Am Mittwoch wurde auf der Bahrenfelder Trabrennbahn der Weltrekord für die größte alleinstehende Veranstaltung beim Poetry Slam mit über 5.000 Besuchern geknackt. Aber was sagt das über den Poetry Slam? Kann man so etwas noch slammen nennen?
Ein „fulminanter Abend“ war es am Mittwoch laut Moderator Michel Abduallahi auf der Bahrenfelder Trabrennbahn. Wie will man auch sonst einen Dichterwettstreit vor über 5.000 Leuten beschreiben? Großartig oder doch größenwahnsinnig?
Größenwahnsinnig klingt es erst mal, wenn Lyrik Stadien füllen soll. Aber der Poetry Slam füllt mittlerweile eben sogar die Bahrenfelder Trabrennbahn. Die Zuschauer sitzen vor einer riesigen Bühne, auf der selbst die größten Poetry Slammer Deutschlands klein aussehen. Dafür werden sie aber auf riesige Bildschirme übertragen, hier sieht man wieder jede einzelne Geste und Pore.
Wie immer und doch anders
Eigentlich verläuft dieser Poetry Slam wie jeder andere: Eine Jury aus dem Publikum wird ausgewählt, Julia Engelmann und Torsten Sträter treten als „Feature Poets“ auf. Jan Philipp Zymny, Patrick Salmen, Sebastian 23 und Andy Strauß treten gegeneinander an – zehn Minuten haben sie Zeit, dann vergibt die Jury ihre Punkte. Zwischendurch holt der Moderator Michel Abdollahi jemanden aus dem Publikum auf die Bühne und schenkt Whiskey ein.
Trotzdem ist etwas anders: Im Hintergrund hört man die Stimme des Slammers ein zweites mal verstärkt um die ganze Arena zu füllen der Gast aus dem Publikum muss drei Meter Höhenunterschied überwinden, um auf die Bühne zu kommen und Julia Engelmanns Stimme klingt nicht mehr so zittrig, wie sie es damals tat, in dem Video, das irgendwann über acht Millionen Klicks auf Youtube bekam.
Große Bühne statt Hörsaal und Kneipe
Keiner der Slammer zittert mehr, die vier gegeneinander antretenden standen bereits tausende Male auf Bühnen, haben Bücher rausgebracht, Meisterschaften gewonnen und eigene Fans bekommen. „Was den Slam ausmacht ist ja die niedrige Schwelle, das theoretisch jeder auftreten kann“, sagt Jan-Oliver Lange, Geschäftsführer und Gründer vom „Kampf der Künste“, der den riesigen Slam auf der Trabrennbahn veranstaltet. Damit kann man den heutigen Abend aber nicht vergleichen: Die Auftretenden sind große Namen der Szene, die bereits Bücher schreiben und sind TV zu sehen. Viele Gäste sind wohl gekommen, um diese Stars einmal live zu sehen. Da ist es klar, dass Julia Engelmann zuallererst ihren bekanntesten Text vorträgt und als der Gewinner des Abends Jan Philipp Zymny seinen Text „AWESOME“ beginnt, Jubelschreie ausbrechen.
Das hier ist nicht mehr der Poetry Slam in einer schummrigen Kneipe, bei dem man drei schlechte Texte abwartet um dann zufällig ein Goldstück zu finden – das hier sind die Texte bei denen das Publikum schon ohne Aufforderung mitrufen kann. Die Slammer sind alle so gut, dass kein großer Wettbewerb mehr stattfindet: Die Jury vergibt heute nur Punkte zwischen 8,1 und 9,8. Darüber, wer ins Finale kommt, entscheiden minimale Unterschiede. „Der Wettbewerb ist uns lieb und teuer, aber auf dem Level spielt das keine so große Rolle mehr,“ sagt auch Jan-Oliver Lange. Die kleinen Slams gäbe es aber natürlich trotzdem noch.
Alles andere als unpolitisch
Vielleicht spielten der Wettbewerb und die niedrige Schwelle des Poetry Slams Mittwochabend keine Rolle, aber auch das gibt noch etwas anderes macht den Poetry Slam aus: das Politische, dass die Slammer lyrisch ihre Meinung kundtun. Moderater Michel Abdollahi dreht gerade einen Bericht über NPDler und die Flüchtlingsdebatte, Jan Philipp Zymny und Sebastian23 kamen beide mit einem Text gegen Nazis ins Finale.
Abgesprochen war das nicht. „Das ist ja auch das schöne am Poetry Slam. Die Poeten können zeitnah auf aktuelle Themen eingehen“, sagt Lange. Bei diesem politischen Thema, positionieren sich die Slammer eindeutig und auch Michel Abdollahi bezieht deutlich Stellung, in dem er jede seiner Moderationen selbst mit einem kurzen Gedicht des persischen Dichters Saadi schließt:
„Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht / als Glieder eines Leibs von Gott, dem Herrn, erdacht. / Sobald ein Leid geschieht nur einem dieser Glieder, / dann klingt sein Schmerz sogleich in ihnen allen wider. / Ein Mensch, den nicht die Not der Menschenbrüder rührt, / verdient nicht, dass er noch des Menschen Namen führt.“
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