aufführung ist die Musik: Die Vielfalt der Musikstile verdeutlicht dabei, dass es das eine Richtige nicht gibt. Während die verschiedenen Episoden des Stücks „Fetzen“ von Wolfgang Rihm für so manchen sehr gewöhnungsbedürftig sind, begeistern die kurzen intensiven Musikintervalle das übrige Publikum. Andere schätzen hingegen die Werke des berühmten estnischen Komponisten Arvo Pärt mehr. Die Interpretation von Songs der Neuen Deutschen Welle durch ein A-Capella Quartett zeigt aber auch den verbindenden Charakter der Musik – der ganze Saal tobt bei der flotten, humorvollen Darbietung der vier Sänger. Ebenso begeistert zeigen sich die Zuschauer von dem wohl abgedrehtesten Saxophonstück, das das Thalia jemals präsentiert hat: Die Saxophonisten spielen sich schnell in Extase und schrauben auch schon mal ihr Instrument auseinander, um noch einmal ganz spezielle Tonvariationen aus dem Instrument herauszuholen. Als musikalische Klammer verbindet die Uraufführung des Stücks „timelines“ von Reinhard D. Flender die Aufführung und findet ebenfalls tosenden Beifall des Publikums.
Der andere Blick
So unterschiedlich wie die Meinungen des Publikums auf die Musik, sind auch die Betrachtungsweisen von Europa und seinen BewohnerInnen. Verdeutlicht wird das an den Gesprächen zwischen dem Deutschen Sebastian Rudolph und dem Estländer Tambet Tuisk. Gemeinsam blicken sie in Form von nachgestellten Radiobeiträgen und Telefonaten auf die lange gemeinsame Geschichte ihrer beiden Länder, aber auch des gesamten Kontinents zurück. Dabei finden sie viele Unterschiede und verschiedene Blickwinkel auf die Vergangenheit und Gegenwart, aber auch zahlreiche Gemeinsamkeiten.
Die Protagonisten zeigen, dass die gleichen Ereignisse oft von dem jeweils anderen völlig unterschiedlich wahrgenommen werden. So galt die Wehrmacht in Estland lange als Befreier, während der Deutsche nur entsetzt feststellt „Das kann nicht sein, wir waren doch Monster.“ Immer wieder überraschen die Einblicke in die estnische Seele das deutsche Publikum. Es ist erstaunlich wieviel man nicht über das Land weiß, das eigentlich wie man selbst ein Teil von Europa sein soll. Umso erstaunlicher ist es jedoch wieviel man nicht über sich selbst weiß. Fakten, die man für selbstverständlich hält werden durch den Blick des anderen in Frage gestellt. So wie mit dem Beispiel Estland geht es uns mit vielen anderen Ländern, aber auch den übrigen BewohnerInnen Europas und der Welt mit uns. Das eine Richtige Bild existiert nicht – der Blick des anderen zeigt, dass wir uns manchmal selbst nicht verstehen können.
Eines macht der Dialog zwischen den beiden Darstellern jedoch noch deutlich: Uns verbindet mehr, als uns trennt. Wir alle teilen die gleichen Sorgen, Ängste und Hoffnungen. „Ich habe Angst vor den sowjetischen Panzern“, sagt die deutsche Stimme aus dem Jahr 1953. „So ging es uns auch“, versichtert der estländische Gesprächspartner. Sicher bestehen diese Gemeinsamkeiten nicht nur zwischen Esten und Deutschen, sondern zwischen allen Europäern und darüber hinaus. Am Ende sind wir alle Menschen und können durch eine neue Perspektive nur dazu lernen, über uns selbst und jenen, die wir oft als anders bezeichnen.
Eine unumstößliche Wahrheit bringt die besondere Aufführung dann doch zutage: „Was machen die Deutschen besser als die Esten“, fragt Tambet Tuisk. „Fußball“, antwortet Sebastian Rudolph.
Foto: Armin Smailovic [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) oder CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons
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