Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel der Woche gekämpft und dabei zur Comedybühnen umfunktionierte Sprungschanzen und ein provinzielles Hamburg gefunden.
In der permanenten Krisenberichterstattung geht derzeit unter, dass es parallel dazu noch einen anderen Informationsoverkill gibt: Wintersport. Die öffentlich-rechtliche Druckbetankung damit war schon am Startwochenende so ergiebig, dass vier Monate vorm Finale bereits alle Kanister des guten Geschmacks gefüllt sind. Und beim Bemühen, auch ja das hinterletzte Rodelrennen zu übertragen, ist zudem ein irrer Wettstreit entbrannt: Wer bietet das subjektivste Paar moderierender Jubelperser?
Nach Punkten vorn – nein, nicht Günther Jauch, dessen chronischer Mangel an journalistischer Tiefe zum gestrigen ARD-Abschied so gar vom WDR bestätigt wurde. Sondern der patriotisch betäubte Matthias Opdenhövel und sein dauergrinsender Grüßaugust Dieter Thoma, die gemeinsam noch jede Sprungschanze zur Comedybühne maximaler Schlichtheit machen. Dicht gefolgt von Alexander Ruda und Fritz Fischer, bei denen ein deutscher Biathlon-Sieg weit vor Klimawandel, Terrorismus und Flüchtlingskrise atmosphärisch zur wichtigsten Sache der Welt hochgefaselt wird. Da haben es kritisch-kompetente Kommentatoren wie Tom Bartels oder Aris Donzelli schwer, den Nebel der Dummheit zu durchdringen.
Olympia in Hamburg bleibt Science Fiction
Ein Nebel übrigens, der grad nirgends dicker ist als in Hamburg, wo die dummdreiste Olympiabesoffenheit von Politik und Wirtschaft längst auf ortsansässige Medien übergegriffen hat. Nachdem die lokale „Bild“ unlängst eine Sonderausgabe ohne jeden Missklang veröffentlicht hatte und die einst objektive „Mopo“ ohnehin in subjektiver Euphorie ersäuft, feierte nun das altehrwürdig konservative „Hamburger Abendblatt“ die Spiele in einer Science-Fiction-Ausgabe vom Sommer 2024 als beste aller Zeiten, deren Kosten – erstmals in der neueren olympischen Geschichte – vollends gedeckt gewesen sein werden, was – kein Scherz! – „Bundeskanzler Olaf Scholz“ mit Stolz erfüllen wird. Ach Medienhauptstadt, was bist du dörflich geworden…
Aprops: Das bekannteste Dorf der TV-Republik feiert am Sonntag mit einer verlängerten Live-Sendung 30. Geburtstag, wobei die „Lindenstraße“ dramaturgisch in München steht und baulich in Köln, aber egal – der Mikrokosmos rings ums Wohnhaus von Familie Beimer hat sich auch im digitalen Zeitalter seinen provinziellen Charakter erhalten. Genau das stellt für viele Fans trotz all der tagesaktuellen Themen schließlich ein Stück Geborgenheit im aufgewühlten Umfeld wirkmächtiger Weltpolitik dar.
Programmperle zur Geisterstunde
Was die im Stillen für Schweinereien betreibt, wissen wir alle oft erst, seit sie von WikiLeaks ausgeplaudert werden. Zurzeit übt sich die Enthüllungsplattform von Julian Assange zwar gern mal in obskuren Verschwörungstheorien über die Anschläge von Paris; welche Bedeutung WikiLeaks für die globale Transparenz hat, kann man aber dennoch in der US-Doku „We Steal Secrets“ sehen, die das ZDF Donnerstagfrüh um 0.10 Uhr zeigt. Ganze fünf Minuten früher läuft heute Nacht auf gleichem Kanal „Komm schon!“, eine Sitcom, deren Thema den unfreundlichen Sendeplatz sogar rechtfertigen könnte; doch das komplizierte Liebes- und Berufsleben einer Sexualtherapeutin mit allerlei eigenen Baustellen im Bett, kommt fast ohne Körpereinsatz aus, vor allem aber ohne Zoten, Peinlichkeit, Lacher vom Band.
Auch darum ist der Vierteiler von Esther Bialas eine echte Programperle zur Geisterstunde, die man unbedingt zur publikumsfreundlicheren Zeit sehen sollte: in der Mediathek. Die Primetime großer Kanäle dagegen ist ja gewohnt knitterfrei. Obwohl: manchmal heißt glattgebügelt nicht unbedingt faltenfrei. Etwa in der opulenten Räuberpistole „Mordkommission Berlin 1“. Am Beispiel des real existierenden Ernst Gennat, der in den Goldenen Zwanzigern die Polizeiarbeit forensisch revolutionierte, kriegt es Friedrich Mücke Dienstag auf Sat1 mit einer heillos überfrachteten Unterwelt zu tun, die so herrlich ans Technikolorkino der Jahrhundertmitte erinnert, dass man ihr den ästhetischen Mainstream verzeiht.
Das gefährliche Buch
Als Gennat noch selbst nach Mördern suchte, erschien übrigens ein Buch, das ebenfalls Geschichte schrieb und die kurze Phase der Freizügigkeit rabiat terminieren half: „Mein Kampf“. Am 1. Januar endet das Urheberrecht an Hitlers Machwerk, weshalb es – kommentiert – wiederveröffentlicht werden kann. Was das in Zeiten von Pegida und AfD bedeutet, die sich zusehends als modernisierte SA gerieren, erkundet Manfred Oldenburg am Donnerstag auf Arte (20.15 Uhr) in seiner Doku „Das gefährliche Buch“.
Wer das zu schwer findet, aber den Sender nicht wechseln will, kann sich heute ab 20.15 Uhr einen Themenabend lang mit Woody Allen entspannen, angefangen mit seinem „Stadtneurotiker“ von 1977. Womit es nahtlos zu den „Wiederholungen der Woche“ geht. In Farbe: „28 Days Later“, Danny Boyles Zombie-Pop von 2002 (Montag, 23.15 Uhr, Kabel1) oder Mittwoch auf Arte (20.15 Uhr) „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ mit Peter Lorre als schwarzweißer Triebtäter, den die Unterwelt durch Berlin jagt. Parallel dazu von dokumentarischer Bedeutung: „Geschichte der RAF“ (18.45-23.15 Uhr auf ZDFinfo), nicht immer neutral, aber voll bemerkenswerter Archivbilder.
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