Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel der Woche gekämpft und dabei einen humanitären Fernsehakt und Schmalztiegel klebriger Anteilnahme gefunden.
Neigt sich das Jahr dem Ende zu, beginnt die Zeit der Ausblicke aufs nächste. Weil die Welt auch weiter um Krisen kreist, dürften sie zwar wenig Erbauliches erbringen. Doch eine Aussicht stimmt hoffnungsfroh: Klara Blum verlässt den badischen „Tatort“ und damit die ödeste Ermittlerin in knapp 1000 Fällen. So gesehen darf man die Notbremse der ARD als humanitären Akt bezeichnen, gepaart wird mit einem Neuanfang: Ersetzt werden Eva Mattes und der heillos unterforderte Sebastian Bezzel durch Hans-Jochen Wagner (der dafür sein ZDF-Engagement an der Seite von „Kommissarin Heller“ beenden muss) und Eva Löbau (was nicht nur dank Harald Schmidt als Kriminaloberrat etwas Lakonie ins badische Jammertal bringen könnte). Lustig, gar ulkig will das Trio aber nicht werden, wenn es wie Dienstag verkündet die Schnarchnasen vom Bodensee ablöst.
Schluss mit lustig
Weder lustig noch ulkig war Sonntag zuvor die Live-Sendung der „Lindenstraße“, besonders für Erfinder Hans W. Geissendörfer, der sich angesichts des mageren Bruchteils jener Zuschauer, die das Geburtstagskind 30 Jahre zuvor eingeschaltet hatten, erneut fragen muss, ob sein Dauerbrenner noch weiter beheizt werden sollte. Schluss mit lustig dachte sich im Übrigen fast zeitgleich ein gewisser Hape Kerkeling, als er 1984 erstmals in Bremen ein Fernsehstudio betrat und schon damals, wie der zurückgetretene Entertainer dem „Spiegel“ anvertraut hat, ans Aufhören dachte.
Tiefgründig bis brüllend komisch hingegen ist das, was eine der großen Unbekannten des hiesigen Humors aufschreibt. Nach vier Staffeln „Tatortreiniger“ hat Mizzi Meyer ihr geheimnisumwittertes Pseudonym gelüftet. Sie heißt im wahren Leben Ingrid Lausund und war mal als Hausautorin und Regisseurin des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg tätig, womit bewiesen wäre: E und U schließen sich auch an der Autorenquelle keineswegs aus. Wie wenig, zeigt sich im NDR, wo Donnerstag um 22 Uhr die erste dreier Doppelfolgen mit Bjarne Mädel als hemdsärmelig liebenswerte Putzkraft „Schotty“ läuft, der gewissermaßen den klebrigen Rest vom Krimibrei besserer Sendeplätze beseitigt. Sendeplätze, die abermals von Massengeschmacksunterhaltern wie Markus Lanz besetzt sind, der zwei Stunden zuvor auf ganz großer ZDF-Bühne emotional übersteuern darf, wenn er die „Menschen 2015“ in den Schmalztiegel seiner klebrigen Anteilnahme tunkt.
Die Leere nach Raab
Wer dort – parallel zum furiosen Staffelfinale des heillos unterfrequentierten Serienereignisses von „Deutschland 83“ bei RTL – zwingend landen sollte (und wohl auch wird), ist Stefan Raab. Der beendet tags zuvor nach 2243 Folgen „TV total“ und bittet Samstag letztmalig, ihn zu schlagen. Was das Feuilleton über Jahre schriftlich in Abertausenden von Verrissen getan hat, um ihm nun eifrig nachzutrauern: dem kreativsten Kopf des kommerziellen Entertainments, ein „altruistischer Egoist“, wie ihn die „Süddeutsche Zeitung“ lobpreist.
Nach ihm herrscht wieder jene Leere, die das stete Quizzen hochdifferenter Alterskohorten, Nationalitäten, Intelligenzquotienten bei Jauchkernerhirschhausen immer nur vergrößert. Es sei denn, dafür sorgt der raffgierige König Fußball, dessen DFB-Pokal ab Dienstag mithilfe ergebener ARD-Vasallen die Konten von Bayern bis Dortmund füllt. Da schaltet man also besser zu Arte, um sich Mittwoch (20.15 Uhr) am Remake des Weihnachtsmehrteilers „Die schwarzen Brüder“, nun ja: zu erfreuen. Das realitätsgetreue Sozialdrama um Tessiner Familien, die ihre Söhne im 19. Jahrhundert aus materieller Not als Kaminkehrer nach Mailand verkaufen mussten, ist ja nicht nur toll kostümiert und zurückhaltend inszeniert; es glänzt auch durch Moritz Bleibtreu als hinreißend skrupellosen Geschäftsmann.
Beängstigend faszinierendes Gedankenexperiment
Sehenswert ist an gleicher Stelle auch die Dokumentation „Ein gefährliches Buch“, in der tags zuvor (20.15 Uhr) das Ende des Urheberrechts an „Mein Kampf“ analysiert wird und wie dessen Inhaber Bayern eine kritische Neuauflage im Frühjahr verhindern will. Typischer Fall von Schattenboxen: das wirre Pamphlet dient heutzutage selbst unter geistig limitierten Stiefelnazis allenfalls als ungelesener Fetisch, auch wenn es vor 90 Jahren das gefördert hatte, was die schwarzweiße „Wiederholung der Woche“ heute erlebbar macht: „Nackt unter Wölfen“ (Montag, 20.15 Uhr, Arte), ein Defa-Film von 1963 mit Armin Müller-Stahl als Buchenwald-Insasse, der versucht, mit einem kleinen Kind die Seelen aller NS-Opfer zu retten. Der farbige Tipp spielt parallel auf EinsFestival in der Zukunft: „Moon“, Duncan Jones‘ düstere SciFi-Parabel (2009) um die kosmische Energiegewinnung von morgen. Und am Dienstag wagt die „Doku der Woche“ namens „Bad Brain“ (Dienstag, 23.35 Uhr, Arte) ein Gedankenexperiment über einen Computer, der alles mit allem zu einem gigantischen Großhirn verbindet. Beängstigend und faszinierend.
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