Jan Freitag hat sich durch den Mediendschungel dieser Woche gekämpft und dabei würdeloses Gebrauchtwarencasting und Biedermeierrassismus gefunden.
Die warme Jahreszeit ist aus fernsehprogrammatischer Sicht ein einziges Hängen und Würgen. Statt seriösen Sports zeigen die zugehörigen Sender bloß die Tour de France, Sommerskispringen oder wie gestern Fußball der US-Operettenliga MLS. Und statt empfehlenswerter Filmpremieren zeigen seriöse Sender meist Wiederholungen, während unseriöse anstelle frischer Produkte allenfalls alte erneuern. RTL zum Beispiel überbrückt die Wartezeit bis zum nächsten Dschungelcamp mit einem Gebrauchtwarencasting namens „Ich bin ein Star – lasst mich wieder rein!“, in dem 27 ehemalige RTL-Insassen um abermalige Madenverkostung Anfang 2016 betteln. Schwer zu sagen, was da würdeloser ist: die Hatz der Gescheiterten nach etwas medialer Aufmerksamkeit oder das Podium, in dem der Ballermannkanal zum Auftakt am Freitag Werner Böhm, Dustin Semmelrogge und Costa Cordalis kaserniert.
Eigene Vorstellungen christlicher Nächstenliebe
Na wenigstens ziehen die drei erfolglosen Altlasten nicht nackig auf eine Südseeinsel. Das machen dafür Heidi, Achi und Marie, die an gleicher Stelle zwei Tage zuvor nach dem Vorgeplänkel endlich „Adam und Eva“ spielen dürfen. Der Untertitel lautet übrigens „Gestrandet im Paradies“, was – zugegeben leicht zynisch – auf einen Film verweisen könnte, der diese Umschreibung weit eher verdient. Er heißt „Das Golddorf“ und bildet Teil 2 der kleinen ARD-Dokumentationsreihe zum Thema Flüchtlinge in Deutschland. Die nämlich verschlägt es am Dienstag um 22.45 Uhr ins idyllische Chiemgau, wo die tiefgläubigen Dorfbewohner so ihre eigenen Vorstellungen von christlicher Nächstenliebe haben und den Alpenhimmel für eine Handvoll fremdartiger Kriegsopfer aus Afghanistan, Syrien, Eritrea mit viel Liebe zum Hass zur Asylbewerberhölle machen.
Man möchte all die Biedermeierrassisten zu gern ohne Tracht und Weißbier ins Reich der Finsternis bürgerlicher Vorstellungen schicken. Sagen wir: Nach Wacken. Am besten drei Tage Anfang August, wenn die diabolische Welt des ganz harten Rocks ihr berühmtes Zackengitarreninferno feiert. Da Verbannung im hiesigen Strafrecht nicht vorgesehen ist, tut es für den Anfang aber auch Zwangsschauen des unter schlichten Gemütern verhassten Intellektuellenkanals 3sat, wo Markus Kavka und Rainer Maria Jilg Samstagabend vier Stunden live vom weltgrößten Heavy-Metal-Festival berichten.
Aus Geldmangel zum Nulltarif
Andererseits ist unsere Justiz ja eher um Besserung als Strafe bemüht. Und da kann besonders xenophobes Landvolk seinen Horizont ausgerechnet beim konservativen Heimatsender BR erweitern, wo der alljährige „Debütsommer“ am Donnerstag (23.10 Uhr) mit dem Erstlingswerk des Regisseurs Aron Lehmann startet: „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“, ein Film übers Verfilmen des Kleist-Stoffes in – schon wieder – Bayerns Provinz, den Robert Gwisdek als leidenschaftlicher Regisseur aus Geldmangel zum Nulltarif realisiert. Im Anschluss läuft dann Frieder Wittichs Premiere „13 Semester“ um zwei ostdeutsche Landeier beim Studium in der Großstadt. So klasse kann Fernsehen sein – auch im Sommer.
Der umso wichtiger ist, für die „Wiederholungen der Woche“. In schwarzweiß: „Die sieben Samurai“, Akira Kurosawas Meisterwerk von 1953 (Donnerstag, 20.15 Uhr, Arte), das sich vom Niveau her ungefähr zwischen dem brillanten Hollywood-Plagiat der „Glorreichen Sieben“ und deren Rückkehr einordnen lässt, die gestern auf Tele5 lief. Der Farbtipp dieser Woche ist hingegen ein Art Remake in eigener Sache, Francis Ford Coppolas Director‘s Cut von „Apocalypse Now“ (Redux), Mittwoch um 23.30 im HR.
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