Künstlerporträt: Valérie Bayol – Von Hexen, Zauberern und Drachen in St. Georg

Kultur
Judith Behnk

Kulturredakteurin / M.A. Kunstgeschichte und Religionswissenschaften / Kontakt: behnk@hh-mittendrin.de

Könige, Frösche und fantastische Wesen: Valérie Bayol fertigt in St. Georg Figuren aus Papiermaché. Judith Behnk durfte einen Blick in ihr Atelier und ihr „Gruselkabinett“ werfen. 

Ein Kleinod, wie aus einem Märchenland verbirgt sich in der kleinen unscheinbaren Danziger Straße in St. Georg. Durch das Schaufenster des Souterrain Ateliers schauen einen gewitzte kleine Gestalten an: Füchse, Hasen, Katzen, Frösche. Fast jeder Passant bleibt bei diesen Anblick mal kurz verblüfft stehen. Die Schöpferin dieser Kreaturen ist die gebürtige Südfranzösin Valérie Bayol – sie lädt uns zu einem Rundgang in ihr Atelier und ihre Werkstatt ein.

Ebenso gewitzt wie ihre Figuren, ist auch die Künstlerin selbst – offen und freundlich ist die Begrüßung. Ein wenig zerstreut, führt sie mich in einem rasanten Tempo durch ihr Atelier. Bleibt einmal vor der einen mal vor der anderen Puppe stehen, rennt in den nächsten Raum, um dort Tee zu machen. Eine echte Herausforderung, wenn man versucht das Gespräch aufzunehmen. „Wo war ich noch mal stehen geblieben?“, sagt sie als sie zurückkehrt. Sie ist erfrischend und lustig, ihr Lachen ansteckend. Der Rundgang führt an einer großen Fülle von Marionetten, Handpuppen und Tischbüsten vorbei. Und überall schauen einen kleine interessierte Wesen an, die zu beratschlagen scheinen, wer der fremde Gast wohl sein mag, der ihr Reich betreten hat.

Die Liebe führte sie nach Hamburg

Valérie erzählt, dass sie damals auf Umwegen über Hannover, Berlin und Freiburg, der Liebe wegen, nach Hamburg kam. Seit 2011 betreibt sie ihr Atelier in Hamburg St. Georg. „Aber jetzt im dunklen, kalten Hamburger Winter vermisse ich meine südfranzösische Heimat Albi schon sehr.“, offenbart sie ein wenig wehmütig. Schon als Jugendliche fertigt sie Zeichnungen nach Werken des französischen Malers Toulouse-Lautrec und Salvadore Dali an. Die Kreativität liegt ihr im Blut. Als sie sich damals für ein Studium entscheidet, schwankt sie zwischen der Kunst und Sprachen. Sie entscheidet sich zunächst für die bodenständigere Variante und studiert Germanistik in Montpellier, um letztendlich doch ihrem kreativen Potenzial nachzugeben.

Ursprünglich fertigte sie die Figuren für ihren Sohn an und spielte ihm kleine Theaterstücke vor, bis die Idee reifte, mehr daraus zu machen. Sie erschuf Figuren mit mittelalterlich burgundischen Kostümen, die sie alten Kostümbüchern entlehnte und fing an Geschichten zu schreiben, die ihre Protagonisten spielen sollten. Beim Geschichtenschreiben allerdings, sagt sie, muss sie sich viel stärker zensieren, als beim Fertigen der Puppen.

Die Gesichter der Figuren modelliert sie aus einem selbstangerührten Papiermaché, das mit Sägespänen vermischt wird. Nach einer Trocknungszeit von bis zu einem Monat, kann das Material poliert und bemalt werden. Aber oft ist der Weg bis dahin gar nicht so einfach. Beim Trocknen schrumpfe das Material oft massiv, was den Ausdruck der Figur stark verändern kann, erklärt Valérie. Viele der modellierten Köpfe landen deshalb letztendlich auf dem Müll. Für eine einzige Figur werden also viele, viele Köpfe hergestellt. Ist der Kopf gelungen, bekommt er eine Frisur, meist aus kunstvoll gedrehter Wolle oder Fellimitat. Die kleinen Charaktere entwickeln sich langsam und mit ihnen Geschichten welche die kreative Künstlerin um sie herum erfindet.

Ein bisschen morbide ist es schon

Sie ist sehr kritisch mit ihrer eigenen Arbeit und feilt oft lange an ihnen herum, gibt ihnen Namen, verwirft sie wieder, wechselt die Kostüme und tauscht die Frisuren aus. In ihrer Werkstatt im hinteren Bereich warten noch mehr Könige, Hexen, Zauberer und allerlei fantastische andere Wesen in einem Regal. Es stehen Kisten herum mit Köpfen und Gliedmaßen aller Art. Ein bisschen morbide ist es schon. Sie selbst nennt die rotgestrichene Werkstatt – das Gruselkabinett.

Welche Wertschätzung ihrer Arbeit entgegengebracht wird, zeigt sich auch daran, dass viele der Puppen als Kunstgegenstände gekauft werden, die von ihren Käufern ebenso wie ein Miró an der Wand Beachtung finden. Aber auch Kinder kommen hier auf ihre Kosten. Einmal im Monat bietet Valérie einen Workshop an, bei dem Kinder ihre eigenen Tierhandpuppen fertigen können. Für 25 Euro inklusive Materialkosten können die Kleinen ihrer Kreativität unter Anleitung der Künstlerin freien Lauf lassen. Und etwas Unbezahlbares mit nach Hause nehmen – eine selbstgefertigte Handpuppe, die man in keinem Laden kaufen kann.

Wir Hamburger können uns glücklich schätzen, dass trotz unseres mässig schönen Wetters solch kreative Pflänzchen wie Valérie Bayol den Weg zu uns gefunden haben.

Fotos: Judith Behnk

Mehr in Kultur

Bothmer-Nosferatu+

Kulturtipp: Nosferatu zu Gast in der Laeiszhalle

Judith Behnk3. März 2016
Ausstellungsansicht "Geniale Dilletanten - Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland"

„Geniale Dilletanten“: Experimente zwischen Lärm und Klang

Judith Behnk5. Februar 2016
moritz_neumeier_by_mathias_becker_02

Im Kern verrückt, die Hülle immer wieder neu – der Hamburger Comedy Pokal 2016

Felix Rasmus Willeke3. Februar 2016
Gefahrengebiete und andere Hamburgensien

Tipp der Woche: „Gefahrengebiete und andere Hamburgensien“

Isabella David15. Dezember 2015
Asyland Hamburg

Tipp der Woche: Mit „Asyland“ die Perspektive wechseln

Isabella David8. Dezember 2015
Kraftwerk Bille - Hallen

Producers Artfair: „Ein Labor des Austausches“

Judith Behnk9. September 2015
Peotry Slam, Patrick Salmen, Foto: Jelena Malkowski

Weltrekord: Größenwahnsinniger Poetry Slam

Jelena Malkowski28. August 2015
"Kampf der Künste"-Moderator Michel Abdollahi im vollbesetzten Schauspielhaus (Foto: Jan Brandes).

Weltrekordversuch im Dichterwettstreit

Jelena Malkowski26. August 2015
Esso Häuser, buy buy St. Pauli

Verlosung: Der Kampf um die Esso-Häuser auf DVD

Isabella David23. Juli 2015

Rund um Billstedt, Billbrook und Horn atmet die grüne Lunge der Stadt. In Hamm, Rothenburgsort, Borgfelde, Hammerbrook, St.Georg, der Alt- und Neustadt, und auf St. Pauli riecht und schmeckt man Hamburg an jeder Straßenecke. Die Hafencity glänzt und glitzert im Schatten der dicken Pötte und Kräne.

Die andere Seite der Elbe auf der Veddel, in Wilhelmsburg, auf dem Kleinen Grasbrook, in Steinwerder, Waltershof, Finkenwerder und auf der Insel Neuwerk lässt hanseatische Tradition spürbar werden.

Das ist Hamburg-Mitte, unser Bezirk inmitten einer lebhaften Stadt. So vielfältig wie seine Bewohner sind die Geschichten, die wir erzählen.

Mittendrin ist Name und Programm – täglich sind wir unterwegs und bringen euch spannende Reportagen, aktuelle Lokalnachrichten und ausdrucksstarke Bilder und Videos aus Hamburgs bunter Mitte.

Hamburger Geschichten

© 2012 - 2015 Mittendrin | Alle Rechte vorbehalten. Impressum - Umsetzung Politikwerft Designbüro.