Allzu oft werden Motörhead nicht mehr die Bühnen der Welt bespaßen. Daran ließ Lemmys Verfassung beim Hamburger Auftritt für Justus Ledig keinen Zweifel.
Fast 70 Jahre hat Lemmy Kilmister nun auf dem Buckel. Der Mann aus Staffordshire, England, führte definitiv ein Rock’n’Roll-Leben wie aus dem Bilderbuch. Inzwischen soll der Motörhead-Frontmann zwar aus gesundheitlichen Gründen von der täglichen Flasche Whisky auf Rotwein umgestiegen sein, doch die langjährige Sauferei fordert inzwischen ihren Tribut. Das ist nicht zu übersehen.
Bereits auf früheren Abstechern der “Bad Magic”-Tour waren Motörhead mal ausgefallen, mal eine traurige Erscheinung gewesen, wie zu vernehmen ist. Das Konzert in Hamburg findet aber statt – wenn auch verspätet, was dieses Mal nicht an Lemmy, sondern an Gitarrist Phil Campbell lag. Durch den verlegten Termin von einem Sonnabend auf einen Mittwoch ist die Sporthalle dann doch nicht ganz ausverkauft. Offensichtlich ist dennoch, dass viele Fans die Gelegenheit jetzt noch mal wahrnehmen möchten, die Veteranen live zu sehen. Gestiegene Ticket- und Merchandise-Preise sprechen dafür, dass sich das Management im Hintergrund dieses Faktors bewusst ist.
Saxon sind in Würde gealtert
Als Vorband haben Motörhead ihre Landsleute Saxon dabei – nur noch, denn Girlschool haben kurzfristig abgesagt. Das stört wenig. Saxon, die hämisch gesagt an jeder Steckdose spielen, machen jedenfalls eine sehr gute Figur. Die hervorragend aufgelegte Band um den weißhaarigen Sänger Biff Byford glänzt in ihrem nicht allzu langen, aber sehr abwechslungsreichen Set. Neben dem einen oder anderen Song der aktuellen Platte “Battering Ram”, die auch das große Backdrop ziert, sind es natürlich die Klassiker, die besonders ziehen. “Princess of the Night” oder “Crusader” zum Ende des Sets werden amtlich abgefeiert.
Und Saxon freuen sich. Ehrlich gut gelaunt und agil wirken die Briten, die auch mal ein Sing-a-long-Spiel einbauen und Hamburg über den grünen Klee loben. Keine Frage, die Rolle der Vorband erfüllt die Band bravourös. In Würde gealtert, darf man über diese ebenfalls mehr als 35 Jahre aktive Kapelle sagen!
Weiß der Mann, was er da tut?
Kommen wir zum traurigen Teil des Abends, und dieser hat einen Namen: Lemmy Kilmister. Es beginnt mit “Bomber” noch so gut, als Motörhead ihrem Ruf einer ohrenbetäubend lauten Band gerecht werden – und sich ein monströs großes Stahl-Flugzeug unter der Hallendecke im simulierten Schein der Flak zu bewegen beginnt. Larger than life! Kann es bitte so weitergehen?
Das kann es nicht. Das Problem wird offensichtlich, als Lemmy zum ersten Mal so etwas wie eine Ansage an das Publikum versucht. Ja, versucht. Irgendwo zwischen altersschwach und stockbesoffen bekommt der 69-Jährige kaum einen geraden Satz heraus. Zugegeben, sein genuschelter Akzent war noch nie einfach zu verstehen. Aber aus gutem Grund springt an diesem Abend Phil Campbell ein und übernimmt einen Großteil der Ansagen für den offensichtlich überforderten Lemmy. Es wirkt zeitweise so, als müsse der Gitarrist für seinen Frontmann regelrecht übersetzen. Ein würdeloses Schauspiel.
Es wird über den Verlauf des Konzertes kaum besser. Zwar funktioniert das Bassspiel noch ganz gut, auch die Texte und Einsätze versemmelt der Frontmann nicht ernsthaft. Doch der Gesang ist erbärmlich kraftlos, von körperlicher Präsenz ganz zu schweigen. Immerhin braucht der alte Mann heute keinen Gehstock.
Das Hamburger Publikum stört sich über weite Strecken nicht daran und feiert Motörhead heftig ab. Der Moshpit klingt zwar bald ab, aber laut ist die Sporthalle weiterhin. Als mit “Ace of Spades” wohl DIE Bandhymne erschallt, fliegen auch die letzten Haare. Lemmy singt dieses Lied nicht, das Lied singt vielmehr ihn – und die Zeile “I don’t wanna live forever” wird zum Treppenwitz. Irgendwie schleppt er sich in den Zugabenblock.
Ein schwacher Hoffnungsschimmer
Hier gewinnt der Senior ein wenig seine Würde zurück. Vielleicht ist er nun auch etwas ausgenüchtert, man weiß es nicht. Jedenfalls gibt es den “Whorehouse Blues” als Akustik-Stück, während Lemmy sich nur auf den Gesang zu konzentrieren braucht. Da steht der reife Rockstar und blickt über eine große Schar Fans, von denen viele seine Enkel sein könnten, und die ihn immer noch feiern. Wie viel er selbst davon realisiert? Es wäre hochspannend, in seinen Kopf hineinzublicken.
Das ist uns nicht vergönnt und nach dem obligatorischen “Overkill” entlassen Motörhead die Hamburger. Ein exorbitant langes Set war das nicht, doch das wird kaum jemand erwartet haben. Was bleibt festzuhalten? Es ist traurig zu sehen, wie jemand sein eigenes Denkmal mit Anlauf einzureißen versucht. Beinahe schlecht fühlt man sich, diesem tragischen Theater beizuwohnen. Mr. Kilmister ist ein mündiger Mensch, der sich weiter dazu entschieden hat, auf der Bühne zu stehen. Doch damit tut er beileibe nicht allen einen Gefallen.
Steffen Dettmann
11. Dezember 2015 at 20:23
Dieser Artikel spiegelt nur zum Teil wieder , was da war. Über Lemmy brauchen wir nicht reden – er hat seine Zeit gehabt und wird für sein Lebenswerk geachtet. Saxon hingegen ist nach wie vor auf Hochtouren und ALLE Musiker haben ihre Präsenz mehr als bewiesen. Es war ein großartiges Konzert, Superstimmung und der Funken ist übergesprungen. Saxon ist kein „Vorband“, sondern Rockgeschichte!
Ingo Schwerdt
13. Dezember 2015 at 19:57
na, sauber…da war jemand dabei und hat es immer noch/doch nicht kapiert…
Selbst wenn der Mann mit dem Rollstuhl auf die Bühne käme, würde die Halle toben…
that´s Rock ´n´ roll…and we love it!
Es war ein geiles Konzert!!! Und Lemmy hat es solchen Aasgiern wie Ihnen nochmal gezeigt…
Denn die einzigen, die versuchen sein Denkmal einzureißen, sind solche nassforschen Schreiberlinge wie Sie…
Also halt die Schnauze und kümmere Dich um Helene Fischer & Co.!
Mark Schmitz
30. Dezember 2015 at 13:28
Junge…du hast es nicht begriffen! Aber wahrscheinlich bist du auch einfach zu jung dazu…
Der Mann ist eine (inzwischen leider nicht mehr lebende) LEGENDE. Die Fans die da waren wollten ihn einfach nochmal sehen um ihm zu zeigen was er ihnen wert ist. Ihm für sein Leben(swerk) Tribut zollen. Aufrichtig und aus tiefstem Herzen. Wäre er (wie Ingo oben ja auch schon schreibt) im Rollstuhl auf die Bühne geschoben worden und hätte nur gewunken, wäre der Applaus und Jubel nicht weniger gewesen. Und das weil er immer treu gegenüber seinen Fans war. Dafür wird er von den Fans zu Recht vergöttert.
Es gibt keinen anderen Rock’n’Roller mehr wie ihn. Kein Ozzy (die anderen Sabs schon gar nicht) und auch keiner der Stones oder irgendjemand anderes der noch unter uns weilt, hat den Rock’n’Roll bis zum Schluß so gelebt wie er! Er hat dabei immer sein Ding gemacht.
Und geistig war er trotzdem noch auf der Höhe (im Gegensatz zu Ozzy!). Er hat immer gesagt er wolle am Liebsten „on the road“ den Löffel abgeben und auch das ist ihm (zwischen zwei Tour-Teilen leider nur fast) gelungen.
Er war vom Anfang bis zum Ende einfach ECHT. Dieses Denkmal kann niemand mehr einreißen, denn so einen Typen wird es nie wieder geben in der heutigen Plastikwelt.
R.I.P. LEM (old Motherfucker)
Justus Ledig
31. Dezember 2015 at 14:48
Angesichts des doch etwas unerwartet raschen Ablebens von Mr. Kilmister sehe auch ich dieses – sein vorletztes! – Konzert mit etwas anderen Augen. So dünn die Performance auch war, so sehr freue ich mich, die Band noch ein mal gesehen zu haben. All die Jahre waren Motörhead und Lemmy einfach immer da, wie ein liebgewonnener, schräger Onkel … nun ist die Legende Geschichte.
Ich habe mit keinem einzigen Gedanken den überragenden Status von Motörhead und Lemmy angezweifelt, im Gegenteil. Vor dem Hintergrund, welche einzigartige Bedeutung Motörhead für Musikgeschichte und Rock’n’Roll-Lebensgefühl hatten und haben, war es für mich eben sehr traurig, Lemmy als Schatten seiner selbst zu erleben. Ich hätte ihn gern vitaler in Erinnerung behalten, wie beispielsweise elf Jahre vorher, als ich Motörhead das erste Mal sah.
Wie dem auch sei, rocke in Frieden, Lemmy!